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Orientierung

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Zusammenfassung

Wenn wir uns im weiteren um bestimmte Menschen und ihre Vorzüge kümmmern, fehlt es dazu außerhalb der Wissenschaftstheorie nicht an Vorbildern.1 Um nur eines anzuführen: Es gibt vielleicht kein Buch, in dem Tugenden so häufig erwähnt und so großzügig verteilt werden wie in Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy. Vater Shandy wird als »gentleman of many virtues«2 vorgestellt, der Onkel präsentiert als jemand »with the virtues which usually constitute the character of a man of honour and rectitude«3, Frau Wadman gar besitzt — dem Zeugnis ebendieses Onkels zufolge — stolze »thousand virtues«4. Zu den weiteren Eigenarten des Werkes gehört der Konflikt mit dem durch das Thema gesetzten Titel: Bis zum Ende des neunten und letzten Buches erfährt der Leser wenig über Tristrams Leben und so gut wie gar nichts über seine Auffassungen. Hunderte von Seiten berichten auf unterhaltsame und geistreiche Weise von dem, was angeblich vorab zum Verständnis beider gewußt werden sollte. Zur Einlösung des im Titel angekündigten Themas kommt es nicht.

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Anmerkungen

  1. Personalistische Momente finden sich am ehesten in Verbindung mit historischen Erschließungen. Eines der wenigen Beispiele von philosophischer Seite ist Gaukroger, S., »Francis Bacons Reform of Natural Philosophers: Rhetoric and the Formation of a Scientific/Philosophical Persona«, in: Bigelow, J., (Hg.), Our Cultural Heritage, Canberra 1998, S. 259–74; angekündigt ist die Publikation einiger Ergebnisse des ›Persona‹-Projektes des MPI für Wissenschaftsgeschichte (Daston/Sibum) in Science in Context. Der klassische, allerdings gemeinhin von Wissenschaftstheorie entfernte Fundort ist die Forscherbiographie (s.a. unten Kap. 2.3).

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  2. Sterne, L, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, 1759 ff., hg. v. G. Saintsbury, London 1912, B. 1, Kap. 17.

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  3. Sterne, Life, B. 1, Kap. 21.

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  4. Sterne, Life, B. 9, Kap. 31

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  5. Die rhetorisch-grammatische Herkunft des Themenbegriffs (›thema‹/›rhema‹) mag dazu beigetragen haben, daß er nur selten wissenschaftstheoretisch genutzt wird. S. etwa, wenngleich genetisch und auf Wissenschaft selbst hin ausgerichtet, Gerald Holton: »It is likely that the origin of themata will be best approached through studies concerned with the nature of perception […]«. Thematic Origins of Scientific Thought — Kepler to Einstein, Cambridge/Mass. 1973, S. 28. In Holton, G., »Scientific Optimism and Societal Concerns«, Hastings Center Report 5/1975, S. 39–46, wird u. a. die Bedeutung thematischer Verpflichtung für die motivationale Komponente der Forschung herausgestellt. Hingewiesen sei auch auf den Versuch von Ladislav Tondl, den Themenbegriff zur Erschließung disziplinärer Kontraste und Überschneidungen zu benutzen: »What is the Thematic Structure of Science?«, Journal for General Philosophy of Science 29/1998, S. 245–64. In kleinerem Maßstab kehrt dieser Gedanke im weiteren wieder: Die thematische Orientierung an personalen Sachverhalten legt auch methodisch einen bestimmten Arbeitsansatz nahe, schafft, wenn man so will, eine Art kleiner ›Disziplin in der Disziplin‹.

