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Die Selbstorganisation sinnhafter Identitäten: Niklas Luhmann

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Narrative Identität
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Zusammenfassung

Die Frage nach Identität zählt zu den zentralen Problemen der „Super-theorie“1 Niklas Luhmanns. Die Vorstellungen, die er dabei entwickelt, unterscheiden sich auf eine sehr grundsätzliche Weise von solchen, wie wir sie etwa bei Tugendhat antreffen. Ich möchte beginnen mit einer kurzen Textstelle aus einem der neueren Aufsätze; Luhmann entwirft hier — verdichtet auf einer knappen halben Seite — das systemtheoretische Programm zum Identitätsproblem.

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Notizen

  1. So Luhmann selbst in Soziologie der Moral, in ders./Stephan Pfürtner (edd.) Theorietechnik und Moral (Frankfurt 1978), pp.8–116,9. An anderer Stelle spricht er von einer „Welttheorie, die nichts, was es gibt, ausläßt“; Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie, in Merkur 42 (1988), pp.292–298,292sq. Solche Super- oder Welttheorien treten auf mit „Universalitätsanspruch“ (SoSy,9). Es ist also durchaus gerechtfertigt, wenn Jürgen Habermas sagt, Luhmanns Systemtheorie sei „nicht eigentlich Soziologie, sondern eher zu vergleichen mit metatheoretischen Entwürfen, die Weltbildfunktion erfüllen“;

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  2. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne: Zwölf Vorlesungen (Frankfurt 1985), p.443. Luhmann selbst sieht sich explizit in der Tradition der Metaphysik: „Will man den Terminus beibehalten, so könnte man Metaphysik charakterisieren als Lehre von der Selbstreferenz des Seins. […] Die vorstehend skizzierte Systemtheorie gibt sich nicht als Metaphysik. […] Gleichwohl soll ein Zusammenhang nicht bestritten werden“ (SoSy,143, 145).

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  3. Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (Berlin 1966), p. 11. Ich will hier nicht auf problematische Aspekte der epoché eingehen, etwa der Implikation der „völligen Weltlosigkeit“ des phänomenologischen Subjekts; cf. hierzu Schwemmer, Handlung und Struktur, op.cit., p.224.

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  4. Seit Die Wissenschaft der Gesellschaft besitzt Luhmann eine ausgearbeitete Erkenntnistheorie auf der Basis einer Theorie sozialer Systeme, insbesondere des Wissenschaftssystems. Zu diesem umfangreichen Bereich vielleicht nur soviel: Luhmann ist in einer bestimmten Hinsicht durchaus Realist, insofern er nämlich vom „Faktum System“ (SoSy,32) ausgeht, also von realen Systemen, die sich selbst mit realen Operationen und Beobachtungen aufrechterhalten: „Systeme sind wirkliche (empirische, das heißt beobachtbare) Systeme in einer wirklichen Welt“ (SA-5,41). Er hält jedoch die Leitdifferenzen herkömmlicher Erkenntnistheorien (Bewußtsein/Welt, Konstruktion/Wirklichkeit …) für verfehlt: „Die Realität läßt sich innerhalb solcher Unterscheidungen nicht auf der einen oder anderen Seite verorten“ (WdG,317), ohne in „unsinnige Kontroverse[n]“ (BdM,32) zu geraten. Wenn man statt dessen die „Eigenbedingungen des Erkenntnisvorganges“ (WdG,522) untersuche, auch unter Einbeziehung neurophysiologischer Analysen — cf. etwa Gerhard Roth, Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit, in Siegfried J. Schmidt (ed.) Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus (Frankfurt 1987), pp.229–255 — dann könne man nicht länger davon ausgehen, daß unser Wahrnehmungsapparat, einschließlich der neuronalen Verarbeitung der Sinnesdaten, eine Realität in irgendeiner Weise mehr oder weniger adäquat abbilde. Da unser Gehirn ein in sich geschlossenes, selbstreferentielles System ist, haben wir keinen unmittelbaren Zugang zur Realität, sondern nur zu einer von uns selbst konstruierten Umwelt. In diesem Sinne ist Luhmann also (radikaler) Konstruktivist, wobei die Operationen, mit denen wir — bzw. allgemeiner: mit denen Systeme — sich ihre Umwelt konstruieren, wie erwähnt, reale Operationen realer Systeme sind. Man hat ihm daher vorgeworfen, er schwanke zwischen einem „objektivistischen Realismus und einem relativistischen Konstruktivismus“;

