Zusammenfassung
„Die Fälschung ist die objektivierte Variante der Erdabgewandten Seite der Geschichte, eine Absage an beschwichtigende Deutungen, die, mit Blick auf die Erzählperspektive, glaubten, die Wahrnehmungen und Erkenntnis des Ich-Erzählers als subjektive Idiosynkrasien verniedlichen zu können.“1 Mit dieser Feststellung hat Alo Allkemper das Verhältnis der beiden Romane präzise erfaßt und dem Tenor vieler Rezensionen des zweiten Romans eine berechtigte Absage erteilt. Tatsächlich ist auch in der Fälschung das Problem der Identitätskonstitution und der Realitätsaneignung das zentrale Thema.
Er wollte endlich etwas aushalten, nicht mehr nur seine Weltferne mitten in Ereignissen. (F 259)
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Notizen
Alo Allkemper: „Warum sollte ich mich nicht in Widersprüche verwickeln?“ Nicolas Borns Probleme mit der Utopie. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie H.4 1984, S. 574–603, hier S. 601.
Die Kategorie „Journalistenroman“ erfaßt nur einen Teilaspekt des künstlerischen Textes. In vielen Rezensionen wurde sein „Inhalt“ unter diesem Etikett zusammengefaßt. Die zeitgenössische Kritik konnte den Roman in einer Reihe von Texten rezipieren. Allein für die Jahre 1976 bis 1984 verzeichnet Volker Lilienthal rund 80 Romane, die im Medienmilieu spielen. Vgl. Volker Lilienthal: Gegen die Welt. In: die tageszeitung v. 21.5.1984. Anne Koschik hat den Roman unter diesem Aspekt mit Monika Marons Roman „Flugasche“ verglichen.
Vgl. Anne Koschik: Der Journalist in der deutschen Erzählliteratur der 1970er und 1980er Jahre. (unv. Magisterarbeit Universität Köln 1986) In ihrer Monographie widmen Bosse/Lampen dem Thema „Schreiben“ ein eigenes Kapitel.
Vgl. Heinrich Bosse, Ulrich A. Lampen: Das Hineinspringen in die Totschlägerreihe. Nicolas Borns Roman „Die Fälschung“. München 1991, S. 33–51. Unter dem Arbeitstitel Im Schauplatz las Born einen Auszug aus dem unveröffentlichten Roman (NDR v. 4.4.1978). Die Unbestimmtheit bzw. Universalität dieses Titels ist bezeichnend. In der Druckfassung ist davon auf einer der rund achtzig Seiten, auf denen sich lektüreleitend kursiv hervorgehobene Wörter finden, der Ausdruck „Kriegsschauplatz“ (F 217) übrig geblieben.
Appelt hat die Situation und die Bedingungen im Libanon in einem Exkurs mit Hilfe entsprechender Quellen, die dort aufgeführt sind, kurz umrissen. Vgl. Appelt, Die leibhaftige Literatur, S. 54–57. Der Funktion des Krieges in dem Roman ist der Aufsatz von Ulrich A. Lampen gewidmet. Er untersucht weitergehend die Konditionen dieses Bürgerkriegs. Vgl. Ulrich A. Lampen: Born to be wild — Der Krieg in „Die Fälschung“. In: Krieg und Literatur/ War and Literatur No. 5/6 1991, S. 169–184.
Der zugrundeliegende Bericht des Sternreporters Kai Hermann verzeichnet die Ereignisse in Damur unter dem Datum des 21. Januar 1976 Vgl. Stern v. 29.1.1976. Die Reportagen von Kai Hermann sind in dem Buch zum Film Die Fälschung wiederabgedruckt. Vgl. Nicolas Born, Bernd Lepel, Volker Schlöndorff (Hg.): Die Fälschung als Film und der Krieg im Libanon. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 1981, S. 206ff.
Hugo Dittberner: Fegefeuer in Beirut. In: Literatur Konkret. Nr.4 (Herbst) 1979.
Marcel Reich-Ranicki: Der Durchbruch zum wahren Schmerz, zum Sehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 9.10.1979.