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  6. Dies läßt sich auch an der monumentalen Dokumentation neuerer ›anti-personalistischer‹ Wissenschaftstheorie (Curd, M., u. Cover, J. A., (Hg.), Philosophy of Science — The Central Issues, New York 1998) ersehen. Die Herausgeber gehen äußerst entschieden vor, was die Ausblendung einschlägiger Themen angeht: »The difference between the philosophy of science and other disciplines that study science can be brought out by contrasting different sorts of questions. For example, »When was the planet Neptune discovered?« is primarily a question for historians, not for philosophers. Similarly, »Why did Soviet biologists under Stalin reject Mendelian genetics?« or »Why did James Watson underrate the contributions of Rosalind Franklin to the work that led to the discovery of the double helix structure of DNA?« fall within the domains of sociology, political science, and psychology. Contrast these questions with the following: »When is a theory confirmed by the predictions?« »Should we be realists about all aspects of well-established theories?« »What is a law of nature?« These question [sic!] are philosophical.« (S. XVII). Zum Nutzen des Lesers unterlaufen viele Beiträge des Sammelwerkes genau diese Festlegung, beziehen sich auf allerlei Konkreta, und die Herausgeber stehen ihnen in den Zwischenkommentaren in dieser Hinsicht nicht nach. Allerdings geht es bei Curd und Cover — der Editorenfunktion entsprechend — ironischerweise vornehmlich um philosophisches Personal. Sie teilen uns in immer neuen Wendungen mit, was beispielsweise »Glymour concedes« (»Commentary«, S. 647), daß »Ernest Nagel points out« und er »these elements [sc. core elements of reduction] has in mind« (»Commentary«, S. 1006). Die Liste läßt sich beliebig vermehren. M.a.W. die deklamatorische Auffassung von Wissenschaftstheorie läuft mit einer Praxis einher, die — wenn überhaupt — erst mittels einer monströsen Übersetzungsleistung im explizit geforderten Sinne ›philosophisch‹ zu machen wäre.

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  7. Wien 1929.

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  8. Agassi, J., A Philosopher’s Apprentice: In Karl Popper’s Workshop, Amsterdam 1993.

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  9. S. vor allem Savage, L., The Foundations of Statistics, New York 1954.

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  10. Zur Geschichte s. Hoyningen-Huene, P., »Context of Discovery and Context of Justification«, Studies in History and Philosophy of Science 18/1987, S. 501–15; s. bes. den Hinweis auf Einschränkungs- und Disziplinbildungsfunktion der Unterscheidung, ebenda S. 501.

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  11. Erfahrung und Prognose (engl. 1938); ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, hg. v. A. Kamlah u. M. Reichenbach, Braunschweig 1983, S. 3.

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  12. Reichenbach, H., »Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie«, 1949, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 3, hg. v. A. Kamlah u. M. Reichenbach, Braunschweig 1983, S. 318–337, S. 321 (Hervorhebung v. Verf.). Vgl. auch die Stellen in ders. »Zur Induktions-Maschine«, Erkenntnis 5/1935, S. 172 f.; ders., Erfahrung, S. 6 f.; ders., Elements of Symbolic Logic, New York 1947; s. ders., Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, engl. 1951, 2. Aufl. Braunschweig 1968, S. 259 f.

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  13. Wie man die Sachlage einschätzt, hängt indes davon ab, welchen Rang man Reichenbachs eigenen, sehr originellen psychologischen Vorstellungen gibt. Einen Aufwertungs- und Aktualisierungsversuch unternimmt Peijnenburg, J., »Are There Mental Entities? Some Lessons from Hans Reichenbach«, Sorites 11/1999, S. 66–81.

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  14. Vgl. die Unterscheidung von bedingter und unbedingter Relevanz bei Rescher N., Cognitive Economy — The Economic Dimension of the Theory of Knowledge, Pittsburgh 1989, S. 69 ff.

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  15. 80e. Das Problem versteckt sich auch hinter Kants Absetzung des eigenen Unternehmens von der Schulphilosophie Christian Wolffs und dem berühmten Diktum, man könne keine Philosophie und höchstens philosophieren lernen (KrV A 838 / B 866). Logisch betrachtet, entsteht das Problem dadurch, daß der Gebrauch des Prädikates ›Lernen‹ als gewöhnliches zweistelliges Prädikat uns in die Irre fuhrt. ›Lernen‹ ist ein vager Ausdruck, der sich im prädikatenlogischen Gebrauch auf eine Serie von Subjekten bezieht. Die von Kant bevorzugte Tätigkeitsform ›philosophieren‹ bildet den Serienbezug leicht faßlich ab und mit ihr verschwindet auch das vermeintliche Paradoxon des Lernens.