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  5. so etwa Christiane Bender, Identität und Selbstreflexion: zur reflexiven Konstruktion der sozialen Wirklichkeit in der Systemtheorie von N. Luhmann und im symbolischen Interaktionismus von G.H. Mead (Frankfurt/ Bern/New York/Paris 1989), p.60. Ich halte diese Kritik für nicht gerechtfertigt; Luhmann zeigt vielmehr, daß sich bestimmte Systeme in einer wie immer minimal strukturierten Wirklichkeit eine eigene und ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechende Umwelt konstruieren. In der Wirklichkeit sind also immer schon minimale Regelmäßigkeiten, Ordnungen bzw. mehr oder weniger „prägnante […] Konfigurationen“ (SoSy,379) eingezogen, da „in einer völlig entropischen Welt […] überhaupt kein Beobachten sich entwickeln könnte“ (WdG,303). Systemspezifische Umweltkonstruktionen müssen also von der Realität zumindest „toleriert“ (WdG,93) werden; anders formuliert: die Systeme müssen sich in irgendeiner Weise bewähren, sonst gäbe es sie nicht mehr, ihre Operationen sind also nicht beliebig, aber diese Nichtbeliebigkeit läßt keinerlei Rückschluß auf eine Entsprechnung oder Adäquatheit im Hinblick auf eine Wirklichkeit zu, sondern ist „nicht anderes als die durch Evolution kontrollierte Selektivität“ (WdG,528) bestimmter Systemoperationen: „Es ist ja kaum plausibel zu machen, daß zum Beispiel die für die Wissenschaftsentwicklung so bedeutsame euklidische Geometrie deshalb Erfolg gehabt habe, weil sie der Welt, wie sie nun einmal ist, besonders gut angepaßt ist“ (WdG, 555). Identitäten sind also systemabhängige Konstruktionsleistungen auf der Basis von minimaler Ordnung; sie bilden keine Realität ab, sondern haben sich als anschlußfähig erwiesen.

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  6. Cf. Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, (Frankfurt 1982), pp. 103–124; sowie die Artikel Poetik und Poiesis im Wörterbuch der philosophischen Begriffe (edd. Joachim Ritter/Karlfried Gründer), Bd.7, Sp. 1021, 1023sq.

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  7. Die letzten beiden Zitate entstammen dem noch unveröffentlichten vierten Band der Philosophie der symbolischen Formen, sie sind einem Aufsatz von Oswald Schwemmer entnommen: Der Werkbegriff in der Metaphysik der symbolischen Formen: Zu Cassirers Konzeption eines vierten Bandes der Philsophie der symbolischen Formen, in Internationale Zeitschrift für Philosophie (1992/2), pp.226–247,242.

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  8. An dieser Stelle folgt in der Literatur üblicherweise die Klage über „luhmannspezifische Schwierigkeiten“; cf. Otto-Peter Obermeier, Zweck-Funktion-System: Kritisch konstruktive Untersuchung zu Niklas Luhmanns Theoriekonzeptionen (Freiburg/München 1988), p. 13. Beklagt werden zumeist die hoffnungslose Produktivität Luhmanns, sein extremer Terminologieaufwand, das hohe Abstraktionsniveau sowie die fehlende Systematik;

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  9. cf. Karl Otto Hondrich, Systemtheorie als Instrument der Gesellschaftsanalyse: Forschungsbezogene Kritik eines Theorieansatzes, in Frank Maciejewski (ed.) Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie: Beiträge zur Habermas-Luhmann-Diskussion, Bd.l (Frankfurt 1973) pp. 88–114, 93;

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  10. Hans Haferkamp, Autopoietisches soziales System oder konstruktives soziales Handeln: Zur Ankunft der Handlungstheorie und zur Abweisung empirischer Forschung in Niklas Luhmanns Systemtheorie, in Haferkamp/ Schmid. (edd.), Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung, (Frankfurt 1987), pp.51–88,51; Johannes Berger Autopoiesis: Wie ‚systemisch‘ ist die Theorie sozialer Systeme? in Haferkamp/Schmid. (edd.), Sinn, Kommunikation …, op.cit., pp. 129–152. Luhmann selbst nimmt bisweilen Stellung zu seinen ‚Theoriedarstellungsproblemen‘, für die er Sachgründe angibt; cf. Die Praxis der Theorie (SA-1,253–265); Unverständliche Wissenschaft: Probleme einer theorieeignenen Sprache (SA-3,170–177). Interessant ist vor allem das Problem der Sequenzierung des Theorieaufbaus.

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  11. Versteht man (soziale) Wirklichkeit als ‚überkomplexe‘ Selbstorganisation einer Vielzahl von rekursiv verschalteten, nichtlinearen Prozessen und co-evolutiven, simultanpräsenten Funktionskreisläufen — cf. hierzu aus naturwissenschaftlicher Sicht Wolfgang Gerok et.al. (edd.), Ordnung und Chaos in der unbelebten und belebten Natur (Stuttgart 1990) -, erweisen sich linear konzipierte Theorien, die nach dem Vorbild Descartes stufenweise vom Zweifelsfreien und Einfachen zum Schwierigen fortschreiten, als wenig adäquat, um die Nichtlinearität und Komplexität der Wirklichkeit selbst in den Blick zu bekommen. Simultanpräsenz und Co-Evolution verlangen co-konstitutive Begriffe, das heißt Begriffe, die sich in ihrer Bedeutung wechselseitig voraussetzen. Idealerweise müßten alle Begriffe zugleich — quasi mit einem Schlag — eingeführt werden. Dies ist aufgrund der Linearität des symbolischen Ausdrucksmediums Sprache/Schrift jedoch nicht möglich, daher ist — mit welchem Begriff auch immer man anfängt — jeder Anfang mit „nicht-explizierbaren Voraussetzungen“ (SA-3,174) belastet. Aus einer solchen Sachlage heraus ergeben sich für die Organisation und Darstellung der Theorie „Arrangier- und Vertex-tungsprobleme, die sich nicht mehr optimal lösen lassen“ (SA-3,174). Luhmann schlägt hier „rekursive Rück- und Vorgriffe“ (WdG,10) vor: Begriffe werden nicht mehr schrittweise eingeführt und definiert, sondern tauchen in gewissen Problemzusammenhängen auf, werden in ihrer Bedeutung selektiv angeschnitten, ignorieren dabei ihre eigentlich notwendigen Voraussetzungen und schleifen sich vielmehr durch wiederholende Verwendungen ein.

