Zusammenfassung
Goethes Newton-Lob ist bekanntlich nicht ohne Tücke, und im weiteren Verlauf des historischen Aufrisses in der Farbenlehre werden aus der Wohlorganisiertheit und Wohltemperiertheit umgehend innere Unfreiheit und sektiererharte Beharrlichkeit, aus denen sich Goethe Newtons Festhalten an der Farbtheorie der Opticks erklärt. Goethes Charakteristik ist weitaus leichter zu verstehen als viele andere Passagen der Schriften zur Farbenlehre. Aussagen wie die, in denen er über den »starken Charakter« und die »Moralität« Newtons urteilt, machen klar, daß ›Forschertugend‹ zwar kein eingeführter Terminus ist, aber einigermaßen deutliche Vorstellungen sammelt. Er sei in erster Annäherung als Dachbegriff verstanden, um Kennzeichnungen etwa des Typs ›die Sorgfalt Helmholtz’‹, ›das für eine chirurgische Operation erforderliche Fachwissen‹ oder auch umfängliche Äußerungen wie »Dümgé hatte viele einschlagende Kenntnisse und war unermüdlich fleißig, aber dumm, boshaft, eigennützig«2 unter einen Titel zu bringen. Ehe wir zu einer forschungstheoretischen Verwendung gelangen, soll allerdings hinreichend verdeutlicht sein, welche Vorstellungen der Ausdruck transportiert.
»Was muß das aber für ein eigener Mann sein, den seine Geburt, seine Fähigkeiten zu mancherlei Anspruch berechtigen und der alles ablehnt und ruhig seinem von Natur eingepflanzten Forscherberuf folgt! Newton war ein wohlorganisierter, gesunder wohltemperierter Mann ohne Leidenschaft, ohne Begierden.«1
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Anmerkungen
Goethe, J. W., »Newtons Persönlichkeit«, in: »Materialien zur Geschichte der Farbenlehre«, in: Goethes Werke, Bd. 14, hg. v. D. Kuhn, Hamburg 1960, S. 170–77, S. 171.
Bemerkung Johann Friedrich Böhmers über den ersten hauptamtlichen Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica. Zit. Fuhrmann, H., »Gelehrtenleben — Über die Monumenta Germaniae Historica und ihre Mitarbeiter«, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45/1994, S. 558–72, S. 560.
Historische Aufschlüsse zur Tugendepistemologie enthält bes. Zagzebski, Virtues. Zagzebskis Aufriß beruht allerdings auf der stiefmütterlichen bzw. -väterlichen Behandlung nicht-kognitiver Fähigkeiten im Anschluß an Aristoteles’ Deutung der theoria (Eth. Nic., B. 10, 7, 1187a2–4). Breiter setzt Maimonides in den ›Acht Kapiteln‹ an. S. den Vergleich bei Frank, H., »›… With all your Heart and With All Your Soul‹: The Moral Psychology of the Shemonah Peraqim«, in: Cohen, R. S. u. Levine, H. (Hg.), Maimonides and the Sciences, Dordrecht 2000, S. 25–33. Wie am gegeben Ort leicht zu ersehen, ist die Tendenz der weiteren Ausführungen eher ›maimonidisch‹ als aristotelisch.
Als Verteidigungsbemühungen s. Horgan, T., u. Woodward, J., »Folk Psychology is Here to Stay«, Philosophical Review 94/1985, S. 197–225; Jackson, F., u. Pettit, P., »In Defense of Folk Psychology«, Philosophical Studies 59/1990, S. 31–54. Goldman, A. I., »Consciousness, Folk Psychology, and Cognitive Science«, Consciousness and Cognition 2/1993, S. 364–382; ders., »The Psychology of Folk Psychology«, Behavioral and Brain Sciences 16/1993, S. 15–28.
Nach dem kognitionswissenschaftlich gewendeten Muster Balduin Bählamms (»Ohrfeige nennt man diese Handlung — der Forscher nennt es Kraftverwandlung.«) verfährt Paul Churchland in einer neueren Darstellung, wo Politik, Religion u. a. m. integriert werden sollen (The Engine of Reason — The Seat of the Soul, Cambridge/Mass. 1995, Kap. 10.); auf der nämlichen Linie Churchland, P. M., »Toward a Cognitive Neurobiology of the Moral Virtues«, Topoi 17/1998, S. 83–96.
S. die Aufrisse und Literaturhinweise von Stemmer, P., »Tugend (I. Antike)«, in: Ritter u. Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10. Sp. 1532–48, Schönberger, R., »Tugend (II. Mittelalter), a.a.O., Sp. 1548–1554; Höffe, O., u. Rapp, Ch., »Tugend. III. Neuzeit«, a.a.O., Sp. 1554–1570. Eine bunte Sammlung auf der Basis einer Bestimmung von Tugend als Disposition zu Präferenzen und Vermeidungsverhalten enthält Pincoffs, E. L., Quandaries and Virtue — Against Reductivism in Ethics, Kansas 1986; zu den Schwierigkeiten von Abgrenzungsversuchen s. a. ders., »Virtues«, in: Becker, L. J., u. Becker, C., (Hg.) The Encyclopedia of Ethics, Bd. 2, London 1992, S. 1283–88.
S. außer den — übrigens den Informationsaustausch erleichternden — Verfahrensweisen vieler Fachlexika den Titel von Untersuchungen wie Arete bei Platon und Aristoteles (Krämer), Techne und Arete (Kube), Virtutes Romanorum (Classen), Virtus Romana (Eisenhut), Fides (Freyburger), dementia Caesari (Dahlmann).
Einige Überlegungen dazu bei von Stemmer, P., »Tugend (I. Antike)«, Sp. 1532 f.
Elementa Rhetorices Libri Duo, 1542, in: Corpus Reformatorum, Bd. 13, hg. K. G. Bretschneider, Halle 1846, Bd. 13, Nachdruck New York 1963, Sp. 417–508, Sp. 425; Vgl. dazu Knape, J., Philipp Melanchthons ›Rhetorik‹, Tübingen 1993.
Staatl. Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Ausst. Kat. Nr. 67, Abb. 97.
Musées Royaux des Beaux-Arts, Brüssel, Inv. Nr. 156. Hier nach Mai, E., u. Vlieghe, H., (Hg.), Von Bruegel bis Rubens — Das goldene Jahrhundert der flämischen Malerei — Ausstellung des Wallraf-Richarz-Museums, Köln 1992, Abb. 77.1.
Platon, Menon 74a.
Eth. Nic. 1097b6 ff.
Sachtleben, R., »Max von Pettenkofer«, in: Der Natur die Zunge lösen — Leben und Leistung großer Forscher, hg. v. W. Gerlach, München 1967, S. 250–61, S. 260 f.
Vgl. De partibus animalium 645a26 ff.
Die vermutlich einflußreichste Infragestellung wird mit großem Nachdruck in dem meistgelesenen Forschungsresümee aller Zeiten formuliert. Es findet sich in dem vermutlich hellenistisch beeinflußten Buch Kohelet, eine der sog. Megillot, die an bestimmten jüdischen Festtagen vorgetragen werden und zum Kanon der christlichen Bibel zählen: »Ich bemühte mich, in Weisheit zu erforschen und zu ergründen, was sich unter dem Himmel vollzieht. Eine undankbare Mühe hat Gott den Menschen zugedacht. […] und suchte Weisheit und Einsicht, um zu erkennen Frevel, Narrheit, Torheit, Unverstand« (Kohelet 1, 13, 7, 25 — Die Ausdrücke ›erforschen‹ und ›ergründen‹ sind Übersetzungen von hebr. ›lidrosch‹ und ›lator‹; Weisheit entspricht ›chochmah‹. Mit ›Einsicht‹ ist ›cheschbon‹ wiedergegeben). Kohelets Befund nimmt die späteren Haltungen der Kirchenväter vorweg und bahnt eine Aufnahme des Forschers ins Narrenschiff an, die später zum Topos wird.