Franz Norbert Mennemeier: Roman der moralischen und sprachlichen Krise. In: Neues Rheinland Nr. 1 Jan. 1980.
Arnold Hottinger: Die Araber. Zürich 1960, bes. 212ff. Auf die Relevanz dieser Seiten bei Hottinger hat Lampen hingewiesen. Vgl. Lampen, Born to be wild — Der Krieg in „Die Fälschung“, Anm. 18.
Hedwig Appelt: Die leibhaftige Literatur. Das Phantasma und die Präsenz der Frau in der Schrift. Freiburg 1988, S. 260f.
Borns Trauer um die Unmittelbarkeit der Erfahrung kennt Jean Baudrillard nicht mehr. Er zeigt, daß neue Technologien die Unterscheidbarkeit von Realität und Fiktion endgültig aufheben. Das „Hyperreale“ wird zum einzig Realen deklariert. „Die wirkliche Definition des Realen lautet: das, wovon man eine äquivalente Reproduktion herstellen kann. […] Am Ende dieses Entwicklungsprozesses der Reproduzierbarkeit ist das Reale nicht nur das, was reproduziert werden kann, sondern das, was immer schon reproduziert ist. Hyperreal.“ Vgl. Jean Baudrillard: Die Simulation. Hier zitiert nach Wolfgang Welsch (Hg.): Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim 1988, S. 151–162, hier S. 159. (dt. zuerst in Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1982.)
Peter Scholl-Latour: Allah ist mit den Standhaften. Begegnungen mit der islamischen Revolution. Frankfurt a.M./Berlin, 1986, S. 388. Angaben und Zitat nach Bosse/Lampen, Das Hineinspringen in die Totschlägerreihe, S. 11f.
Franz Kafka: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. In: ders., Sämtliche Erzählungen. Hg. von Paul Raabe. Frankfurt a.M. 181982, S. 236.
Lampen, Born to be wild — Der Krieg in „Die Fälschung“, Anm. 29. Lampen bezieht sich auf Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Köln 1968, S. 231–249,
und Chiana Fallaci: Wir Engel und Bestien. Düsseldorf, Wien 1969, S. 226f. u. 250ff.) Remarques Text ist mit der Fälschung kontrastiert in Bosse/Lampen, Das Hineinspringen in die Totschlägerreihe, S. 91, der von Fallaci, a.a.O., S. 79. Mit einiger Berechtigung, die von der Räumlichkeit und dem Tatvorgang absieht und mehr die Teilnahmslosigkeit der eher passiven Hauptfiguren, die Zufälligkeit und Un Wirklichkeit der Tat in den Blick nimmt, ließe sich die Mordtat mit Meursaults Pistolenschuß auf den Araber in Camus „L’Etranger“ vergleichen. Hier fehlt ebenfalls eine Identifikation mit dem toten Feind, wie sie nur in Remarques Text vorkommt. Dafür stimmt das Unbeteiligtsein der Protagonisten von Born und Camus überein. Borns Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt hat in seinem letzten Fernsehinterview Born als den „deutschen Camus“ bezeichnet. Rowohlt hatte die beiden Autoren in den „Gedenkblättern“ bereits verglichen und damit indirekt auf die existentielle Fragestellung — über zeitgenössische Trends hinaus — bei Born aufmerksam gemacht. Vgl. H.M. Ledig-Rowohlt: Worte am Grab. In: Gedenkblätter für Nicolas Born, S. 142.
Heinrich Vormweg: Die Sicherheiten und Gefühle drohen sich zu verflüchtigen. Krieg als Metapher: Nicolas Borns neuer Roman „Die Fälschung“. In: Kölner Stadt-Anzeiger v. 879.12.1979.
Bosse/Lampen führen diesen Ausdruck als Titel eines Buches an, das sich mit der Rolle der Medien auf dem Schlachtfeld beschäftigt: Derrick Mecer, Geoff Mungham, Kevin Williams: The Fog of War. The Media on the Battlefield. London u.a 1987. Vgl. Bosse/Lampen, Das Hineinspringen in die Totschlägerreihe, S. 15.