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  12. Dirk Starnitzke versucht demgegenüber für Soziale Systeme einen streng linearen Theorieaufbau nachzuweisen: Theoriebautechnische Vorentscheidungen, Differenzhandhabung und ihre Implikationen, in Werner Krawitz/Michael Welker (edd.) Kritik der Theorie sozialer Systeme: Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk (Frankfurt 1992), pp. 71–85,83. Die Behauptung Starnitzkes, daß Luhmanns Theorie und Darstellung weitaus mehr […] Linearität aufweisen, als Luhmann zugibt“ (80) gilt jedoch nur für den von Starnitzke herausisolierten Gedankengang, nicht für die Theorie insgesamt. Festhalten kann man, daß die Nichtlinearität der Luhmannschen Theorie sich auf jeden Versuch, diese Theorie zu rekonstuieren, überträgt: co-konstitutive Begriffe lassen sich nicht linear rekonstruieren. Es gibt daher, soweit ich sehe, auch keine wirklich gelungene Rekonstruktion der Theorie Luhmanns. Sie zwingt vielmehr jeder Auseinandersetzung in extremer Weise das auf, was sie selbst thematisiert: Reduktion von Komplexität.

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  13. Luhmanns Systemtheorie hat sich in ihrem Verlauf zu einer Theorie autopoietischer Systeme entwickelt, vor allem unter dem Einfluß der chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Gabor Kiss, Grundzüge der Entwicklung der Luhmann-schen Systemtheorie (Stuttgart 1990), pp. 1,17, spricht von einer „autopoietischen Wende“ der Theorie Luhmanns seit ca. 1980. Das Autopoiesiskonzept ist jedoch in der Entwicklung der Theorie, die schon sehr früh (1973) mit Begriffen wie „Selbstthematisierung“ (SA-2,72–103) arbeitet, angelegt und vorbereitet;

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  14. cf. hierzu auch Walter Reese-Schäfer, Luhmann zur Einführung(Hamburg, 1992), p.52sq. Anmerken muß man, daß der Begriff der Autopoiesis weder bei Luhmann noch sonst ein konsistentes Gesamtbild ergibt. Er steht zusammen in einer Reihe mit anderen Begriffen wie Selbstorganisation, Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung, Selbstproduktion, Selbstreferenz, Reflexion. Um eine Klärung hat sich unter anderen der Rechtssoziologe Gunther Teubner bemüht. Er schlägt vor, Selbstreferenz als den allgemeinsten Begriff der Reihe zu fassen und definiert: Selbstreferenz „umfaßt jegliche Zirkularität oder Rekursivität, in der eine Einheit in Beziehung zu sich selbst gerät“, Gunther Teubner, Hyperzyklus in Recht und Organisation: zum Verhältnis von Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Autopoiese, in Haferkamp/Schmidt, Sinn, Kommunikation …, op.cit., pp.89–128,97. Teubner geht dann weiter so vor, daß die beiden Bestandteile des Begriffs weiter differenziert und so verschiedene Arten des ‚Selbst‘ und verschiedene Arten des ‚Referierens‘ unterscheidet;cf. hierzu Teubner, Episodenverknüpfung: Zur Steigerung von Selbstreferenz und Recht, in Dirk Baecker et.al. (edd.), Theorie als Passion: Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag (Frankfurt 1987), pp.423–443,427sq. Die „Typologie des Selbst“ enthält diejenigen Dinge, denen man generell die >Fähigkeit zur Selbstreferenz zusprechen kann: Traditionellerweise ausschließlich menschlichem Bewußtsein, heute (unter dem Eindruck der Selbstorganisationstheorien) allgemeiner bestimmten System- und Prozeßtypen. Bei der „Typologie des Referierens“ unterscheidet Teubner die „harten“ Systemoperationen wie Produktion und Reproduktion von den „weichen“ Operationen wie Organsiation, Information un d Kontrolle“ (Hyperzyklus, p.99). Selbstproduktion bezeichnet die Fähigkeit von Systemen, ihre „Bestandteile als emergente Einheiten selbst herzustellen“ (Episodenverknüpfung, 428) und rekursiv zu einem Netzwerk zu verknüpfen, während Selbstreproduktion die Fähigkeit bezeichnet, diesen Prozeß dauerhaft aufrechtzuerhalten. Die weichen Operationen wie Selbstorganisation und Selbstkontrolle können dagegen nicht nur Systemen, sondern allgemeiner auch Elementen, Strukturen, Prozessen, Grenzen und Funktionen zukommen. Selbstorganisation bedeutet den Aufbau von (beobachtbarer) Ordnung aus ungeordneten oder weniger geordneten Zuständen, wobei dieser Aufbau eben nicht auf externen ‚Ordnern‘ beruht, sondern sich selbst organisiert. Der Begriff der Selbstbeobachtung bezeichnet dann wiederum eine Systemfä-higkeit, nämlich die Produktion und rekursive Verknüpfung von Elementen nicht nur faktisch zu vollziehen, sondern diese Operationen mit Hilfe der eigenen Operationen auch nachzuvollziehen bzw. zu thematisieren. Als ein Spezialfall liegt dann Reflexion vor, wenn sich die Selbstbeobachtung an der Einheit des Systems orientiert. Teubner schlägt schließlich vor, Autopoiesis als den anspruchsvollsten Begriff aufzufassen, nämlich als eine „eigenartige Verknüpfung“ (Episodenverknüpfung, p.428) der selbstreferentiellen Vorgänge der Selbstproduktion, der Selbstreproduktion und der Selbstbeobachtung.