Fontenelle, B. de, »Du bonheur«, in: ders., Œuvres, Bd. 3, S. 203–17, S. 217.
MacIntyre, A., After Virtue, 2. Aufl. Notre Dame 1984.
S. besonders das Kapitel XV von Il Principe über vermeintliche Laster, die der Herrschaft förderlich, und vermeintliche Tugenden, die ihr abträglich sind. Insofern Staatstheorie tendenziell alle Menschen berührt, ist das Verhältnis zu einer universalen Ethik natürlich weitaus brisanter als im Fall von Forscherhaltungen. Nicht zufällig stiftet Machiavellis Werk auch eine mächtige antimachiavellistische Bewegung mit berühmten Dokumenten, darunter dem bekannten Buch des Preußenkönigs.
Kluge, F., Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. Aufl., bearbeitet v. E., Seebold, Berlin 1989, S. 744.
Geliert, C. F., Dichtungen, hg. v. A. Schulern, Leipzig 1891, S. 299 u. 291.
Den Erklärungsaspekt hebt Brandt, »Structure« hervor. Er spielt ohnehin eine selbstverständliche Rolle bei der Verwendung des Tugendbegriffs in der politischen Theorie. Die Verschränkung von Bewertung, Beschreibung und Erklärung wird in zahlreichen Formulierungen faßbar: Von den Römern heißt es bei Machiavelli, sie hätten das getan, was »tutti e’ savi principi« getan hätten, und allgemein gelte, es müsse ein kluger Mann den von großen Männern bereits beschrittenen Wegen folgen (»Uno uomo prudente intrare sempre per vie battute da uomini grandi«), woraus sich der Erfolg neuer Fürstenherrschaften herleiten lasse. Zit. nach Machiavelli, N., Il Principe — Der Fürst, ital. dt., hg. v., Ph. Rippel, Stuttgart 1986, Kap. III, S. 20 u. 41.
Die Frage der sog. »naturalistic fallacies« im Anschluß an Moores Kritik in den Principia Ethica (1903) bzw. Humes Vorläufertum ist hier kein Thema, da nicht beabsichtigt ist, Forschertugenden aus Gattungsmerkmalen abzuleiten. Da es indes wichtig ist, mögliche Belehrungsverhältnisse offenzuhalten, sei eine differenzierende Bemerkung zur gängigen Kritik gemacht: Normative Behauptungen können in Effizienzbehauptungen mit kleinem appellativen Rest transformiert werden, so daß sich normative Ansätze durchaus in gehörigem Ausmaß zu deskriptiven bzw. explanativen Zwecken nutzen lassen. Vgl. oben Kapitel 1.4. Eine solche Eingrenzung eines appellativen Restes läuft parallel mit Hares Unterscheidung zwischen präskriptivem und deskriptivem Gehalt von Begriffen und wird in der Language of Morals (1952) in eine Ethik der Imperative umgesetzt.
Zu solchen Projekten anhand eines normativen Schlüsselbegriffs s. Engels, E.-M., »Ethik und biologische Utopie«, in: Ethik der Biowissenschaften — Geschichte und Theorie. Beiträge zur 6. Jahrestagung der DGGTB in Tübingen 1997, Berlin 1998, S. 319–40.
Eine populär gehaltene Darstellung ist die von Ridley, M., Die Biologie der Tugend — Warum es sich lohnt, gut zu sein, engl. 1996, übers. v. A. Johansen u. A. Weiland, Berlin 1999. Philosophisch belehrter s. Edel, A., Ethical Judgment: The Use of Science in Ethics, Glencoe/Ill., 1985; ders., »Naturalism and the Concept of Moral Change«, Proceedings and Adresses of the American Philosophical Association 60/1987, S. 823–40.; kritisch dazu s. Pincoffs, E. L., »Ethics as an Explanatory Undertaking«, in: Horowitz, I. L., (Hg.), Ethics, Science, and Democracy, New Brunswick 1987, S. 29–37. Eine ähnliche Richtung nimmt die Kritik an MacIntyres narrativen Handlungserklärungen bei Schneewind, J. B., »Virtue, Narrative and Community«, Journal of Philosophy 79/1982, S. 653–663.
Vgl. Wallace, J. D., Virtues and Vices, Ithaca 1978, S. 40 ff.
Rawls, J., Eine Theorie der Gerechtigkeit, amerik. 1971, übers. v. H. Vetter, 10. Aufl. Frankfurt 1998, S. 476.
Vgl. Wallace, Virtues, S. 40 ff.
Diese Zuordnung schließt ein, daß Thesen des Inhalts, handlungsbezogene Warum-Fragen (s. außer den Vorgaben Anscombes in der neueren Literatur etwa Rungaldier, E., Was sind Handlungen? Eine Auseinandersetzung mit dem Naturalismus, München 1996, S. 90 f. et passim) zielten in jedem Fall auf Absichten, schlichtweg falsch sind. Auf die Frage ›Warum gab A in der Prüfung nur zutreffende Antworten?‹ liefert der Motivhinweis keine relevante Antwort.
Vgl. die Untersuchungen des Gewichts und der Verbreitung der Frage nach befähigenden Faktoren bei MacClure, J., u. Hilton, D., »Because You Can’t Always Get What You Want: When Preconditions are better Explanations«, British Journal of Social Psychology 36/1997, S. 223–240; Malle, B. F., »How People Explain Behavior: A New Theoretical Framework«, Personality and Social Psychology Review 3/1999, S. 23–48; Malle, B. F. u. a., »Conceptual Structure and Social Function of Behavior Explanations — Beyond Person-Situation Attribution«, erscheint in: Journal of Psychology and Social Psychology, »Malle, B. F. u. a., »Folk Explanations of Intentional Action«, erscheint in: ders., u. a. (Hg.), Intentions and Intentionality: Foundations of Social Cognition, Cambridge/Mass.
Machiavelli, Principe, Kap. XIX, S. 152.
Ich lasse offen, ob die unterstellte Zweckrationalität sich — wie in der gewöhnlichen Rationalen Entscheidungstheorie vorgesehen — als Maximierungsbedingung oder lediglich als Bedingung der besten Mittelwahl unter Zeitdruck (›satisficing‹) bzw. — noch schwächer — von hinreichend Tauglichem darstellt. S. dazu Sylvan, R., »Modern Myths Concerning Rationality: The Imperatives of Consistency and (Constrained) Maximality«, in: Biderman, S., u. Scharfstein, B.-A., (Hg.), Rationality in Question, Leiden 1989, S. 29–57.
Zu diesem im alltäglichen Räsonieren verbreiteten, aber schwer rekonstruierbaren Komplex und seinen Varianten s. Rescher, N., Plausible Reasoning, Assen 1976, u. Collins, A., u. Michalski, R., »The Logic of Plausible Reasoning: A Core Theory«, Cognitive Science 13/1989, S. 1–49. Speziell zur Nutzung des Mangels s. Reiter, R., »A Logic for Default Reasoning«, Artificial Intelligence 13/1980, S. 81–132.