Alo Allkemper: „Warum sollte ich mich nicht in Widersprüche verwickeln?“ Nicolas Borns Probleme mit der Utopie. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie H. 4 (1984), S. 601.
Hans Blumenberg: Vorbemerkungen zum Wirklichkeitsbegriff. In: Zum Wirklichkeitsbegriff. Hg. von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Mainz 1974, S. 11.
Vgl. etwa Hans-Werner Ludwig: Arbeitsbuch Romananalyse. Tübingen 1982, S. 94.
Diesen Gehalt akzentuiert Hermann Kurzke in seinem Kommentar. Vgl. Hermann Kurzke: Orientierungen der Prosa. In: Viktor Zmegac: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. III.2 1945–1980. Königstein/Ts. 1984, S. 556–572, hier S. 567.
In Damur registriert Laschen sehr genau seine Empfindungslosigkeit und sein Vergeblich-keitsgefühl bis zum Satz: „Er kannte all die Lähmungen schon, die diesem Gefühl folgten, den völligen Mangel an Empörung gegen das hier Sichtbare“ (F 178). Vgl. auch (F 237). Zumal in den 60er Jahren ist Empörung als die eigentliche Funktion der Öffentlichkeit verstanden worden und damit als eine Funktion der Aufklärung. Vgl. Hartmut v. Hentig: Öffentliche Meinung, Öffentliche Erregung, Öffentliche Neugier. Pädagogische Überlegungen zu einer politischen Fiktion. Göttingen 1969, S. 67.
Bodo Morshäuser: Die Berliner Simulation. Erzählung. Frankfurt a.M. 1983, S. 138.
Vgl Hubert Winkels: Einschnitte. Zur Literatur der 80er Jahre. Köln 1988, S. 203, 215 221, 222.
Jean Baudrillard: Agonie des Realen. Berlin 1978, S. 14f.
Vgl. Baudrillard, Agonie des Realen, S. 41, sowie Appelt, Die leibhaftige Literatur, S. 61. Henriette Herwig hat anhand von Ein Foto (nach und für Delius) und Baudrillards Begriff des Simulakrums eine kleine Probe davon gegeben, wie die Born-Lektüre unter Anwendung poststrukturalistischer Begrifflichkeiten fruchtbar gemacht werden kann. Vgl. Henriette Herwig: Postmoderne Literatur oder postmoderne Hermeneutik? Zur Theorie und Praxis der Interpretation zeitgenössischer Literatur am Beispiel von Peter Handke, Botho Strauß, Bob Perelman und Nicolas Born. In: KODIKAS/ CODE. Ars Semiotica. Vol. 13 (1990), No. 3/4. Tübingen: Narr, S. 241.
Peter Handke: Die Wiederholung. Frankfurt a.M. 1986, S. 101.
Rudolf Stegers: „Aber eines Tages werden alle Bilder wahr.“ Über Nicolas Born und seine Romane. In: Literaturmagazin 21. Hg. von M. Lüdke und D. Schmidt. Reinbek: Rowohlt 1988, S. 147–163, hier S. 161.
An dem Freud den „Zug einer aufdringlichen Mitteilsamkeit“ hervorhebt. Sigmund Freud: Trauer und Melancholie (1917). In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 10. Frankfurt 41967, S. 428–446, hier S. 433.
Berendse hat auf verschiedene Deutungsansätze hingewiesen. Er nennt das memento-mori-thema, die religiösen Motive oder eine Interpretation vor der Folie von Gryphius Gedicht „Trauerklage des verwüsteten Deutschland“ (1636). Mit Gryphius würde ein literarischer Bezugspunkt aus der Zeit der ersten Lyrik wieder aufgegriffen. Vgl. Gerrit Jan Berendse: Nachwort zu Radicale oogst. Utrecht: Uitgeverij Nota Bene 1986, S. 25ff.
Vgl beispielsweise Christiaan L. Hart Nibbrig: Rhetorik des Schweigens. Versuch über den Schatten literarischer Rede. Frankfurt 1981.
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Kremp, JW. (1994). „Dabeisein ohne Dasein“. Die Fälschung. In: Inmitten gehen wir nebenher. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04209-5_5
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