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  15. Gegen mögliche Mißverständnisse ist also hier schon zu betonen, daß Autopoiesis nicht bedeutet, daß ein System seine Elemente in jeder Hinsicht selbst produziert. Selbstproduktion operiert auf einer Grundlage, das heißt auf einem „materiellen, energetischen und informationellen Unterbau“ und besteht darin, diesen Unterbau „so zu organisieren, daß neue im System benutzbare Einheiten konstituiert werden“; so Gunther Teubner, Epsi-sodenverknüpfung, op.cit., p.428. Autopoiesis beruht also auf einem Emergenz-Konzept; cf. hier zu Wolfgang Krohn/Günter Küppers (edd.) Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung (Frankfurt 1992).

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  16. Zur Anwendung des Autopoiesiskonzeptes in der Neurophysiologie cf. etwa Gerhard Roth, Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit, in Siegfried J. Schmidt (ed.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus (Frankfurt 1987), pp.229–255; ders, Kognition: Die Entstehung von Bedeutung im Gehirn in Krohn/Küppers (edd.), Emergenz, op.cit., pp. 104–133,122;

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  17. ders., Das konstruktive Gehirn: Neurobiologische Grundlagen von Wahrnehmung und Erkenntnis, in Siegfried J. Schmidt (ed.), Kognition und Gesellschaft: Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2 (Frankfurt 1992), pp. 277–336.

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  18. Worauf es dem Gehirn ankommt, sind „Unterscheidungen zwischen Relationen relativer neuronaler Aktivitäten durch Beziehungen zwischen relativen neuronalen Aktivitäten usw. usw. in potentiell rekursiver Weise“; Humberto Maturana, Kognition, in Siegfried J. Schmidt (ed.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus (Frankfurt 1987), pp. 89–118, 106.

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  19. Wolfgang L. Schneider, Objektives Verstehen — Rekonstruktion eines Paradigmas: Gadamer, Popper, Toulmin, Luhmann (Opladen 1991), p. 198, sieht in dem Schema von Problem und Problemlösung die Grundstruktur der Luhmannschen Theorie.

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  20. Zum Begriff der Emergenz cf. Manfred Stöckler, Emergera: Bausteine für eine Begriffsexplikation, in Conceptus 22 (1990), pp.7–24.

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  21. Cf. Ludwig von Bertalanffy, General System Theory: Foundations, Development, Applications (New York 1968), pp. 39–41.

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  22. Cf. Humberto R. Maturana, Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit (Braunschweig 1982).

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  23. Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie: Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie (Husserliana VI, ed. Walter Biemel, Den Haag 1954), p. 102.

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  24. Die Begriffe Sinn und Bedeutung brauchen im folgenden nicht genauer unterschieden zu werden. Beide Begriffe werden sowohl im Alltagsverständnis als auch in der Literatur — mit Ausnahme Freges — weitgehend synonym benutzt. Auch Husserl verzichtet explizit auf eine genauere Unterscheidung: „Bedeutung gilt uns […] als gleichbedeutend mit Sinn“; Logische Untersuchungen II, 1, (Husserliana XIX, ed. Ursula Panzer, Den Haag 1984), p.58. Wenn Sinn und Bedeutung unterschieden werden, assoziiert man mit Bedeutung eher die besondere Sphäre sprachlicher Zeichen, während Sinn zumeist unspezifischer benutzt wird; cf. hierzu Ernst Wolfgang Orth, Bedeutung, Sinn, Gegenstand: Studien zur Sprachphilosophie Edmund Husserls und Richard Hönigswalds (Bonn, 1967) 207–220.

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  25. Willem van Reijen, Die Funktion des Sinnbegriffs in der Phänomenologie und in der Systemtheorie von N. Luhmann: Ein Diskussionsbeitrag zur Wahrheitsfrage in der Phänomenologie und ihrer Transformation in der Systemtheorie, in Kantstudien 70 (1979), pp. 312–323,317;

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  26. cf. hierzu auch Ludwig Landgrebe, Phänomenologie und Geschichte (Gütersloh 1968), p.14: „Intentionalität ist damit begriffen als […] eine Leistung konstituierender Sinnbildung.“

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  27. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, (Husserliana III, 1, neu ed. Karl Schuhmann, Den Haag 1976), p.120.

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  28. So Schwemmer, Handlung und Struktur, op.cit., p.246; cf. hierzu auch aus phänomenologischer Perspektive Bernhard Waldenfels, Jenseits des Subjektprinzips, in Herta Nagl-Docekal/Helmut Vetter (edd.), Tod des Subjekts? (Wien/München 1987), pp.78–85,82: Eine produktive Wechselrede, die mehr ist als die Verwendung vorgeprägter Formeln […], läßt sich nicht spiegelbildlich aufbauen aus zentrifugalen Aktionen und zentripetalen Passionen, denn die Antwort, die einer gibt, setzt eine Anfrage fort oder geht auf eine Anforderung ein, so daß ein Wort das andere ergibt. […] Eine solche Wechselrede und Wechselhandlung behält stets etwas von einem Ereignis; denn das, was sich zwischen uns abspielt, läßt sich nicht zurückfuhren und aufteilen auf ‚Einzelsubjekte‘, die etwa als spontane Urheber von Äußerungen und Handlungen oder auch nur als Quelle von Akten aufträten“. Diese Auffassung findet sich ähnlich schon bei Gadamer: „Wir sagen zwar, daß wir ein Gespräch ‚führen‘, aber je eigentlicher ein Gespräch ist, desto weniger liegt die Führung desselben in dem Willen des einen oder anderen Partners“; Wahrheit und Methode (Tübingen, 4. Aufl. 1975), pp.350sqq.