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  16. Der Abschnitt macht eine freie Anleihe bei der sog. Ökonomie der Unsicherheit. S. etwa Kohn, M. G., u. Shavell, S., »The Theory of Search«, Journal of Economic Theory 9/1974, S. 93–123; Lippman, S. A., u. McCall, J. J., »The Economics of Job Search: A Survey«, Economic Inquiry 14/1976, S. 155–89 u. 347–67; Adam, K., Learning while Searching for the Best Alternative, EUI Working Paper ECO Nr. 99/4, Florenz 1999.

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  17. 2. Aufl. Chicago 1962. Zu den anderen einschlägigen Schriften s. die kommentierende Aufstellung im Appendix I von Polanyi, M., Society, Economics & Philosophy — Selected Papers, hg. v. R. T. Allen, New Brunswick 1997, S. 361–72.

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  18. Die Spannweite der Interpretamente ist recht beachtlich. Auf ihn berufen sich Thomas S. Kuhn (s. besonders das Postscript zur 2. engl. Aufl. von The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1970; s. a. den Vorwurf des ›Tugendphilosophen‹ MacIntyre, ref. bei Hoyningen-Hune, P., Die Wissenschaftsphilosophie Thomas S. Kuhns — Rekonstruktion und Grundlagenprobleme, Braunschweig 1989, S. 122) und genauso der orthodoxe Popperianer Joseph Agassi (Science and Society — Studies in the Sociology of Science, Dordrecht 1981, passim. S. auch die Widmung ebenda.). Vgl. die Beiträge einer polnischen Konferenz: Misiek, J., (Hg.), The Problem of Rationality in Science and Its Philosophy. On Popper vs. Polanyi, Dordrecht 1995.

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  19. Vgl. die Journale Convivium / The Polanyi Newsletter — Six-Monthly Review of Post-Critical Thought Newsletter (Oxford, 1988/89) aufgegangen in Tradition and Discovery. The Polanyi Society Periodical (Missouri) und Polanyiana (Budapest).

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  20. Die beste Charakterisierung seiner Wissenschaftstheorie stammt von dem außenstehenden Forschungshistoriker Gerald Holton (»Michael Polanyi and the History of Science«, Tradition and Discovery 19/1992–93, S. 16–30), wohingegen etwa der aus dem Polanyi-Kreis stammende Beitrag von Jha, S. R., »A New Interpretation of Michael Polanyi’s Theory of Tacit Knowing: Integrative Philosophy with ›Intellectual Passions‹«, Studies in History and Philosophy of Science 28/1997, S. 611–31, nicht über die Ausräumung immanenter Probleme hinausgelangt.

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  21. Der Ausdruck geht auf Erwin N. Hiebert (u. a. »The Influence of Mach’s Thought on Science«, Philosophia Naturalis 21/1984, S. 598–615) zurück. Besondere Aufmerksamkeit haben seit Mitte der 60er Jahre Forscher-Philosophen des 19. Jahrhunderts wie Helmholtz, Herschel, Mach, Whewell und Du Bois-Reymond auf sich gezogen. Im Hintergrund des Interesses steht die Frage nach der Geschichtlichkeit methodologischer Standards.

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  22. Z. B. mag man seine Reserve gegenüber dem Falsifikationismus damit in Verbindung bringen, daß die in seiner Dissertation vertretenen Thesen zur Gastheorie jahrelang als widerlegt angesehen wurden und erst spät Anerkennung erfuhren. Vgl. Polanyi, M., »Commentary on T. S. Kuhn’s ›The Function of Dogma in Scientific Research«, in: Crombie, A. C., (Hg.), Scientific Change, London 1963, S. 375–80.