Sie sind zum Teil Gegenstand der in unterschiedlichen Fächern betriebenen Persönlichkeitsforschung (s. als ausgezeichneten Überblick die Abhandlung von Matthews, G., u. Deary, I. J., Personality Traits, Cambridge 1998, die Integrationsmöglichkeiten von Befunden so unterschiedlicher Fachgebiete wie der Biologie und Klinischen Psychologie herausstellt), weisen aber je nach Eigenart über deren Arbeitsfeld hinaus. Speziell der Tauglichkeitsfaktor Fachwissen ist durchgehendes Thema institutioneller Forschung und Lehre.
Das prognostische Potential von Tugendzuschreibungen läßt erkennen, daß sich bei einiger Vorsicht kein Rechtfertigungszirkel (z. B. (i) ›A vollzieht die redliche Aktion A, weil sie ein redlicher Mensch ist.‹ (ii) ›As Redlichkeit erkennt man an der Durchführung von H.‹ Vice versa.) schließt. Auf diesen Vorwurf laufen die Einwände von Audi, R., »Acting from Virtue«, Mind 104/1995, S. 449–471, u. Conley, S., »Flourishing and the Failure of the Ethics of Virtue«, Midwest Studies in Philosophy 13/1988, S. 83–96, hinaus. Die Vermeidung einer Zirkularität gelingt dann, wenn die Bestimmung eines Handlungserfolges nicht bzw. (wenn man an ein ›bootstrapping‹ denkt) nicht vollständig auf der Anwendung des jeweils verwendeten Tugendprädikates beruht. Wenn die aktuelle Leistung eines Mitarbeiters auf der Grundlage früherer (in einer Tugendprädikation mündenden) Erfahrungen prognostiziert oder erklärt wird, liegt keine Zirkularität vor. Die Erklärungstauglichkeit von Tugendbegriffen hängt damit zusammen, daß Tugenden situationsübergreifende Qualitäten sind.
Da es nur um einen eng umrissenen Aspekt geht, verpflichten wir uns dabei weder einer fragwürdigen Vereinheitlichung noch einer grellen Kontrastierung. S. zur Korrektur in der ersten Hinsicht Annas, J., »Ancient Ethics and Modern Morality«, Philosophical Perspectives 6/1992, S. 119–36. Sie problematisiert unter Hinweis auf die Eigenheit stoischer Lehren u. a. die übliche Entgegensetzung von Agenten- und Handlungsbezug, egoistischer und sozialer Orientierung sowie die Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung von Verantwortungsproblemen. Ein Beispiel für eine oberflächliche Kontrastierung ist Crisp, R., »Virtue Ethics«, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy, hg. v. Craig, E., London 1998, Bd. 9., S. 622–66; s. a. ders., »Moral Philosophy and the Virtues«, in: Crisp, R. (Hg.), How should one Live? Essays on the Virtues, Oxford 1996, S. 1–18. Kritisch zu solchen Tendenzen s. Höffe, O., »Aristoteles’ universalistische Tugendethik«, in: Rippe., K. P., u. Schaber, P., (Hg.), Tugendethik, Stuttgart 1998, S. 42–67; s.a. ders., »Aristoteles oder Kant — wider eine plane Alternative«, in: ders., (Hg.), Die Nikomachische Ethik, Berlin 1995, S. 277–304.
Eine ideengeschichtlich aufschlußreiche Kontextualisierung der »Tugendlehre« der Metaphysik der Sitten und des Aufsatzes Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen unter dem genannten Aspekt findet sich bei Annen, M., Das Problem der Wahrhaftigkeit in der Philosophie der deutschen Aufklärung — Ein Beitrag zur Ethik und zum Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Würzburg 1997. Allgemein s. Lehmann, G., Kants Tugenden. Neue Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie, Berlin 1980.
Vgl. etwa auch Rawls, Theorie: »Tugenden sind Haltungen, d. h. Systeme von Neigungen, die von einem Bedürfnis höherer Ordnung bestimmt sind, in diesem Fall dem Bedürfnis, den entsprechenden moralischen Grundsätzen gemäß zu handeln« (S. 291). Sie seien »Gesinnungen und Gewohnheiten, die uns zu Handeln gemäß bestimmten Grundsätzen des Rechts veranlassen« (S. 476). Die Formulierung des Originals entspricht eher dem traditionellen Sprachgebrauch (»habitual attitudes«): A Theory of Justice, Cambridge/Mass. 1971, S. 437.
Das Eigengewicht der Tugendlehre ergibt sich bei Kant aus einer komplexen Fassung der am ehesten (ii) entsprechenden Überlegung. Die ›Tugendlehre‹ der Metaphysik der Sitten (1797) richtet sich nicht zufällig auch auf eine Anleitung, »sich moralisch gesund zu halten« (Kant’s Gesammelte Schriften, hg. v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 6, Berlin 1914, S. 485). Die Erfüllung von Pflichten läuft: mit einem inneren Prozeß, dem einer moralischen Kultivierung des Individuums, zusammen. Die jeweils aktuelle Tugendhaftigkeit eines Individuums im Sinn der Kraft zur Pflichterfüllung hat demgemäß einen Vorlauf. In der Schrift über Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) heißt es ausdrücklich, der Tugendbegriff sei »unentwickelt« bereits im Menschen vorhanden und habe etwas zur Moralität »Hinleitendes«, insofern der Mensch sich »durch diese Idee schon in gewissem Maße veredelt« fühle. S. dazu Schaller, W. E., »Kant’s Architectonic of Duties«, Philosophy and Phenomenological Research 48/1987, S. 299–314.
Cicero, De fin. 4, 11.
Descartes, R., Les passions de l’âme, hg. v. P. d’Arcy, Paris 1996, § 157, 159 f.
Argument von Frankena, W., Ethics, 2. Aufl. Englewood Cliffs 1973, S. 63 ff.
Der meistdiskutierte Fall ist Kants unbedingtes Lügenverbot im Blick auf eine Nothilfesituation. Kantianisch der Situation entsprechen, hieße wohl, der Pflicht zu helfen gleichen Rang mit dem Wahrhaftigkeitsgebot einzuräumen, wobei aber der Vorteil der Entscheidungsvorgabe verloren geht.
Vgl. Williams, B., »Acts and Omissions, Doing and Not Doing«, in: Virtues and Resons — Philippa Foot and Moral Theory, hg. v. R. Hursthouse u. a. Oxford 1995, S. 331–40.
Diese und weitere passende Äußerungen über das ›Getriebensein‹ vieler Wissenschaftler zusammengestellt bei Wolpert, L., u. Richards, A., Passionate Minds — The Inner World of Scientists, Oxford 1997, S. 5 f.
Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. u. kommentiert von F. Dirlmeier (Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 6), Berlin 1983, S. 34.
Müller, A. W., Was taugt die Tugend? — Elemente einer Ethik des guten Lebens, Stuttgart 1998, S. 138 ff.
S. Müller, Tugend, S. 38.
Vgl. die Argumentation in der Nachbarschaft von Buridans Esel bei Damasio, A. R., Descartes’ Error, New York 1994, S. 169. Tendenziell verwandt de Sousa, R., Die Rationalität des Gefühls, engl. 1987, Frankfurt 1996.
