Zusammenfassung
Wolfram nimmt auch als Liederdichter einen bedeutenden Platz in der Literaturgeschichte ein. Wir kennen neun Lieder von ihm. Die Mehrzahl davon gehört zur Gattung Tagelied, die bis dahin im deutschen Minnesang eine sehr bescheidene Rolle gespielt hatte und erst durch Wolfram ihre ausgeprägte Form erhielt. Tagelieder besingen den Trennungsschmerz der Liebenden beim Anbruch des Tages. Dieses Thema ist zu allen Zeiten lyrisch behandelt worden, im alten Ägypten, in China, im klassischen Griechenland, im europäischen Mittelalter und in vielen modernen Literaturen. Die Geschichte des mittelalterlichen Tagelieds ist in wichtigen Punkten unklar. Es gab offenbar eine volkstümliche Tradition, der das älteste deutsche Tagelied (Slâfest du, vriedel ziere?, MF 39, 18) zugerechnet wird, das unter dem Namen Dietmars von Eist überliefert ist. Das höfische Tagelied entstand im 12. Jh. in Südfrankreich. Das früheste Zeugnis für die Rezeption der provenzalischen ›Alba‹ in Deutschland ist das Tagelied Heinrichs von Morungen (Owê, sol aber mir iemer mê geliuhten dur die naht, MF 143, 22). Aber erst Wolfram hat der neuen Form die Bahn gebrochen. Seine Abhängigkeit von provenzalischen Mustern ist jedoch schwer zu beurteilen, weil es nur wenige ›Alben‹ gibt, die sicher ins 12. Jh. datiert werden können.
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Literatur
Text und Übersetzung
Grundlegend für die Beschäftigung mit Wolframs Liedern ist jetzt: Peter Wapnewski, Die Lyrik WsvE, 1972 (dazu: Eberhard Neilmann, Zu Wapnewskis Ausgabe der Wolframlieder, ZfdPh. 96, 1977, S. 383–393).
Hier wird, gleichermaßen musterhaft in der Methode wie in der Sache, jedes einzelne Lied diplomatisch und kritisch ediert, kommentiert, interpretiert und übersetzt.
Wolframs Lieder sind außerdem ediert
von Karl Lachmann in seiner Wolfram-Ausgabe von 1833, 71952 (vgl. dazu S. 90), S. 3–10.
von Albert Leitzmann in seiner Wolfram-Ausgabe von 1902–1906, Heft 5, 51963, S. 185–194.
von Hugo Moser und Helmut Tervooren in ihrer Neubearbeitung von: Des Minnesangs Frühling, 361977, Bd. I, S. 436–451; Erläuterungen, Bd. II, S. 116–119.
von Carl von Kraus in: Dt. Liederdichter des 13. Jh.s, Bd. I, 21978, S. 596–604. Dazu der ausführliche textkritische Kommentar in Bd. II, 21978, S. 646–707.
von Wolfgang Mohr in: WvE, ›Titurel‹, Lieder, Mhd. Text und Übersetzung, 1978, mit einer poetischen Übersetzung (S. 75–99).
Untersuchungen und Interpretationen
Hermann Paul, Kritische Bemerkungen zu mhd. Gedichten, 1. Zu Wolframs Liedern, Beitr. 1, 1874, S. 202–205.
Eduard Rück, Zu Wolframs Liedern, Beitr. 22, 1897, S. 94–114.
Kurt Plenio, Beobachtungen zu Wolframs Liedstrophik, Beitr. 41, 1916, S. 47–128.
Georg Keferstein, Wolframs Liebesdichtung, Dt. Volkstum 20, 1938, S. 505–511.
Jan H. Schölte, Wolframs Lyrik, Beitr. 69, 1947, S. 409–419.
Wolfgang Mohr, Wolframs Tagelieder, in: Festschr. f. Paul Kluckhohn u. Hermann Schneider, 1948, S. 148–165.
Lotte Hanemann, Die Lieder WsvE, Diss. [masch.] Hamburg 1949.
Arthur T. Hatto, On Beauty of Numbers in Wolfram’s Dawn Songs (An Improved Metrical Canon), MLR 45, 1950, S. 181–188.
Helmuth Thomas, Wolframs Tageliedzyklus, ZfdA 87, 1956/ 57, S. 45–58, wieder in: WvE, hrsg. v. H. Rupp, 1966, S. 585–601.
Peter Wapnewski, Wolframs Walther-»Parodie« und die Frage der Reihenfolge seiner Lieder, GRM 39, 1958, S. 321–332.
Karl Heinz Borck, Wolframs Lieder, Philologische Untersuchungen, Habil.schr. [masch.] Münster 1960.
Irmengard Rauch, Wolfram’s Dawn Song Series: An Explication, Monatshefte 55, 1963, S. 367–374.
Peter Wapnewski, Wächterfigur und soziale Problematik in Wolframs Tageliedern, in: Der Berliner Germanistentag 1968, hrsg. v. K. H. Borck u. R. Henss, 1970, S. 77–89.