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  23. Vgl. Polanyi, M., »Creative Imagination«, 1966, in: ders., Society, S. 249–265, S. 256 f., u. »Genius in Science«, 1972, in: ders., Society, S. 267–81, S. 280. Marjorie Grene verweist in einer eigenen Auseinandersetzung (»The Legacy of the ›Meno‹«, in: dies., The Knower and the Known, London 1966, S. 17–35) auf einen einschlägigen Vortrag Polanyis an der Duke Universität aus dem Jahr 1964 (»Commitment to Science«), der aber m.W. nicht gedruckt vorliegt.

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  24. Zum Folgenden s. bes. Polanyi, M., Knowledge, S. 69 ff., ders., The Tacit Dimension, 2. Aufl. Gloucester 1983, passim.

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  25. »The Republic of Science: Its Political and Economic Theory«, in: Grene, M., (Hg.), Michael Polanyi, Knowing and Being, Chicago 1969, S. 49–72; dazu s. Mirowski, P., »On Playing the Economics Trump Card in the Philosophy of Science: Why It Did not Work for Michael Polanyi«, Philosophy of Science, Suppl. 64/1997, S. 127–138.

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  26. Hinter der Betonung des erforderlichen Wahrnehmungs›umschlages‹ steckt die — angesichts der damaligen Situation der empirischen Psychologie in den 50er Jahren alternativlose — Übernahme gestalttheoretischer Thesen, wie sie u. a. auch für die irreführende Erörterung der ›Enten-Hasen‹-Figur bei Kuhn und die entsprechenden früheren Überlegungen Norwood Russell Hansons verantwortlich ist.

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  27. Polanyi, Knowledge, S. 5 f. et passim; vgl. auch die Erörterung des Kopernikanismus in: Polanyi, M., »Science and Reality«, 1967, abgedr. in: ders., Society, S. 225–47.

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  28. Polanyi, Dimension, S. 32 ff.

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  29. Vgl. bes. Polanyis Ausführungen über »intellectual commitment«, Knowledge, S. 299 ff.

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  30. Dazu u.a Cartwright, N., How the Laws of Physics Lie, Oxford 1983; zur Vereinbarkeit mit dem Wissenschaftlichen Realismus s. die Unterscheidung von Realismus und Fundamentalismus in dies., »Fundamentalism vs. the Patchwork of Laws«, 1994, abgedr. in: Papineau, D., (Hg.), The Philosophy of Science, Oxford 1996, S. 314–26.

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  31. Dazu vor allem Lipton, P., Inference to the Best Explanation, London 1991, der auch die oben angedeutete induktivistische Verpflichtung des Realisten aufnimmt.

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  32. Allerdings schafft die empirische Auswertung wissenschaftlicher Schriften ein durchaus anderes Bild als die stille Philosophie der Autoren naturwissenschaftlicher Papiere. Auch prima vista apersonale Schriften weisen bei sorgfältigem Aufschluß markante Spuren ihrer Urheber auf. S. Mullins, N., u. a., »The Structural Analysis of a Scientific Paper«, in: Raan, A., F. J. van, (Hg.), Handbook of Quantitative Studies of Science and Technology, North-Holland 1988, S. 81–105.

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  33. Der Objektivitätsbegriff hat eine etwas wirre Geschichte, und die heutige auf etwas ›Äußeres‹ statt auf mentale Verhältnisse gerichtete Verwendungsweise kommt erst vergleichsweise spät auf (Kant, KrV B 44 / A 28). Die neuere Literatur zum Thema ist uferlos. Einführend s. Audi, R., »Objective/Subjective«, in: Dancy, J., u. Sosa, E., (Hg.), A Companion to Epistemology, Oxford 1992, S. 309–310. Ausführlich zu den im weiteren nur kurz angerissenen Lasten des reinen Objektivismus s. Rescher, N., Objectivity. The Obligations of Impersonal Reason, Notre Dame 1997.

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  34. Rescher, Economy, S. 13.

