Marxistische Wertungslehren

Zusammenfassung

Was leistet Dichtung? Ist sie eine (spezifische) Symbolsprache zur Aneignung und Bewältigung von Wirklichkeit? Wenn ja: welche Wirklichkeit eignet sie an? Ist es eine gesellschaftliche, eine historische, eine individuelle, eine allgemeinmenschliche? Die traditionell-bürgerliche Antwort auf diese Frage lautet etwa folgendermaßen: »Dichtung enthält kein Urteil über einen Sachverhalt, dem sie sich anzugleichen hätte; sondern Dichtung beschwört eine bildhafte, eine selbstgenügsam-schwebende Wirklichkeit, über die hinauszufragen sinnwidrig wäre.« (J. Pfeiffer: Über das Dichterische und den Dichter, 1956, S. 14) Dichtung beschwört ihre eigene Wirklichkeit, eine mithin nicht erkannte, sondern von ihr selbst erschaffene. Hätte sich Dichtung einem Sachverhalt anzupassen, wäre sie, mit anderen Worten, ein Erkenntnis medium, so würde das ihrer hehren Selbstgenügsamkeit Abbruch tun. Wenn ein solches Ableugnen jeglicher Erkenntnisfunktion von Kunst auch nicht in allen idealistischen Literaturtheorien anzutreffen ist, so ist die Erkenntnisfunktion doch jeweils so weit eingeschränkt, daß sie niemals auf eine kritische Wirklichkeitsbewältigung abzielt. »Wirklichkeit« kann sich sinnvollerweise nur auf diese oder jene Wirklichkeit beziehen, meint immer etwas Historisch-konkretes; Dichtung hingegen soll das Wesentliche und Zeitlose gestalten.