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Zusammenfassung

Diese hochnötige und erst spät aufgelöste Mitteilung stammt von einer Briefeschreiberin, die, nach eigenem Bekenntnis, bei Erzählungen ohne nach rechts und links abzuschweifen, ohne wer weiß wie weit auszuholen und ganz ohne Eitelkeit, nur das nötigste sagte, nur ein wenig die Eingeweihte spielte, der nur nicht unterstellt werden durfte, sie wisse keine Neuigkeiten und die immer der Meinung dessen war, mit dem sie zuletzt gesprochen hatte, von einer Literatin demnach, deren Briefe für Geliert zum Vorbild wurden, von Marie de Rabutin Chantal, Marquise de Sévigné.2 Die hohe Schule der gebildeten Plauderei einer klassischen Salonkünstlerin — kein größerer Gegensatz ließe sich denken zu dem kleinstädtischen Jahrhundert der Aufklärung, wie es Jean Paul im ‘Siebenkäs’ beschrieb, zu Kuhschnappel und Krähwinkel in Flachsenfingen, zu der wundersüchtigen “abderitischen Conversation”, deren Physiognomie Wieland kenntlich machte3 oder zu der spießigen Residenzstadt Weimar, die Kotzebue in ‘Die deutschen Kleinstädter’ vorführte. Man war “von ein paar Dutzend Ohren umringt”, es gab stets “Etwas Nagelneues” dort, wo der “Alltagsmensch”, der “Schönschwätzer” lebte, exemplarisch dargestellt in den Kaffeedamen Frau Unter-Steuer-Einnehmerin Staar und Frau Ober-Floss- und Fisch-Meisterin Brendel, deren unermüdlich wiederholtes “Wissen Sie schon — Ach ich weiß alles”4 eine Heiratsgeschichte mit einem anderen Mittel hinauszögerte: dem Klatsch.

“Jetzt melde ich Ihnen die erstaunlichste, überraschendste, herrlichste, wunderbarste, frohlockend-siegreichste, verwirrendste, einzigartigste, außergewöhnlichste, unwahrscheinlichste, unerwartetste, größte, kleinste, seltenste, alltäglichste, aufsehenerregendste, bis heute geheimste, glanzvollste, beneidenswerteste Tatsache der Welt, etwas, wofür es in den vergangenen Jahrhunderten nur ein einziges Beispiel gibt, und sogar dieses Beispiel stimmt nicht ganz; (..) etwas, um dessentwillen jedermann ach und weh schreit, (..) etwas endlich, das nächsten Sonntag vor sich gehen soll, und dann wird, wer es sieht, seinen Augen nicht trauen. Also am Sonntag soll es geschehen, doch wird es vielleicht am Montag nicht geschehen sein. Ich kann mich nicht entschließen, es Ihnen zu sagen. Sie dürfen dreimal raten. Sie geben auf? Also muß ich es sagen: Herr von Lauzun heiratet am Sonntag im Louvre, erraten Sie wen? Ich wette hundert gegen eins, daß Sie es nicht erraten, tausend gegen eins.”1

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Fauser, M. (1991). Klatsch und Causerie. In: Das Gespräch im 18. Jahrhundert. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04158-6_17

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04158-6_17

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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