Alchemies, S. 289 ff.
Louden, R. B., »Einige Laster der Tugendethik«, amerik. 1984, in: Rippe, K. P., u. Schaber, P., (Hg.), Tugendethik Stuttgart 1998, S. 185–212, 195 f.
Vgl. in einer gewissen Parallelität die Wiederaufnahme der Idee der fortitudo moralis im Konzept der motivationalen Kraft zur Ergänzung der intentionalen Seite von Handlungsgründen bei Mele, A. R., »Motivational Strength«, Nous 32/1998, S. 23–36. Aber solche Vorstellungen (›eiserner Wille‹ u. ä. m.) konfundieren motivationale Gründe mit kausalen Faktoren, speziell den hier interessierenden Befähigungen. Befähigende Faktoren tragen zur Bildung von Absichten wie auch zu ihrer Realisierung bei, sind aber selbst nicht willensanbhängig (s. a. Kapitel 2.5).
Mach, E., Erkenntnis und Irrtum — Skizzen zur Psychologie der Forschung, 5. Aufl. Leipzig 1926, S. V.
Vgl. Nischik, T.-M., »Forscher — Eine etymologische Studie, unter besonderer Berücksichtigung von Konrad von Megenburgs ›Buch der Natur‹«, in: Konzeption und Begriff der Forschung in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts, hg. v. A. Diemer, Meisenheim 1978, S. 1–10.
Majer, M., Atalanta fugiens, hoc est, Emblemata nova de Secretis Naturae Chymica, Oppenheim 1617, S. 177; Abbildung des in der Werkstatt Merian d. Ä. entstandenden Stichs und Kurzkommentar in Charpa, U., Philosophische Wissenschaftshistorie — Grundsatzftragen/Verlaufsmodelle, Braunschweig 1995, S. 155 f.; ausführlich zur Person und zum Werk des Prager Hofarztes und Kepler-Kollegen s. Jong, H. M. E. de, Michael Maier’s ›Atalanta fugiens‹ — Sources of an Alchemical Book of Emblems, Leiden 1969, u. ders., »Randbemerkungen zu Michael Maiers ›Atalanta fugiens‹, in: Penkeret, S., (Hg.), Emblem und Emblematikrezeption — Vergleichende Studien zur Wirkungsgeschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Darmstadt 1978, S. 160–74.
Diese äußerst wichtige Gruppe ist bislang kaum beachtet worden, woran vermutlich Vorurteile, speziell hinsichtlich kurzfristiger Nutzenorientierungen, Schuld tragen. Aber erstens gibt es durchaus so etwas wie eine pauschale gesellschaftliche Nutzenserwartung in bezug auf alle Forschergruppen, zweitens kann industrieinterne Forschung sich unter Umständen durchaus in ähnlicher Liberalität vollziehen wie akademisch organisierte. Eine differenzierende Untersuchung zum Thema ist die von Hounshell, D. A., u. Smith, J. K., Science and Corporate Strategy — Du Pont R&D, 1902–1980, Cambridge 1989.
Zu der bekanntesten der damaligen Spannungen s. Boas Hall, M., ›All Scientist’s Now‹ — The Royal Society in the Nineteenth Century, Cambridge 1984. Zur mit der wissenschaftssozialen Entwicklung korrespondierenden Begriffsgeschichte in Deutschland, wo durch die romantische Naturphilosophie eine zusätzliche Komplizierung statthatte, s. König, G., »Naturwissenschaften«, in: Ritter u. Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 6, Sp. 641–650. 1985 fand eine Tagung der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte zum Thema statt. S. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 9/1986, S. 137–197, 201–46.
Vgl. die Übersicht über die von der Royal Society getragenen Entdeckungsfahrten bei Boas Hall, ›Scientists‹, S. 199 ff.; auch die — nicht von der Royal Society unterstützte — Fahrt Darwins mit der Beagle gehört in diesen Zusammenhang.
Aufschlußreich dazu die Beiträge in Diemer (Hg.), Konzeption u. Begriff der Forschung.
»I communicate because I have to, both orally and in writing, but it’s not a side of science that I enjoy«, charakterisiert sich Anne McLaren, die britische Zoologin in einem BBC-Interview mit dem Biologen Lewis Wolpert, abgedr. in: Wolpert u. Richards, Minds, S. 219. Max Born scheint ungleich mehr Spaß an der Mitteilung verspürt zu haben, die sachliche Prioritätensetzung bleibt davon unberührt. 1920 berichtet er in einem Brief an Sommerfeld über die institutionelle Vorbereitung der Stern-Gerlach-Versuche zur Ablenkung von Atomen: »Das einzige, was ich jetzt mache, ist die Bearbeitung einiger populärer Vorträge über Relativitätstheorie, die ich herausgeben will; das macht mir großen Spaß und strengt nicht an. Die Vorträge habe ich im Januar gehalten für Eintrittsgeld und 6000 Mark für mein Institut zusammenbekommen. Mit diesem Geld haben wir das Institut ganz ordentlich in Gang gebracht. Sterns Ablenkungsversuch ist endlich schön gelungen.« Brief v. 5.3.1920, zit. in Meyenn, K. v., »Ist die Quantentheorie milieubedingt?«, in: ders., (Hg.) Quantenmechanik und Weimarer Republik, Braunschweig/Wiesbaden 1994, S. 3–58, S. 48. Einer seiner Nachfahren in der Epoche der Big Science, der Generaldirektor des CERN Carlo Rubbia, setzt die nämliche Unterscheidung voraus und begründet den Ausstieg aus seiner Leitungsfunktion mit dem Wunsch, wieder ein ›richtiger‹ Forscher zu sein. Vgl. Wolpert u. Richards, Minds, S. 202.
Vgl. die Typisierungen im Blick auf die Modelle der Kumulation, Optimierung und Wahrheitsannäherung in Charpa, Wissenschaftshistorie, Kap. II, 1.7; 2.2; 3.1 u. 3.7.
S. dazu besonders die Beschäftigung mit dem Gyrokompaß, beschrieben bei Galison, Experiments, Kap. 2.5.
Maßgeblich ist Crombies, A. C., Styles of Scientific Thinking in the European Tradition: A History Of Argument And Explanation Especially In The Mathematical And Biomedical Sciences And Arts, 3 Bde. London 1994. S. a. unten Kapitel 3.5.2.3.
Slobodkin, L., Rez. Old Wine, New Flasks: Reflections on Science and Jewish Tradition, hg. v. R. Hoffmann u. S. Leibowitz Schmidt, New York 1997, Endeavour 22,1/1998, S. 36.
KrV A 511/B 539.
S. das gleichnamige Werk, Leipzig 1909.
Zit bei Gould, P. A., »Making Space for Women in the History of Physics«, Endeavour 22,1/1998, S. 24–26, S. 24.
Vgl. die Hinweise zu Eleonor Sidgwick, Helen Klaassen u. a. bei Gould, »Space«.
Vogt, A., »Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wagte es: Frauen als Abteilungsleiterinnen«, in: Tobies, R., (Hg.), ›Aller Männerkultur zum Trotz‹ — Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften, Frankfurt/M. 1997, S. 203–19; zahlreiche wertvolle Aufschlüsse zum Thema enthalten auch etwa die Bände von Meinel, C., u. Renneberg, M., (Hg.), Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik, Bassum 1996; Brink, J. R., Female Scholars — A Tradition of Learned Women Before 1800, Montreal 1980; Wobbe, Th. (Hg.): Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700–2000, Berlin 2001.
