Zusammenfassung
Die Auffassung von Nietzsches aphoristischen Stilgebärden als Hüllen, die den unbekannten Gott Dionysos gleichnishaft umschreiben, haben wir oben mit den Formprinzipien der transzendentalen Moralistik Lichtenbergs, Goethes und der Frühromantik in Verbindung gebracht. Deren elliptische Konstruktion des Verhältnisses von Detail und Gesamtentwurf erweitert sich — wie wiederum Gerhard Neumann gezeigt hat1 — zu dem Entwurf des Romans als eines »Gegenaphorismus«, der alle Einzelaphorismen zum umfassenden »Buch« zusammendenkt. Bleibt Lichtenbergs Romanentwurf in seinen Ansätzen stecken, so haben Novalis und Schlegel die Konstellation von Fragment-Roman-Enzyklopädie theoretisch begründet und darstellerisch durchgespielt. Goethe schließlich hat in den Wahlverwandtschaften und den Wanderjahren dem Spannungsverhältnis von Roman und Aphorismengruppe die ausbalancierteste Gestalt gegeben. Es ist Ottilie, der in den Wahlverwandtschaften die eingelagerten Aphorismengruppen zugeschrieben werden, wobei der Verfasser zu verstehen gibt, daß sie die Maximen und Reflexionen nur zum Teil selbst verfaßt, zum anderen Teil exzerpiert oder aus Gesprächserinnerungen kompiliert hat.2 Der nicht auflösbare Konflikt von anarchischem Leben und gesetzlicher Ordnung ist der Gegenstand des Romans und keine der Hauptpersonen trägt diesen Konflikt mit solcher Schärfe in sich aus wie Ottilie: nur im Tod kann sie der Liebe und der Ordnung zugleich die Treue halten.
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Notizen
Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. München, 1971, S. 102 ff.
Zu einem Vergleich der Motive des Empedokles und des Zarathustra vgl. Vivetta Vivarelli: Empedokles und Zarathustra: Verschwendeter Reichtum und Wollust am Untergang. In: Nietzsche-Studien Bd. 18 (1989), S. 509–536.
Max Kommerell: Notizen zu George und Nietzsche. In: Essays, Notizen, Poetische Fragmente. Aus dem Nachlaß hrsg. v. Inge Jens. Otten / Freiburg im Breisgau, 1969, S. 225–250. Hier: S. 225.
Otto H. Olzien: Nietzsche und das Problem der dichterischen Sprache. Berlin, 1941, S. 46.
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Thönges, B. (1993). Der Zarathustra als verhindertes Drama. In: Das Genie des Herzens. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04182-1_13
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