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  29. Dilthey bestimmt die „Kategorie der Bedeutung“ durch den „Zusammenhang des Erlebens in seiner konkreten Wirklichkeit“, wobei die Bedeutung eines einzelnen Erlebnisses „nicht in einem Einheitspunkte“ besteht, „der jenseits des Erlebnisses läge“ — also z.B. in einem Subjekt -, „sondern diese Bedeutung ist in diesen Erlebnissen als deren Zusammenhang konstituierend erhalten“; Wilhelm Dilthey, Texte zur Kritik der historischen Vernunft (ed. Hans-Ulrich Lessing, Göttingen 1983), p.239sq. Auch die Sinnkonzeption von Alfred Schütz folgt diesem Modell: der „spezifische Sinn eines Erlebnisses“ besteht „in der Einordnung dieses Erlebnisses in den vorgegebenen Gesamtzusammenhang der Erfahrung“;

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  30. Der sinnhafte Auflau der sozialen Welt, (Frankfurt 1974) p. 104. Zur aktuellen Diskussion cf. Reinhard Kreissl, Text und Kontext: Die soziale Konstruktion wissenschaftlicher Texte (München 1985), pp.125–142.

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  31. Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (Gesammelte Schriften VII, ed. Bernhard Groethuysen, Stuttgart/Göttingen 1958), p. 153. Schon Dilthey kommt also einer Position nahe, die auf die privilegierte Stellung des Subjektbegriffs bei der Verortung von Sinn ganz verzichtet, allerdings bleibt die psycho-physische Lebenseinheit Mensch letzter Bezugspunkt aller Sinnzusammenhänge: „Die Grundform des Zusammenhanges entsteht […] in dem Individuum, das Gegenwart, Vergangenheit und Möglichkeiten der Zukunft zu einem Lebensverlauf zusammennimmt“; Der Aufbau der geschichtlichen Welt, op.cit., p. 156. Diltheys Sinnkonzeption läßt sich somit als eine Kombination aus Subjekt- und kontextorientierten Vorstellungen lesen. Ähnlich übrigens auch bei Alfred Schütz: der letztlich sinnstiftende Kontext ist für Schütz der Erlebniszusammenhang eines Ichs; cf. Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, op.cit. p. 104.

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  32. Arthur C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte (Frankfurt 1980), p. 23.

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  33. Maurice Merleau-Ponty, Die Prosa der Welt (München 1984), p.81. Das Problem ist allerdings doch schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint; eine differenziertere Diskussion müßte an Whitehead anschließen, der nicht im Rahmen einer Ethik, sondern auf der Basis einer Naturphilosophie meint, daß alles, was existiert, in sich selbst wert- und bedeutungsvoll ist;

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  34. cf. hierzu Rolf Lachmann, Ethik und Identität: Versuch einer Perspektive auf die Gegenwartsethik ausgehend von A.N. Whitehead (Diss., Düsseldorf 1990), pp. 39–50.

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  35. Cf. hierzu auch Lutz Ellrich, Die Konstruktion des Sozialen: Phänomenologische Motive in N. Luhmanns Systemtheorie in Zeitschrift für philosophische Forschung 46 (1992), pp.24–43.

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  36. Paul Janssen, Edmund Husserl (Freiburg/München 1976), p.39.

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  37. Heidegger, Sein und Zeit, (15. Aufl., Tübingen 1979), p.28.

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  38. Niklas Luhmann Vorwort, zu Jürgen Markowitz, Verhalten im Systemkontext: Zum Begriff des sozialen Epigramms; diskutiert am Beispiel des Schulunterrichts (Frankfurt 1986), pp. I-VI,II.