Vgl. dazu Köller, W., Philosophie der Grammatik, Stuttgart 1988, S. 76 ff.
Zahlreiche Diskriminierungsbelege, darunter die direkt im Anschluß genannten, sind gesammelt in Stopczyk, A., Was Philosophen über Frauen denken, München 1980.
Zur Geschichte dieser Bewegung s. Daston, L., »Die Quantifizierung der weiblichen Intelligenz«, in: ›Aller Männerkultur zum Trotz‹, a.a.O., S. 69–82.
Vgl. Zuckerman, H., u. Cole, J. R. (Hg.), The Outer Circle: Women in the Scientific Community, New York 1991, weiteres u. a. bei Ogilvie, M. B., Women and Science: An Annotated Bibliography, New York 1996
Vgl. die Auflistung von Tobies, R., »Einführung: Einflußfaktoren auf die Karriere von Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften«, in: ›Aller Männerkultur zum Trotz‹, S. 17–67.
Zur Abhängigkeit weiblichen Forschungsengagements von allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen s. am Beispiel Schabert, I., »Der gesellschaftliche Ort weiblicher Gelehrsamkeit — Akademieprojekte, utopische Visionen und praktizierte Formen gelehrter Frauengemeinschaft in England 1660«, in: Garber, K. u. Wismann, H., (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition — Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, Bd. 1, Tübingen 1996, S. 755–89.
Fox Keller, E., Reflections on Science and Gender, New Haven 1985, S. 7; s. auch dies., »Feminism and Science«, in: Boyd, R., u. a. (Hg.), The Philosophy of Science, Cambridge/Mass. 1991, S. 279–288.
S. die Aussage im Interview mit Marcia Barinaga »Feminists Find Gender Everywhere in Science«, Science 260/1993, S. 392–3.
Kepler, J. Astronomia nova […], Gesammelte Werke, Bd. 3, hg. v. M. Caspar, München 1937, S. 8.
Wolpert u. Richards, Minds, S. 146.
Vgl. Wolpert u. Richards, Minds, S. 27 ff., S. 62 ff., S. 95.
Kepler, Astronomia, S. 8.
S. unter diesem Gesichtspunkt beispielsweise das mit Bacons Folter-Metapher überschriebene Sammelwerk des Experimentalphysikers Walther Gerlach: Gerlach, W., (Hg.), Der Natur die Zunge lösen, München 1967.
»I don’t think that women are as keen to be professors as men are. I think they’re very interested in research, and they are interested in teaching.« Anne McLaren, in: Wolpert u. Richards, Minds, S. 216.
Aristoteles, Mech. Probl. 847a 10–20; Krafft, F., Dynamische und statische Betrachtungsweise in der antiken Mechanik, Wiesbaden 1970, hebt den Aspekt der Naturwidrigkeit (›Überlistung der Natur‹) hervor, wohingegen Schneider, H., Das griechische Technikverständnis, Darmstadt 1989, S. 256 ff. zurückhaltender darauf abhebt, daß ein mechanischer Prozeß in der Natur nicht stattfinde.
S. dazu umfassend Sepper, D. L., Goethe Contra Newton — Polemics and the Project for a New Science of Colour, Cambridge 1988.
»Goethe und kein Ende«, Rektoratsrede v. 15. 10. 1882, abgedr. und annotiert in Du Bois-Reymond, E., Reden, Bd. 1, Leipzig 1886, S. 418–447, S. 440.
Auf Maxwells Überlegungen und die moderne Entsprechung bezieht sich Hacking, I., »The Disunities of the Sciences«, in: Galison, P., u. Stump, D. J., (Hg.), The Disunity of Science — Boundaries, Contexts, and Power, Stanford 1996, S. 37–74, S. 70.
Krüger, R. »Der honnête-homme als Akademiker — Nicolas Farets Projet de l’Académie (1634) und seine Voraussetzungen«, in: Garber u. Wissmann, (Hg.), Sozietätsbewegungen, Bd. 1, S. 348–409.
S. dazu den über den Themenrahmen hinausweisenden Beitrag von Böhm, L., »Organisationsformen der Gelehrsamkeit im Mittelalter«, Sozietätsbewegungen, Bd. 1, S. 65–111. S. a. dies., »Wissenschaft — Wissenschaften — Universitätsreform, historische und theoretische Aspekte zur Verwissenschaftlichung von Wissen und zur Wissenschaftsorganisation in der frühen Neuzeit«, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 1/1978, S. 7–36.
Maßgeblich sind hier die im Zeichen der Konjunktur von soziologisch eingebetteten Relativismen die weithin mißachteten Studien von Joseph Ben-David, Role, sowie Scientific Growth. Vgl. auch Freudenthal, »Sociology«. Sonst z. B. Fuchs, S., The Professional Quest for the Truth, Albany 1992; kurzgefaßt im angeführten Sinne auch Resnik, Ethics, Kap. 3.
Als Erfassungsversuche s. Gatzemeier, M., »Zweck und Zweckmäßigkeit in der Wissenschaft«, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 5/1982, S. 17–23; Krafft, F., Das Selbstverständnis der Physik im Wandel der Zeit, Weinheim 1982; McMullin, E., »The Goals of Natural Science«, in: Scientific Knowledge Socialized, hg. v. I. Hronszky u. a., Dordrecht 1988, S. 27–58; Longino, H., Science as Social Knowledge, Princeton 1990, 17 ff. et passim.
Helmholtz, H. v., »Über das Verhältniss der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaft«, 1862, abgedr. in: ders., Vorträge und Reden, Bd. 1, Braunschweig 1884, S. 117–145, S. 142 f.
S. etwa Helmholtz, H. v., »Ueber die Erhaltung der Kraft«, 1862/63, abgedr. in: Vorträge, Bd. 1, S. 147–189, S. 150 f.
Fontenelle, B. de, »Préface sur l’utilité des Mathématiques et de la Physique et sur les travaux de l’Académie des Sciences«, in: ders., Œuvre, Bd. 6, S. 37–50, S. 42.
Vgl. Elzinga, A., »The Science-Society Contract in Historical Transformation«, Social Science Information 36/1997, S. 411–445; Guston, D., u. Keniston, K., The Fragile Contract: University Science and the Federal Goverment, Cambridge/Mass. 1994.
Die hier getroffenene Unterscheidung zwischen der Situation philosophischer Interpreten und jener der Forschungsbeteiligten selbst wird leicht übersehen und noch eine wichtige Rolle bei der Frage nach einer der Tugendorientierung gemäßen Fortschrittsauffassung spielen (Kapitel 4.6.4).
Vgl. bes. Ben-David, Role. S. in Verbindung damit auch Ben-Davids postum veröffentlichtete Versuche, die mit der Edinburgh-Schule aufkommende Tendenz zur Reduktion auf Allerweltshandeln selbst historisch-soziologisch zu erkären: Kapitel VII (»The Changing Fortunes of the Ethos of Science«) von Ben-David, Growth.
Auf dieser Spur s. Solomon, M., »A More Social Epistemology«, in: Schmitt, F., (Hg.), Socializing Epistemology: The Social Dimensions of Knowledge, Lanham 1994, S. 217–233; das vermeintliche Paradox, daß die Soziale Epistemologie ausgerechnet unter dem Aspekt des Sozialen kritisiert wird, resultiert letztlich daraus, daß die hier vorgenommenen Deutung von Forschung als soziale Unternehmung methodologisch gesehen individualistisch tendiert.
