Zusammenfassung
Seit langem wird von vielen Sprachfreunden kritisch beobachtet, daß der Formenreichtum des deutschen Verbs, namentlich bei den unregelmäßigen Verben, kontinuierlich abnimmt. Veränderungen im Formenbestand und bei den Funktionen einzelner Formen im Hinblick auf temporale, aspektuelle und modale Referenz vollziehen sich an folgenden Punkten:
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Ehemals starke Verben gehen in die Klasse der schwachen Verben oder Mischklassen über (fragen — fragte/frug, backen — backte/buk, melken — melkte/molk u. a., bei denen die abgelauteten Formen veraltet sind). Ähnliches ist auch bei einigen Imperativen zu beobachten, z.B. helf ihm mal, geb das her, tret mal drauf auch in der Reklame: »Interesse? Dann bewerbe Dich doch einfach!« (Sparkasse, 1995); all diese Formen sind normwidrig. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß die unregelmäßigen Verben ganz verschwinden, denn sie decken semantisch zentrale Bereiche ab, kommen also sehr oft vor, und sie sind die Basis für eine große Anzahl von Komposita, was ihre Frequenz weiter erhöht.
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Der ›Schwund des Präteritums‹, also die Ersetzung von präteritalen durch Perfektformen, nimmt zu.
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Das Plusquamperfekt verliert Terrain an das Perfekt, was mit dem fortschreitenden Abnehmen der Verbindlichkeit der ›consecutio temporum‹, einer aus dem Lateinischen stammenden Stilnorm, zusammenhängen dürfte.
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Die Formen des Futurs I werden zunehmend durch ein Zeitadverbial und eine Verbform im Präsens ersetzt. Das Futur I gerät in die Nähe modaler Bedeutungen (Erwartungsmodus). Das Futur II (Futurperfekt) scheint sich tendenziell ebenfalls in diese Richtung zu entwickeln und wird im Gesprochenen oft mit entsprechenden Partikeln ((doch) wohl, (sicherlich) bald u. a.) verbunden. Die aspektuellen Funktionen des Futurs II (Ausdruck der Abgeschlossenheit eines Vorgangs in der Zukunft) übernimmt oft das Perfekt:
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(1)
Morgen wird Elisabeth den Stundenplan fertig (geschrieben) haben.
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(1i)
Morgen hat Elisabeth den Stundenplan fertig (geschrieben).
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(1)
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Die Perfektformen der Modalverben werden systemgerecht, aber normwidrig anstelle der normgerechten Infinitivfügungen verwendet, z.B.
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(2)
Peter hat arbeiten gemußt/gesollt/gedurft/gekonnt.
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(2)
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Glück, H., Sauer, W.W. (1997). Zu den Formen und Funktionen des Verbs. In: Gegenwartsdeutsch. Sammlung Metzler. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04110-4_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04110-4_5
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-04110-4
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