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  39. Worin man ja traditionellerweise die Funktion von Beispielen sieht: ein allgemeiner und abstrakter Begriff bzw. Gedankengang, der nicht durch ein Beispiel anschaulich belegt werden kann, bleibt, so etwa Kant, ein ‚gewagtes Abenteuer der Vernunft‘; cf. hierzu Ingeborg Heidemann, Die Funktion des Beispieles in der kritischen Philosophie, in Friedrich Kaulbach (ed.) Kritik und Metaphysik: Heinz Heimsoeth zum achtzigsten Geburtstag (Berlin 1966), pp. 21–39. Bei Luhmanns Beispielen dagegen kann von Veranschaulichung komplexer Theorieinhalte keine Rede sein, exemplarisch folgende Stelle: „Da ein soziales System (wie viele andere temporalisierte Systeme, wie alles Leben überhaupt) aus ereignishaften Momenten besteht, steht es in jedem Moment vor der Alternative: Aufhören oder Weitermachen. Die ‚Substanz‘ verschwindet sozusagen kontinuierlich und muß mit Hilfe der Strukturmuster reproduziert werden. Auf Handlung muß Handlung folgen — oder eben gar nichts! Die autopoietische Reproduktion setzt Strukturmuster voraus, aber sie kann auch aus der Situation heraus innovativ oder abweichend folgen, sofern nur das Handeln kommunizierbar, also sinnhaft verständlich und anschlußfähig bleibt. ‚Ich mag gar keinen Pflaumenkuchen‘, erklärt der Mann seiner überraschten Frau an seinem 57. Geburtstag im 31. Jahre seiner Ehe; und dann muß die Frage des Geburtstagskuchens neu entschieden werden“ (SoSy,474). Was besonders auffällt, ist die Diskrepanz zwischen dem enorm hohen Abstraktionsgrad der Theorie und der Banalität des gewählten Beispiels. Es wäre interessant, den Beispielen und deren Funktion in Luhmanns Theorie einmal genauer nachzugehen. Ich bin nicht der Meinung, daß hier nur der harmlose Sachverhalt vorliegt, daß Luhmann seinen Leser „amüsieren und unterhalten will“; cf. Reese-Schäfer, Luhmann zur Einführung, op.cit., p.54. Vielmehr wird durch die Wahl und Handhabung der Beispiele eine trotz aller Komplexität im Grunde unproblematische Welt suggeriert. Beim Leser entsteht der Eindruck, daß die Welt zwar hyper-komplex ist, sich jedoch — mit der richtigen Theorie! — in eigentlich unproblematische, banal-simple Beschreibungen auflösen läßt. Es gibt für Luhmann daher auch — etwa im Gegensatz zu Phänomenologen wie Merleau-Ponty — kein tastendes Ringen mit dem Phänomen. Der Phänomenkontakt besteht vielmehr in verstreut-lakonischen Hinweisen auf Geburtstagskuchen.

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  40. Bernhard Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt (Frankfurt 1985), p. 53.

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  41. Niklas Luhmann, Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst, in Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (edd.) Stil: Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselementes (Frankfurt 1986), pp.620–672,624.

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  42. Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen: Eine Philosophie der Kunst, (Frankfurt 1984).

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  43. Cf. hierzu auch aus ethnologischer Sicht Clifford Geertz, Die künstlichen Wilden: Anthropologen als Schriftsteller (München 1990).

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  44. Zum Beispiel in bezug auf die Standarddeutung unserer räumlichen Wirklichkeit: Gegenstände und Zentralperspektive; cf. hierzu AAA Merleau-Ponty, Prosa der Welt, op.cit. pp.72sqq. Eine aktive, radikalisierte Phänomenologie der Entnormalisierungstechnik hätte übrigens nicht nur Parallelen zur Kunst, sondern auch zu den Wissenschaften, denn auch die Wissenschaften zerlegen unsere Alltagserfahrungen und produzieren neue Beschreibungen unserer gewohnten Wirklichkeit. Die Erforschung der atomaren und subatomaren Welt zum Beispiel bedeutet aus der Sicht der Lebenswelt in der Tat die Konstruktion einer „seltsamen und unerwarteten Wirklichkeit“; so etwa Fritjof Capra, Wendezeit: Bausteine für ein neues Weltbild (Frankfurt 1991), p. VII.

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  45. Edmund Husserl, Analysen zur passiven Synthesis (Husserliana XI, ed. Margot Fleischer, Den Haag 1966), p.4. Diese — uns mittlerweile vertraute — Entdeckung hat Husserl anscheinend so erstaunt, daß sie „irgendwie auf alle seine konkreten Konstitutionsanalysen abgefärbt hat“;

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  46. cf. Klaus Held, Einleitung zu Edmund Husserl, Die Phänomenologie der Lebenswelt: Ausgewählte Texte II (Stuttgart 1986) p. 14.

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  47. Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil: Untersuchungen zur Genealogie der Logik (Hamburg 1972, ed. Ludwig Landgrebe), p.60.

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  48. Der Begriff Aktualität taucht allerdings nicht explizit in Erfahrung und Urteil auf, sondern in Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge (Husserliana I, ed. S. Strasser, Den Haag 1950), §19.

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  49. Cf. hierzu Klaus Wiegerling, Husserls Begriff der Potentialität: Eine Untersuchung über Sinn und Grenzen der transzendentalen Phänomenologie als universaler Methode (Bonn 1984), p. 42.

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  50. Cf. etwa A. Gurwitsch, Beitrag zur phänomenologischen Theorie der Wahrnehmung, in Zeitschrift für philosophische Forschung 13 (1959), pp.419–437.

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  51. Luhmann bezieht sich hier auf J.M. Baldwin, Das Denken und die Dinge oder genetische Logik: Eine Untersuchung der Entwicklung und der Bedeutung des Denkens (3 Bde., Leipzig 1908–14), Bd. I, p. 227.

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  52. So Peter Fuchs, Niklas Luhmann beobachtet (Opladen 1992), p.29.

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  53. Cf. George Spencer Brown, Laws of Form (New York 1979). Die Differenzlogik Spencer Browns ist in Deutschland bisher nur durch die Rezeption Luhmanns bekannt. Luh-mann selbst dürfte über die kybernetische Erkenntnistheorie Heinz von Foersters auf Spencer Brown aufmerksam geworden sein; cf. Reese-Schäfer, Luhmann zur Einführung, op. cit., p.79. Aufgrund der grundsätzlichen Orientierung an Spencer Brown kann man Luhmanns Sinnkonzeption als eine differenztheoretische Sinnkonzeption bezeichnen; Luhmann tut dies selbst in Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie, in Merkur 42 (1988), p.292–300,293;

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  54. cf. auch Helga Gripp-Hagelstange, Niklas Luhmann — oder: Was ist ein ‚differenztheoretischer‘ Ansatz?, in Duisburger Beiträge zur soziologischen Forschung 4 (ed. Fachbereich 1, Soziologie, Universität Duisburg, 1989).