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  35. Konstruiert ist hier ein sog. Gettier-Beispiel (s. a. unten Kap. 1.4.2.4). Die an dieser und an anderen Stellen im weiteren verwendete Argumentationsfigur zugunsten einer Integration des Personalen geht in ihren Grundzügen zurück auf den wichtigen Aufsatz von Goldman, A., »A Causal Theory of Knowing«, Journal of Philosophy 64/1967, S. 57–72. Goldman schlägt vor, die Ausschließung von Gettier-Beispielen am Leitfaden des Gedankens zu bewerkstelligen, daß zwischen einer Überzeugung und dem darin korrekt ergriffenen Tatbestand eine Verbindung besteht, etwa zu denken als erfolgreiche Perzeption, verläßliche Erinnerung, unter Umständen in Verbindung mit gültigen Schlüssen. Zu der Überlegung, daß die Qualitäten der überzeugten Person (also die Verläßlichkeit ihrer Sinneswahrnehmung, ihre Fähigkeit, korrekt zu schließen, u. a. m.) selbst für die Gewähr der ›kausalen Kette‹ unabdingbar sind, ist es von hier aus nurmehr ein Schritt.

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  36. Vgl. den Überblick von Gaukroger, S. »Objectivity, History of«, erscheint in: Smelser, N. J., u. Baltes, P. B. (Hg.), International Encyclopedia of Social and Behavioral Sciences, Amsterdam 2001, s.v.

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  37. S. Löwy, I., »The Scientific Roots of Constructivist Epistemologies: Hélène Metzger and Ludwik Fleck«, in: Freudenthal, G. (Hg.), Études sur / Studies on Hélène Metzger, Leiden 1990, S. 219–235.

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  38. So David, P. A., »Positive Feedbacks and Research Productivity in Science: Reopening Another Black Box«, in: Granstrand, O. (Hg.), Economics of Technology, Amsterdam 1994, S. 65–89.

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  39. Auf die Gemeinsamkeiten auf dem Feld der Anschauung wird noch gesondert einzugehen sein (Kapitel 3.4). Wichtig ist auch, daß die grundsätzlichen Rahmenideen weniger differieren als vielfach unterstellt wird. Vgl. die von Quines (der auch das Vorwort beisteuerte) Unbestimmtheitsthese gerahmte Untersuchung von Hallen, B., u. Sodipo, J. O., Knowledge, Belief and Witchcraft: Analytic Experiments in African Philosophy, Stanford 1997, deren Einzelbefunde (speziell zu »African Epistemology: The Knowledge-Belief Distinction and Yoruba« (ebenda Kap. 3)) keineswegs in Quines Richtung liegen, sondern Universalismus nahelegen. Näher an der Tugendepistemologie liegt die von Odera Oruka 1974 begonnene faszinierende Untersuchung der sog. Philosophie der Weisen in Kenia, die eine wahrheitsorientierte, auf verläßliche Standards der Anbahnung von Urteilen abhebende Position vertreten. S. bes. die im Anhang abgedruckten Texte (Oruka, O. H., Sage Philosophy: Indigenous Thinkers and Modern Debate on African Philosophy, Leiden 1990). Eine knappe Vorwegnahme enthält Oruka, O. H., »Grundlegende Fragen der afrikanischen ›Sage-Philosophy‹«, in: Wimmer, F. M. (Hg.), Vier Fragen zur Philosophie in Afrika, Asien und Lateinamerika, Wien 1988, S. 35–54. Vgl. auch die Allgemeinschätzung philosophischer Betrachtungsweisen. Diese »can be found in anybody (white, black, yellow, female or male)«. Zit. bei Presbey, G., »Who Counts as a Sage? Problems in the Further Implementation of Sage Philosophy«, Quest: Philosophical Discussions 11/1997, 53–65, S. 65. Einige Einwände zum Projekt erhebt Van Hook, J. M., »Kenyan Sage Philosophy: A Review and Critique«, Philosophical Forum 26/1995, S. 54–65.

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  40. Der Relativist muß argumentieren, daß dieses ›Sich-Verlassenkönnen‹ selbst relativ sei, m.a.W. es keine Möglichkeit gebe, die Leistung eines modernen Chronometers mit der einer Sonnenuhr ins Verhältnis zu setzen.

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  41. Hull D., Science as a Process: An Evolutionary Account of the Social and Conceptual Development of Science, Chicago 1988, S. 32; allgemein s. ebenda Kap. 10; u. ders, »Mechanism and Its Metaphysics: An Evolutionary Account of the Social and Conceptual Development of Science«, Biology and Philosophy 3/1988, S. 123–55.