Henry Kratz, A View of Wolfram’s Lyrics, Semasia 2, 1975, S. 167–186.
Jürgen Vorderstemann, Antiästhetische Poesie als Moment gesellschaftlicher Wirklichkeit, Die Lyrik WsvE in der Sicht von Karl Bertau, Neoph. 59, 1975, S. 254–261.
Zu einzelnen Liedern
Carl von Kraus, Wolframs Tagelied 7, 41, in: Miscellanea Academica Berolinensia, Gesammelte Abhandlungen zur Feier des 250jährigen Bestehens der Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Bd. II, 1, 1950, S. 89–96.
Wolfgang Mohr, WvE, Ursprinc bluomen …, in: Die dt. Lyrik, hrsg. v. B. v. Wiese, Bd. I, 1956, S. 78–89, wieder in: WvE, hrsg. v. H. Rupp, 1966, S. 570–584.
Peter Wapnewski, WvE: Den morgenblich bi wahtaeres sange erchôs (Lachmann Nr. 1), in: Interpretationen mhd.er Lyrik, hrsg. v. G. Junghluth, 1969, S. 227–246.
Ders., Wolframs Tagelied: Von der zinnen wil ich gen (Lachmann Nr. 5), in: Wolfram-Studien I, 1970, S. 9–27.
Joachim Heinzle, Textkritische Notiz zu Wolframs erstem Tagelied, ZfdA 101, 1972, S. 143–145.
Dieter Kartschoke, Ein sumer bringet (zu Wolframs Tagelied Von der zinnen wil ich gen), Euph. 66, 1972, S. 85–91.
Eberhard Neilmann, Swie der tac erschein, Zu Wolframs erstem Tagelied, in: Studien zur dt. Literatur und Sprache des Mittelalters, Festschr. f. Hugo Moser, 1974, S. 113–118.
Roswitha Wisniewski, Stil und Gehalt der (unechten?) Wolframlieder VIII und IX, in: Philologische Studien, Gedenkschrift f. Richard Kienast, 1978, S. 41–53.
Leslie P. Johnson, Sîne klâwen, An Interpretation, in: D. H. Green and L. P. Johnson, Approaches to WvE, 1978, S. 295–334.
Karl Heinz Borck, Wolframs Tagelied Den morgenblic bî wahtaers sange erkôs, Zur Lyrikeines Epikers, in: Studien zur dt. Literatur, Festschr. f. Adolf Beck, 1979, S. 9–17.
Walter Röll, WvE, Ursprinc bluomen, in: Wolfram-Studien VI, 1980, S. 63–82.
Über die Gattung ›Tagelied‹ orientiert am gründlichsten das große Sammelwerk:
EOS, An Enquiry into the Theme of Lovers’ Meetings and Partings at Dawn in Poetry, Ed. by A. T. Hatto, London, Den Haag, Paris 1965.
Das Kapitel über die deutschen Tagelieder des Mittelalters stammt von Arthur T. Hatto (S. 428–472), das über die provenzalischen albas und die altfranzösischen aubes von B. Woledge (S. 344–389). Zum höfischen Tagelied vgl. ferner:
Arthur T. Hatto, Das Tagelied in der Weltliteratur, DVjs. 36, 1962, S. 489–506, wieder in: A. T. Hatto, Essays on Medieval German and Other Poetry, Cambridge 1980, S. 68–89.
Dietmar Rieger, Zur Stellung des Tagelieds in der Trobadorlyrik, ZfrPh. 87, 1971, S. 223–232.
Ulrich Müller, Ovid ›Amores‹ — alba — tageliet, Typ und Gegentyp des ›Tageliedes‹ in der Liebesdichtung der Antike und des Mittelalters, DVjs. 45, 1971, S. 451–480.
Wolfgang Mohr, Spiegelungen des Tagelieds, in: Mediaevalia litteraria, Festschr. f. Helmut de Boor, 1971, S. 287–304.
Jonathan Saville, The Medieval Erotic Alba, Structure and Meaning, New York, London 1972.
Ulrich Knoop, Das mhd. Tagelied, Inhaltsanalysen und literarhistorische Untersuchungen, 1976.
Alois Wolf, Variation und Integration, Beobachtungen zu hochmittelalterlichen Tageliedern, 1979 (Wolfram: S. 117–152).
Dietmar Rieger, Tagelied (›Alba‹), in: Les genres lyriques, Tome 1, Fasc. 5, 1979 (= Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. II), S. 44–54.
Über die spätere volkstümliche Tradition des Tagelieds vgl.
Gisela Rösch, Kiltlied und Tagelied, in: Handbuch des Volksliedes, hrsg. v. R. W. Brednich, L. Röhrich, W. Suppan, Bd. I, 1973, S. 483–550.
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Bumke, J. (1981). Lieder. In: Wolfram von Eschenbach. Sammlung Metzler. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04142-5_2
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