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  55. Man müßte hier fragen, ob die Behauptung Luhmanns von der absoluten Kontingenz der ersten Beobachtung wirklich zutreffend ist. Auf dem Abstraktionsniveau seiner Analyse hat Luhmann sicherlich recht: der unmarked state bietet keinerlei Anhalts- oder Orientierungspunkte, wie und wo eine Differenz bevorzugt anzusetzen hätte. Luhmann könnte sich hier auch auf Untersuchungen aus den Naturwissenschaften berufen; cf. etwa den Versuch, den Hermann Haken beschrieben hat: eine Kugel wird in die Mitte eine Schale mit zwei Vertiefungen gelegt. Es kann nun nicht vorhergesagt werden, welchen Symmetriebruch die Kugel vollzieht, das heißt in welcher Vertiefung die Kugel ein stabiles Gleichgewicht findet, die beiden Möglichkeiten sind völlig gleichberechtigt — beide sind möglich, keine notwendig -, der Symmetriebruch ist absolut kontingent, er wird einfach vollzogen; cf. Hermann Haken, Erfolgsgeheimnisse der Natur — Synergetik: Die Lehre vom Zusammenwirken (Frankfurt 1991), p. 109. Für den Bereich von Wahrnehmungsprozessen finden sich zu diesem Versuch Analogien in der Bistabilität der bekannten Kippfiguren (Vase/ Gesichtsprofile, Ente/Hase). Bistabil bedeutet, daß eine Kontur ihre begrenzende Funktion jeweils nach der einen oder anderen Seite ausüben kann und so abwechselnd die eine oder die andere Gestalt wahrgenommen wird, ohne daß dabei eine bestimmte Gestalt dominiert. Die Symmetriebrechung ist auch hier kontingent -, das heißt das Wahrnehmen der einen (und nicht der anderen) Gestalt wird einfach vollzogen. Das Phänomen der Bistabilität ist im Prinzip nicht auf Kippfiguren beschränkt, sondern jedes zweidimensionale Muster, auf dem nur Konturen vorhanden sind, ist bistabil. „Die Gestaltgesetze der Figurbildung machen jedoch jeweils eine Version um so viel wahrscheinlicher, daß es normalerweise sehr schwer ist, solche Symmetriebrechungen zu erleben“;

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  56. cf. Michael Stadler/Peter Kruse, Gestaltteorie und Theorie der Selbstorganisation, in Gestalt Theory 8 (1988), pp. 75–98,91. Stadler und Kruse weisen auch darauf hin, daß sich Symmetriebrechungen ebenso im Bereich menschlichen Handelns finden: es gibt Situationen, in denen dem Handelnden zwei oder mehr Alternativen als völlig gleichwertig erscheinen. Eine solche Konfliktsituation kann (hinzufügen muß man: im Selbstverständnis des Handelnden) nur dadurch beendet werden, daß er in einem Entscheidungsakt eine der möglichen Alternativen auswählt, das heißt eine Symmetriebrechung vollzieht. Auf der anderen Seite könnte man jedoch fragen, ob die Gesetze der Gestalttheorie (Konstanz, Prägnanz, ‚Gute Gestalt‘, ‚Gemeinsames Schicksal‘ usw.) wirklich kontingent sind oder ob es nicht vielmehr auch hier Grundlagen für erste Kontraste und Prägnanzen gibt, etwa im Sinne einer neurobiologischen Fundierung der Gestalttheorie: die Präferenzen für bestimmte Formen, Kontraste, Intensitäten sind nicht kontingent, sondern in der neuronalen Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns „stammesgeschichtlich oder früh-ontogenetisch festgelegt“;

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  57. so Gerhard Roth, Die Selbst-referentialität des Gehirns und die Prinzipien der Gestaltwahrnehmung, in Gestalt Theory 7 (1985), pp.228–244. Zur Verbindung von System- und Gestalttheorie insgesamt cf. Michael Stadler/Peter Kruse, Gestaltteorie und Theorie der Selbstorganisation, in Gestalt Theory 8 (1988), pp.75–98.

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  58. Rolf Lachmann, Ethik und Identität (Diss., Düsseldorf 1990) verwendet die Begriffe Integration und Individuierung im Hinblick auf die Prozeßphilosophie Whiteheads, zu der die Systemtheorie Luhmanns auch in diesem Punkt Affinitäten unterhält.

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  59. Der Mensch, op.cit., p. 160; Gehlen selbst benutzt den Begriff mit Hinweis auf Konrad Lorenz; Cassirer, der ihn ebenfalls verwendet, verweist auf Hans Volkelt, Über die Vorstellungen der Tiere (Leipzig 1914); cf. Philosophie der symbolischen Formen Bd. III, p. 140.

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  60. Parallelen zwischen Luhmann und Gehlen werden in der Literatur häufiger festgestellt, so etwa schon bei Jürgen Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie: Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann, in Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie: Was leistet die Systemforschungl (Frankfurt 1971), pp. 142–290,156sq. Luhmann selbst steht solchen Vergleichen eher kritisch gegenüber, er zählt Gehlen zur ‚alteuropäischen‘ Tradition; cf. (SaG,308).