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  42. Kitcher, P., The Advancement of Science — Science without Legend, Objectivity without Illusions, Oxford 1993, Kap. 8.

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  43. Hull, Science, S. 357.

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  44. Sarkar, H., A Theory of Method, Berkeley 1983.

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  45. S. Dhillon, B. S., Zuverlässigkeitstechnik: Einfluß des Menschen, engl. 1986, übers. v. R. Jakoby, Weinheim 1988; Dougherty, E. M., u. Fragola, J. R., Human Reliability Analysis: A Systems Engineering Approach with Nuclear Power Plant Applications, New York 1988; Gertman, D. I., u. Blackman, H. S., Human Reliability and Safety Analysis Data Handbook, New York 1994; Petrosk, H., The Engineer is Human: The Role of Failure in Successful Design, New York 1985. In der Anbindung an die ingenieurswissenschaftliche Zuverlässigkeitstheorie liegt eine Chance, den Tugendansatz auf das Feld der für die Deutung verläßlicher wissenschaftlicher Empirie wichtigen Apparatetheorie auszuweiten. Vgl. auch Kapitel 4.4.2.

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  46. Mögliche Unterschiede zwischen Tugend- und Verläßlichkeitsorientierung werden in der Folge vernachlässigt. Zum Ineinanderlaufen von Reliabilismus und Tugendepistemologie s. Greco, J., Putting Skeptics in their Place: Skeptical Arguments and Philosophical Inquiry, Cambridge 2000; s. auch die Beiträge von Greco, Zagzebki u. a. in Axtell, G. (Hg.), Knowledge, Belief and Character — Readings in Virtue Epistemology, Lanham 2000, knapp schon Greco, J., »Virtue Epistemology«, in: Dancy u. Sosa (Hg.), Companion, S. 520–22.

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  47. Ein konsequenter und systematischer Umsetzungsversuch ist der von Fischer, K., Kognitive Grundlagen der Soziologie, Berlin 1987. Demgegenüber wird in der Folge selektiv verfahren. Kognitivistische Anleihen werden nicht systematisch entfaltet, sondern sind nur Teilmomente der Ausführung des reliabilistischen Tugendprojektes.

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  48. Ramsey, F. P., »Knowledge«, in: ders., The Foundations of Mathematics and Other Essays, hg. v. R. B. Braithwaite, Cambridge 1931, S. 258–259.

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  49. In dieser Hinsicht ist nicht nur an die aristotelisch-thomistische Gedankenfigur intellektueller Tugenden oder die Habituspostulate älterer Methodologien zu denken, sondern auch an die Spuren in prima vista apersonalen bzw. anti-personalistischen Schriften. Z.B. weist Lockes Essay Concerning Human Understanding nachdrücklich auf individuelle Mängel und Vorzüge des Gedächtnisses, der Sinnesorgane, der Unterscheidungsfähigkeit u. a. m. hin. Es gibt speziell in den Kapiteln »Of Perception«, »Of Retention«, »Of Discerning« (B. II, Kap. IX–XI) ›Tugendvorbehalte‹ für die gesamte erkenntnistheoretische Argumentation, die in den üblichen Lesarten ignoriert werden. An einer späteren Stelle heißt es: »I imagine that men who abstract their thoughts, and do well examine the ideas of their own minds, cannot much differ in thinking; however they may perplex themselves with words […]; though amongst unthinking men, who examine not scrupulously and carefully their own ideas, and strip them not from the marks men use for them, but confound them with words, there must be endless dispute, wrangling, and jargon […].« (B. II, 13) Exemplarisch für die ›moderne‹ Einstellung ist, daß es hier um eine jener Stellen handelt, die John Yolton, einer der maßgeblichen Locke-Kommentatoren, in seiner gekürzten Ausgabe (London 1976) ausläßt. In Descartes’ Meditationen ist es ironischerweise der genius malignus, dem so etwas wie ein Charakter zugeschrieben wird. Dieser wendet »omnem suam industriam« auf, ist »potens« und »callidus« (AT VII, 15).