Woodward, J., u. Goodstein, D., »Conduct, Misconduct and the Structure of Science«, American Scientist 84/1996, S. 479–90.
Vgl. die Position von Deichmann, U., »An Unholy Alliance. The Nazis Showed that Politically Responsible‹ Science Risks Losing Its Soul«, Nature 405/2000, S. 739.
Vgl. dazu die Zeugnisse von Wolfgang Pauli u. a. bei Eisenberg, A., »The Art of Scientific Insult«, Scientific American 6/1994, S. 92. Vgl. auch die Charakterisierung des Mathematikers Rolle in einem Streit, der durch eine leichte Formveränderung beizulegen gewesen wäre, bei Fontenelle, B. de, »Éloge de M. Rolle«, in: ders., Œuvres, Bd. 6, S. 479–486, S. 484 f.; zum Nutzen einer ›anti-barbarischen‹ Etikette am Beispiel einer Institution s. Gordin, M. D., »The Importation of Being Earnest: Early St. Petersburg Academy of Sciences«, Isis 91/200, S. 1–31.
Im Sinne von Goldman, Epistemology, oder Rescher, Economy.
Juskevic, A. P., u. Kopelevic, J. K, Christian Goldbach 1690–1765, Basel 1994, S. 99 ff.
Auf einige der vielfältigen Hindernisse dieser Entwicklung weist Timmons, H. »Science and Education in the First Half of the Nineteenth Century«, Endeavour 1996, S. 140–143.
Herrmann, D. B., »Über die Schwierigkeiten beim Schreiben einer Hertzsprung-Biographie«, Wissenschaftliche Zeitschrift d. Humboldt-Universität zu Berlin — Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 4/1992, S. 23–25.
Die drei wichtigsten Arbeiten sind als Bd. 255 von Ostwalds Klassikern (Hertzsprung, E., Zur Strahlung der Sterne — Drei Arbeiten, hg. v. D. B. Herrmann, Leipzig 1985) erschienen
Herrmann, D. B., Ejnar Hertzsprung-Pionier der Sternforschung, Berlin 1994.
Zit. Hermann, »Schwierigkeiten«, S. 23 f.
Vgl. Dennett, D., »The Interpretation of Texts, People and Other Artifacts«, Philosophy and Phenomenological Research 50/1990, Suppl., S. 177–94.
Einführend dazu Charpa, Grundprobleme, S. 126; auf Whewells eigener Linie realistisch ausgelegt bei Buchdahl, »Approaches«; Ruse, M., »Biological Species: Natural Kinds, Individuals or What?«, British Journal for the Philosophy of Sience 38/1987, S. 225–42; empiristisch dagegen s. Fraassen, B. van, The False Hopes of Traditional Epistemology, ungedr.; zur forschungspraktischen Relevanz s. Magnus, D., »Heuristics and Biases in Evolutionary Biology«, Biology and Philosophy 12/1997, S. 21–38; Walsh, W. H., »Colligatory Concepts in History«, in: The Philosophy of History, hg. v. P. Gardiner, Oxford 1974, S. 127–44; Charpa, U., »Der Hellenismus, die Pilze und die Härte — eine Notiz über die Sachhaltigkeit historischer Begriffe«, in: Ideengeschichte und Wissenschaftsphilosophie, hg. v. R. Dodel u.a, Köln 1997, S. 173–82.
»Whewell’s Developmental Psychologism: A Victorian Account of Progress«, Studies in History and Philosophy of Science 22/1991, S. 117–139.
Eine eingehende Studie ist die von Leinkauf, Th., Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602–1680), Berlin 1993.
Cohn, L., s. n. RE 5 (1903), S. 445–72.
Dargestellt bei Grafton, A., Cardanos Kosmos — Die Welten und Werke eines Renaissance-Astrologen, engl. 1999, übers. v. P. Knecht, Berlin 1999, bes. S. 336 ff.
Vgl. als wissenschaftshistorisches Florileg daraus Jaton, A.-M., Johann Caspar Lavater, Zürich 1988, S. 61 ff.
Berlin, Kupferstichkabinett, hier nach Waetzoldt, W., Dürer und seine Zeit, Zürich 1953, Abb. 51. Die Inschrift findet sich bereits auf einer Medaille von Quentin Metsys aus dem Jahr 1519. Die Neuverwendung ist eventuell zugleich eine Anspielung darauf, daß Dürer sich bei der Anfertigung des Stichs an eine immerhin sechs Jahre alte Porträtskizze hielt.
Zu den auf die Stellung des Autors verweisenden Signalen von Texten s. Mullins u. a., »Analysis«.
Die Unzuverlässigkeit der Orientierung an Erwähnungsquantitäten beruht nicht nur darauf, daß die breite Rezeption eines schlechten Autors positiv mit der Inkompetenz seiner Leser korrelieren kann. Zitationen haben sehr verschiedene nicht-inhaltliche Funktionen, darunter die der disziplinären Selbsteinordnung des Zitierenden. Deshalb können Kozitationen zum Ausgangspunkt von Überlegungen zur Struktur von Fachdisziplinen in einer historischen Spanne benutzt werden. Vgl. dazu beispielhaft Fischer, K., Changing Landscapes of Nuclear Physics. A Scientometric Study, Berlin 1993; als Überblick ders., »Scientometrische Verfahren als Instrumente der Emigrationsforschung«, in: Fleck, Chr., (Hg.), Soziologische und historische Analysen der Sozialwissenschaften (Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Sonderband 5), Opladen 2000, S. 213–244; zu den wissenschaftspolitischen Folgen der Orientierung an der Zitationshäufigkeit s. ders., »Leistung, nicht Konsens messen! Evaluation und Finanzierung aus der Sicht eines Wissenschaftshistorikers«, Forschung und Lehre 8/1998, S. 399–402.
Vgl. Charpa, »Fraud«.
Zitiert nach der Ausgabe als Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Bd. 121, ND 7. Aufl. Frankfurt/M. 1995, S. 2.
Vgl. Foot, Ph., »Virtues and Vices«, in: dies., Virtues and Vices, Oxford 1978, S. 1–18; ähnlich Roberts, R. C. »Will Power and the Virtues«, Philosophical Review 93/1984, S. 227–84.
S. Feynman, R. P., The Character of Physical Law, Cambridge/Mass. 1965, S. 173; kritisch zur Historisierung auch Cushing, J. T., »Is Scientific Methodology Interestingly Atemporal?«, British Journal for the Philosophy of Science 41/1990, S. 177–94.
Daß die kollektivistischen Laborstudien für diesen Zweck nicht taugen, resultiert aus deren inhaltlichen Neutralität bzw. Unparteilichkeit.
Die Gespräche fanden in der angegebenen Reihenfolge am 10.6.1999 während des Science Summit Space in Räumen der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz statt. Die Wiedergabe der Äußerungen folgt den während des Gesprächs angefertigten Notizen.
Ross, M., »Relation of Implicit Theories to the Construction of Personal Histories«, Psychological Review 96/1989, S. 341–57.
Zit. nach Heydweiler, A., »Johann Wilhelm Hittorf«, Physikalische Blätter 16/1915, S. 161–179, S. 165.