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  61. So etwa auch bei Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns (2.Bd., Frankfurt 1981), bes. Bd. I, p. 106; Bd.2, pp. 189, 191;

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  62. Insbesondere in den Literaturwissenschaften; hier ist vor allem an Versuche zur Bestimmung des Epischen — als der eigentlichen Gattung des Erzählens — im Gegensatz zum Dramatischen und Lyrischen zu denken, wobei diese Versuche besonders durch die Entwicklung des modernen Romans seit Cervantes immer wieder produktiv in Frage gestellt werden; cf. hierzu immer noch einschlägig Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens (Stuttgart 1955).

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  63. Lämmert faßt die Diskussion seit Lessing und Herder zusammen, wobei seine Studie durchaus philosophische Züge besitzt, so bemüht er sich um eine „ontologische Vorbesinnung“ auf die „allgemeinsten Prinzipien des Erzählens (p. l6sq). Neben der Literatur- wäre vor allem die Geschichtswissenschaft zu nennen, wo sich ebenfalls eine Diskussion um den Begriff der Narrativität findet, die allerdings nicht zuletzt durch eine philosophische Arbeit mit geprägt worden ist, nämlich Arthur C. Dantos Analytischer Philosophie der Geschichte (Frankfurt 1980).

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  64. Eine längere narrative Tradition gibt es aber etwa auch in der Theologie, besonders innerhalb der Exegese, welche die typisch narrativen Erzählstrukturen des Alten und Neuen Testaments untersucht; cf. hierzu Klaus Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments (Göttingen 1984).

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  65. Die Ergebnisse der Einzelwissenschaften zusammenzufassen und zu systematisieren bemüht sich seit einiger Zeit eine strukturalistisch inspirierte Narratologie; cf. Gerald Prince, Narratology: The Form and Functioning of Narrative (Berlin/New York/Amsterdam 1982); ders., A Dictionary of Narratology (Nebraska 1987).

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  66. Um eine eigenständige Philosophie der Geschichten bemüht sich zuerst der Husserl-schüler Wilhelm Schapp; cf. Philosophie der Geschichten (Frankfurt 1981) sowie mit dem prägnanten Titel: In Geschichten verstrickt: Zum Sein von Mensch und Ding (Frankfurt 1985, 1. Aufl. 1953). Rezipiert worden sind die Arbeiten Schapps in der deutschsprachigen Philosophie allerdings nicht oder nur kaum; als Ausnahme cf. Hermann Lübbe, Bewußtsein in Geschichten: Studien zur Phänomenologie der Subjektivität: Mach, Husserl, Schapp, Wittgenstein (Freiburg 1972). Unter den neueren Versuchen um den Begriff der Narrativität ist vor allem Paul Ricoeur zu nennen: cf. Zeit und Erzählung (3 Bde., München 1988–91). Daneben finden sich in der neueren amerikanischen Diskussion mehrere narrative Ansätze;

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  67. cf. etwa Alasdair Maclntyre, Verlust der Tugend (Frankfurt/New York 1987),

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  68. David Carr, Time, Narrative, and History (Blommington, Indiana 1986),

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  69. Anthony Paul Kerby, Narrative and the Self (Blommington, Indiana 1991).

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  70. Luhmann setzt also eine wie immer minimal strukturierte Realzeit als Grundlage von zeitkonstituierenden Systemoperationen voraus. Man kann diese Voraussetzung mit dem Hinweis kritisieren, sie sei „nirgendwo in Luhmanns Werk“ bewiesen; cf. Sigrid Brandt, Systemzeit und Zeit sozialer Systeme: Zeitverständnis des Common sense als evidenzsichernde Größe?, in W. Krawietz/M. Welker (edd.), Kritik der Theorie sozialer Systeme: Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk (Frankfurt 1992), pp. 162–177, 163. Brandt hat allerdings unrecht, wenn sie behauptet, die von Luhmann vorausgesetzte Realzeit impliziere „die Annahme einer linear homogenen Zeitpunktreihe“ (177), etwa nach dem Vorbild der A-Reihe McTaggarts. Realitätsgrundlage bleibt allein der unspezifische Sachverhalt des Sichänderns, alles weitere ist bereits eine systemrelative Konstruktionsleistung. Die Annahme einer minimal strukturierten Realzeit steht im Einklang mit der weiter oben bereits erwähnten allgemeineren systemtheoretischen Annahme, daß sich Systeme nur in einer „nichtbeliebig strukturierten Umwelt“ (SoSy,31) ausbilden können.

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  71. Cf. ähnlich auch Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, op.cit., p. 478: „[…] meine Gegenwart ist zwar, wenn man so will, dieser Augenblick, aber ebensosehr dieser Tag, dieses Jahr, mein ganzes Leben“; cf. hierzu auch Kurt Röttgers, Der kommunikative Text und die Zeitstruktur von Geschichten (Freiburg 1982): „Alles, was gegenwärtig dauert, kann als Gegenwart aufgefaßt und ausgedrückt werden“ (p.133), dabei ist die „Ausdehnung des Feldes der Präsenzzeit […] durch Interessen gesteuert“ (p.194).

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  72. Cf. ähnlich auch Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt 1979), p. 149: „[…] dauerhafte oder weniger dauerhafte, jedenfalls längerfristige Strukturen [sind] Bedingungen möglicher Ereignisse“.

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Meuter, N. (1995). Die Selbstorganisation sinnhafter Identitäten: Niklas Luhmann. In: Narrative Identität. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04229-3_3

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