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  50. Die einschlägige Kritik steht auch im Zentrum der ›Gründungsurkunde‹ der neueren Tugendepistemologie: Sosa, E., »The Raft and the Pyramid: Coherence versus Foundations in the Theory of Knowledge«, Midwest Studies in Philosophy 5/1980, S. 3–25 (auch abgedruckt in der ausführlichen Darstellung von Sosa, E., Knowledge in Perspective, Cambridge 1991). Die Schwäche des Kohärentismus liegt nach Sosa einmal darin, daß Urteile über sinnliche Wahrnehmung an die Peripherie des Netzes unserer Überzeugungen verbannt werden bzw. zu schwach mit dem Rest verbunden sind. Denken wir uns die Negativmenge der vertretenen Überzeugungen, so wäre diese nur in winzigem Umfang von Kohärenzproblemen belastet. Kleinen Unstimmigkeiten an den Rändern unserer Überzeugungssysteme stünde eine überwältigende Menge von stabilen Verknüpfungen gegenüber. Der Mangel des erkenntnistheoretischen Fundamentalismus (d. h. der Auffassung, daß ein Teil unseres Wissens sich nur indirekt, ein anderer direkt ausweist, wobei die Rechtfertigung des ersteren von letzterem abhängt) besteht nach Sosa darin, daß man ein verknüpfendes Prinzip braucht, um zu zeigen, daß beispielsweise ein Sinneseindruck einen gerechtfertigten Glauben des entsprechenden Inhaltes stützt. Wenn diese Verknüpfung sich aus irgendetwas Allgemeinerem herleitet, ist nach dessen Legitimation zu fragen. Handelt es sich hingegen um eine spezifische Verknüpfung, fehlt uns jegliche Vereinheitlichung. Die ist — so der ursprüngliche Vorschlag Sosas — daraus zu gewinnen, daß wir dem jeweils Wahrnehmenden bzw. hinreichend disponierten Menschen überhaupt so etwas wie die Fähigkeit zur Bildung korrekter Urteile über die jeweilige Erfahrung zuschreiben. Die sich anschließende Diskussion hat eine Reihe von präzisierenden Begriffen vorgeschlagen, um diese Funktion als personale Gewähr, relative Verläßlichkeit, Verantwortlichkeit u. ä. m. zu beschreiben. S. bes. Plantinga, A., Warrant and Proper Function, Oxford 1993; Zagzebski, L., Virtues of the Mind, Cambridge 1996; Zagzebski, L., »Virtue in Ethics and Epistemology«, American Catholic Philosophical Quarterly 71/1997 (Supplement), S. 1–17. Die im weiteren erfolgende Einbindung in eine teilweise naturalistische Konzeption ist am stärksten von Goldman, Epistemology, und ders., Liaisons, angeregt.

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  51. Leider gibt es einen umfassenden Überblick nur zu den englischsprachigen Werken bis 1993: Howsam, L., Scientists Since 1660: A Bibliography of Biographies, New York 1997. Ungeachtet des Titels recht unspezifisch (aber dennoch hilfreich) ist die Bibliographie von Meyenn, K. v., »Literaturverzeichnis — Die Biographie in der Physikgeschichte«, in: Die großen Physiker, hg. v. dems., Bd. 1, München 1997, S. 479–86. Detailliertes biographisches Material liefern darüber hinaus besonders die in den letzten Jahren aufgekommenen Untersuchungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Betrugsmanövern. Es gibt vermutlich keine explizit biographische Studie, die so präzisen Aufschluß über die Handlungen und Einstellungen von Personen in ihrer Laborpraxis verschafft wie die bei Kevles, D. J., The Baltimore Case. A Trial of Politics, Science, and Character, New York 1998, zusammengefaßten gigantischen Akten- und Publikationsberge zum Baltimore-Fall.