Hier zitiert nach dem Abdruck in [Hertz, H.,] Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt — mit drei Arbeiten von Heinrich Hertz, einem Vorwort von Hermann von Helmholtz, einer Vorbemerkung von Philipp Lenard (Ostwalds Klassiker Nr. 263), hg. v. J. Kuszera, Leipzig 1984, S. 48–62.
Helmholtz, »Vorwort«, S. 48 f.
S. die Prinzipien des ›Universalismus‹, des ›Kommunismus‹, der ›Uneigennützigkeit‹ und des organisierten Skeptizismus‹ bei Merton, R. K., »Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur«, engl. 1942, in: Weingart, P., Wissenschaftssoziologie, Bd. 1, Frankfurt/M. 1972, S. 45–59, S. 48 ff.; weiterentwickelt in der Rollenkonzeption von Ben-David, Role, und Growth.
Dies gegen die Verwechslung der Ebenen in der Kritik von Spinner, H., Das ›wissenschaftliche Ethos‹ als Sonderethik des Wissens, Tübingen 1985, S. 54: »Zwischen ethischem Input und wissenschaftlichem Output besteht kein signifikanter positiver Zusammenhang. Moralische Regelorientierung und individuelle Produktivität bzw. wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt scheinen voneinander unabhängig, ja vielleicht sogar miteinander negativ korreliert zu sein«. Aber individuelle Produktivität ist gar nicht Mertons Thema. Vgl. zur Rekonstruktion von Mertons Anspruch Twenhöfel, R., Wissenschaftliches Handeln — Aspekte und Bestimmungsgründe der Forschung, Berlin 1991, S. 77 ff.
S. bes. einflußreich die Gedankenführung von Anscombe, E., Intention, 3. Aufl. Oxford 1957.
Knorr-Cetina, K., Die Fabrikation von Erkenntnis — Zur Anthropologie der Naturwissenschaft, Frankfurt/M. 1984, S. 32 ff.
Gilbert, N., u. Mulkay, M., »Die Rechtfertigung wissenschaftlicher Überzeugungen«, engl. 1982, in: Soziale Welt, Sonderband 3, 1985, S. 207–227.
Den Extremfall bildet Bratmans Theorie des Handelns, derzufolge handlungsbezogene Warum-Fragen auf die Ermittlung des ›Plans‹ des Handelnden hinauslaufen: Bratman, M. E., Intention, Plans, and Practical Reason, Cambridge/Mass. 1987.
Obwohl der in der Alltagseinschätzung von Wissenschaft ohnehin selbstverständliche Aspekt des ›Rätsellösens‹ durch Thomas Kuhn nachhaltig in die wissenschaftstheoretische Diskussion gebracht worden ist, hat der Gesichtspunkt der mit einem Problem gesetzten Schwierigkeit kaum Aufmerksamkeit gefunden. Dies gilt auch für den explizit ›problemorientierten‹ Ansatz von Laudan, L., Progress and Its Problems — Towards a Theory of Scientific Growth, Berkeley 1977. Der Anforderungscharakter von Problemen spielt hingegen eine wichtige Rolle im ›knowledge-based-approach‹ der KI-Theoretiker. S. etwa Goldstein, I., u. Papert, S., »Artificial Intelligence, Language and the Study of Knowledge«, Cognitive Science 1/1977, S. 84–123. Vgl. auch die aus formaler Lerntheorie entwickelten Versuche der Verhältnissetzung von Hintergrundwissen und Problemlösbarkeit bei Kelley, Logic, S. 74 ff. et passim. Überdies wären außer den Anforderungen in Verbindung mit einer Lösungssuche auch solche der Aufgabenstellung zu bedenken. Einige Hinweise vor einem anders gefärbten Hintergrund dazu bei Vollmer, G., »Gelöste, ungelöste und unlösbare Probleme — Zu den Bedingungen wissenschaftlichen Fortschritts«, in: ders., Wissenschaftstheorie im Einsatz, Stuttgart 1993, S. 183–210.
Das früher tangierte Zirkelproblem von Tugenderklärungen tritt für Helmholtz’ deshalb nicht auf, weil er als Realist wissenschaftlichen Erfolg mit dem Erkennen gegebener Tatbestände ineinssetzt und damit über eine unabhängige Komponente der Beschreibung des Erfolgs von Handlungen verfügt. Ein Instrumentalist kann sich parallel eines Begriffs von empirischer Adäquatheit bedienen. Oben bei der Darstellung des Mathematiker-Beispiels wird ein präphilosophischer Begriff des Lösens eines Problems benutzt.
Was das präzise Verständnis der Zweckrationalität angeht, gilt für TS* dasselbe wie für TS (s. oben Kapitel 2.2.3).
Dies markiert zugleich den Ort der im Blick auf eine Zirkelvermeidung wichtigen unabhängigen Erfolgskomponente.
Zur Eigenart des Schlusses s. ebenfalls oben Kapitel 2.2.3.
Basale Handlungsabsichten im hier betrachteten Sinne sind für sich genommen nicht erklärend, insofern ihre Beschreibung die Handlungsbeschreibung selbst wesentlich integriert. Wenn wir auf die Frage (i) ›Warum spielt A Schach?‹ mit ›Weil A beabsichtigt, Schach zu spielen.‹ antworten, geben wir kein sinnvolles Explanans an, sondern etwas, das selbst eine Erklärung verlangt (vorzugsweise durch höherstufige Motivzuschreibungen). Daß ›A spielt Schach.‹ selbst bereits intentional aufzufassen ist, wird dadurch erzwungen, daß wir die Aussage als Beschreibung einer Handlung anerkennen und von bloßem Verhalten abgrenzen.
Auf der Verwechslung solcher Qualitäten mit Motiven beruhen einflußreiche Kritiken der Tugendorientierung. So etwa die von Harman, G. »Moral Philosophy Meets Social Psychology: Virtue Ethics and the Fundamental Attribution Error«, Proceedings of the Aristotelan Society 99/1998–99, S. 315–331. Harman bezieht sich auf die experimentelle Feststellung mangelnder moralischer Resistenz unter kontextuellen Zwängen. Die beiden klassischen und mannigfach variierten Experimente zum Thema sind der berühmte Milgram-Versuch (1963) sowie das Arrangement der ›Barmherzigen Samariter‹. Beim Samariter-Experiment erwies sich, daß Theologiestudenten, die gerade mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter befaßt waren, gegenüber einem erkennbar Hilfsbedüftigen nicht hilfsbereiter waren als andere Menschen. Der Grad der Hilfsbereitschaft korrelierte bei verschieden eingestellten Menschen einzig mit dem Faktor Zeit (Darley, J. M. u. Batson, C. D., »From Jerusalem to Jericho: A Study of Situational and Dispositional Variables in Helping Behavior«, Journal of Personality and Social Psychology 27/1973, S. 100–108. Die Versuchsanordnung weist das eine oder andere fragwürdige Detail auf, das Ergebnis erscheint mir dennoch durchaus aussagekräftig, allerdings in einer ganz anderen Richtung, als Harman es auswertet. Es zeigt nach meinem Dafürhalten 1. die vergleichsweise geringe praktische Bedeutung expliziter moralischer Motive, 2. die Beeinträchtigung moralischen Verhaltens von Menschen durch Zeitdruck. Das empirische Implikat der hier entfalteten Tugendorientierung bestünde in einer Behauptung wie der, daß Menschen, die — wie z. B. Feuerwehrleute — Routine darin haben, in Zeitnot angemessen zu handeln, geneigtere Helfer wären als eilige Moraltheologen.
