Zusammenfassung
Worauf die Kunst der Gegenwart im Verborgenen vielsagend anspielt, das darf eine normative Ethik nicht verschweigen. Umgibt sie sich mit dem stummen Hauch des Geheimnisvollen, steigert sich ihre Anziehungskraft nicht: sie verfehlt ihr Ziel. Das höchste Gebot der Ethik ist Offenbarung1, die Offenbarung einer Lehre von Normen und Werten, die naturgemäß nicht aus den Dingen selbst sprechen kann. Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten in menschlichen Handlungen und die Festlegung sittlicher Prinzipien geht ihres Sinnes verlustig, wenn sie sich im Netz erkenntnistheoretischer Mutmaßungen über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Subsumtion eines subjektiv Einzelnen unter ein objektiv Allgemeines bereits verfängt. Dem Wort, als dem Instrument der Verständigung, muß eine normative Ethik blindes Vertrauen schenken, weil sie sich nur durch diese fraglose Indienstnahme gegen die Ästhetik behaupten kann. Nur unter dieser Prämisse einer verläßlichen Sprache vermag ethisches Denken einzutreten für eine sittliche Ordnung des Lebens, die verpflichtenden Charakter hat und nicht nur der Willkür situationsbedingter Stimmungsschwankungen unterliegt. Kontinuität, Verbindlichkeit und eine Hierarchie von gut und schlecht, das sind die Ideale, in deren Dienst die Ethik sich gestellt hat und in deren Namen sie gegen die unterschiedslose Vergänglichkeit und Beliebigkeit empirischer Wirklichkeit sich wendet.
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III. Ethik und Geschichte
Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd.7, S.649
vgl. hierzu Siegfried Kracauer, Die Wartenden, in: Das Ornament der Masse, Frankfurt/M. 1977, S.106ff: “Es ist das metaphysische Leiden an dem Mangel eines hohen Sinnes in der Welt, an ihrem Dasein in einem leeren Raum, das diese Menschen zu Schicksalsgefährten macht. (…) Sie leiden im Kern an ihrem Vertriebensein aus der religiösen Sphäre, an der ungeheuren Entfremdung, die zwischen ihrem Geist und dem Absoluten herrscht.”
Béla Balázs, zit. nach Ferenc Fehér, Das Bündnis von Georg Lukács und Béla Balázs bis zur ungarischen Revolution von 1918, in: Agnes Heller, Ferenc Fehér, György Markus, Sándor Radnóti, Die Seele und das Leben, Studien zum frühen Lukács, Frankfurt/M. 1977, S.141
Friedrich Schlegel und Novalis. Biographie einer Romantikerfreundschaft in ihren Briefen, hrsg. von Max Preitz, Darmstadt 1957, S.43
Alberto Asor Rosa, Der junge Lukács — Theoretiker der bürgerlichen Kunst, in: Lehrstück Lukács, hrsg. von Jutta Matzner, Frankfurt/M. 1974, S.99
Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W.Adorno und Gershom Scholem, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1974, Erster Band, Erster Teil, S.287f
vgl. hierzu v.a. Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, Bd.1 Irrationalismus zwischen den Revolutionen, Darmstadt und Neuwied 1983, S.84ff
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Kruse-Fischer, U. (1991). Ethik und Geschichte. In: Verzehrte Romantik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04161-6_4
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