Die vorgeschlagene Unterscheidung kongruiert in zentralen Hinsichten mit Bertram Malles Strukturierung faktischer alltäglicher Erklärungskomponenten mit den Elementen ›Causal History‹, ›Reasons‹, ›Intentions‹, ›Enabling Factors‹ und ›Intentional Behavior‹ s. Malle, »People«; ders., »Explanations«; Malle u. a., »Structure«.
Zur historischen Illustration sei auf eine weniger bekannte Episode hingewiesen: In einer aus vielerlei Gründen bedrängenden Situation hat der damalige mathematicus an der Grazer Stiftsschule — veranlaßt durch seinen Patron Johann Georg Herwart von Hohenburg (zu Herwarts Hintergrund s. Halleux, R. u. Bernès, A.-C., »La cour savante d’Ernest de Bavarie«, Archives Internationales d’Histoire des Sciences 45/1995, S. 3–29) — viel Mühe und Zeit darauf verwenden müssen, astronomische Angaben in einem antiken Text, Lukans Pharsalia, zu überprüfen, die dort einem Figulus (s. dazu Kroll, W., Artikel »Nigidius Figulus«, Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Bd. 17/1, Sp. 200–212) in den Mund gelegt werden. Um das Markante an der kleinen Episode aus dem Jahr 1597 zu würdigen, seien die äußeren Bedingungen in Erinnerung gebracht: Die Gegenreformation hatte bereits begonnen, für die Lutheraner wurde die Lage in den katholischen Gebieten zunehmend schwierig, und auch in der Steiermark kündigten sich jene Entwicklungen an, die schließlich 1598 zur Vertreibung Keplers führten. Welche Bedeutung in dieser Situation der Haltung eines hochrangigen katholischen Patrons wie Herwart zukam, obendrein eines Mitgliedes jenes Ordens, dem die Gegenreformation oblag, läßt sich leicht ausmalen. Betrachten wir vor diesem Hintergrund Herwarts Forderung an den Klienten und dessen Antwort: Herwarts schon früher angemeldete Wünsche laufen auf ein größeres Projekt hinaus: die Suche nach einer bestimmten Planetenkonstellation unter den Himmelserscheinungen der Jahre 50 bis 38 v. Chr., wobei deutlich wird, daß der Kanzler bestimmte Ergebnisse erwartet: »Inprimis uero expeto, ut praedictum annum ante Christum 39 discutias« (Herwart von Hohenburg an Kepler, 24. 10. 1597, Kepler, J., Gesammelte Werke, Bd. 13, hg. v. B. Caspar, München 1945, Nr. 78, S. 149). Aber Keplers Reaktion zeigt, daß Herwarts Hoffnungen nicht das Maß des Astronomen abgeben. Seine Stellungnahme belegt eine eingehende Überprüfung der Vorgabe, und er gelangt zu folgendem Ergebnis: Wenn überhaupt irgendein Jahr in Frage komme, dann 51 v. Chr., andernfalls müsse man davon ausgehen, daß Lukan lediglich »more poetarum« verfahren sei. Überhaupt sei dem Leser der Pharsalia bei genauerer Lektüre klar geworden, daß »Lucanum in Astronomicis Tyronem fuisse« (Kepler an Herwart von Hohenburg, 24.12.1597, Werke, Bd. 13, Nr. 83, S. 158) Und einen solchen Neuling müsse man angemessen einordnen: »Quis non videt, ludere Lucanum poetarum more, dum fingit, quo aptiora optare nescit« (a.a.O., S. 159). Zwar hat Kepler durchaus ein einigermaßen zu den Angaben des Dichters passendes Datum ausmachen können, aber sieht nicht, daß damit viel gewonnen wäre. Vielmehr betont er die Grenzziehung von Naturforschung und Poesie: »Atque hoc primum est argumentum, quo non quaerendam in natura censeam Lucani faciem coeli« (a.a.O.). Auf das vorausgegangene rhetorische Interrogativum ›Quis?‹ gibt es eine naheliegende Antwort. Es ist der Gönner Hohenberg, der ›non videt‹ und der den Himmel Lukans irrtümlich in der Natur vermutet. Erleichtert wird Keplers Widerstand dadurch, daß Herwart selbst tugendhaft verfährt, indem er seine Patronshaltung zugunsten der Kollegialität und einer gemeinsamen Wahrheitsorientierung unterdrückt ([…] etiam rogo atque rogo, ut interim mihi et veritati concredas«, Herwart von Hohenburg an Kepler, 24. 10. 1597, Werke, Bd. 13, Nr. 78, S. 148), und in diesem Rahmen kann Kepler mit völliger Entschiedenheit Gegenläufiges vortragen.
Entsprechende Rationalitätsbedingungen sind, unabhängig von ihrer genauen Form, die in TS und TS* offengelassen wurde, Komponenten der unterschiedlichsten Konzeptionen von Handlungserklärungen, angefangen von den kontroversen Handlungslogiken Hempels und Drays bis hin zu Dennetts Strategie der ›intentional stance‹.
Der wichtigste Schwachpunkt für Modelle ›ungebundener‹ Rationalität ist jener der faktischen Begrenztheit von Konsistenzprüfungen. Vgl. Cherniak, Rationality, Kap. 4 et passim; Stich, S., The Fragmentation of Reason, Cambridge/Mass. 1990, Kap. 2. u. 6.
Ich lasse die Frage außer acht, ob die Wissenssituation der drei Personen durch diese selbst beurteilt werden kann. Falls dies möglich wäre, verbreiterte sich der Raum ihres rationalen Entscheidens in den hier mit ›Optimieren‹ umschriebenen Bereich hinein. In Verbindung mit fehlender Fachkompetenz entspricht dem aber keine faktische Kalkulationschance. Es ist nicht einmal vorauszusetzen, daß jemand, der ein bestimmtes fachliches Wissen besitzt, wissen muß, daß er es hat. Gegen die Hintikka-Bedingung s. unten Kapitel 3.5.1.
Damit erledigt sich der provokante Charakter binnenvernünftiger — darin eingeschlossen logischer — Argumentationen kognitiv desorientierter Menschen. Vgl. Sylvan, »Myths«, S. 53.
Auf die Unzulänglichkeit instrumenteller Rationalität bezieht sich auch (unter dem der hier gewählten Konzeption widrigen Regelaspekt) Gosepath, S., »Eine einheitliche Konzeption der Rationalität«, Protosoziologie 6/1994, S. 104–119. Daraus resultiert anstelle einer Gegenbewegung ein zusätzlicher Aufbau der Absichtskomponente (»Die Handlungen müssen sich aus einer praktischen Überlegung ergeben, in der alle relevanten Wünsche und zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt und die Ziele richtig abgewogen sind. […] Rationalität bedeutet demnach, danach zu streben, in den gegebenen Umständen das für einen bestmögliche zu tun.« A.a. O. S. 119). Auf die Frage, wie es möglich war, daß ein Akteur A etwas Besseres vollbracht hat als B, liefert eine solche Motivangabe aber nur die alles andere als zufriedenstellende Antwort, er sei nicht hinreichend bestrebt gewesen, das Optimale zu tun. Vgl. auch die Kritik an Meles Begriff der motivationalen Kraft (s. oben Anm. 52).
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Charpa, U. (2001). Forschertugend. In: Wissen und Handeln. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03799-2_3
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