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  52. Vgl. Hankins, Th. L., »In Defence of Biography: The Use of Biography in the History of Science«, History of Science 17/1979, S. 1–16. Immer noch anregend auch Harnack, A. v., »Was erwarten wir von einer guten Biographie?«, Universitas 7/1952, S. 1195–1202. Viele Materialien enthält Yeo, R., u. Shortland, M., (Hg.), Telling Lives — Studies of Scientific Biography, Cambridge 1995. S. a. die Einleitung zu Howsam, Scientists, u. Meyenn, K. v. »Die Biographie in der Physikgeschichte«, in: Physiker, S. 7–25, der darauf insistiert, es sei »[…] die Integration psychischer Faktoren« derzeit immer noch »ein vernachlässigtes Kapitel«. A.a.O., S. 25.

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  53. Die Entgegensetzung prägt z. B. den umfänglichen Aufriß von Oldroyd, D., The Arch of Knowledge-An Introductory Study of the History and Methodology of Science, New York 1986. Die Rede von der »hypothetisch-deduktiven Methode« findet sich vermutlich erstmalig bei Friedrich Albert Lange und dient dort zur Charakterisierung der Vorgehensweise Descartes’: »Er stellt die Theorie versuchsweise voran, erklärt aus ihr die Erscheinungen und prüft sodann an der Erfahrung die Theorie« (Lange, F. A., Geschichte des Materialismus, 1866, 12. Aufl. 1974, Bd. 1, Frankfurt/M. 1974, S. 252). Nun erhellt diese Charakterisierung nur einen Ausschnitt aus Descartes’ methodologischen Auffassungen, der in einer durchaus problematischen Beziehung sowohl zu den allgemeinen ›certistischen‹ Grundsätzen des Cartesianismus als auch zu den Eigenheiten der Forschungspraxis etwa des Optikers Descartes steht. Was für den spezifischen Fall Descartes gilt, gilt für die Wissenschaftsgeschichte wie auch die aktuelle Gestalt von Forschung mit noch größerem Recht.

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  54. Vgl. die Übersicht in Charpa, U., Grundprobleme der Wissenschaftsphilosophie, Paderborn 1996, Kap. 7.3

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  55. Zum gewundenen Prozeß der ›Hypothesierung‹ (Diemer), in dem — entgegen verbreiteter Einschätzung — Newton nicht mehr als wissenschaftsgeschichtliche Ausgangsfigur der hypothetischdeduktiven Methode gelten sollte, s. Pulte, H., Mathematische Naturphilosophie im Übergang. Eine wissenschaftstheoriegeschichtliche Untersuchung zum Verhältnis von Axiomatik und Empirie von Newton bis Neumann, Habil.schrift Ruhr-Universität Bochum 2000.

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  56. Cavendish, H., »An Attempt to Explain Some of the Principal Phaenomena of Electricity by Means of an Elastic Fluid«, Philosophical Transactions of the Royal Society 61/1771, S. 584–677, S. 584.

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  57. Herschel, J. F. W., Preliminary Discourse on the Study of Natural Philosophy, 2. Aufl. London 1830, Sec. 170 (Hervorhebung im Original).

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  58. Laudan, L., »Why Was the Logic of Discovery Abandoned?«, in: Nickles, Th., (Hg.), Scientific Discovery, Logic, and Rationality, Dordrecht 1981, S. 173–83. Zu anderen Interpretationsmöglichkeiten s. Charpa, U., »Herschels Methodologie der Erfahrungswissenschaft«, Philosophia Naturalis 24/1987, S. 121–48, S. 144 ff.

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  59. Herschel, Discourse, Sec. 5.

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  60. Herschel, Discourse, Sec. 68 ff.

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  61. Ignoriert wird hier Whewells induktivistische Redeweise. Zur Deutung Whewells als Anwalt der hypothetisch-deduktiven Methode s. Buchdahl, G., »Inductivist versus Deductivist Approaches in the Philosophy of Science as Illustrated by some Controversies Between Whewell and Mill«, in: Fisch, M., u. Schaffer, S., (Hg.), William Whewell — A Composite Portrait, Oxford 1991, S. 311–44.

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  62. Whewell, W., »Mr. Mill’s Logic«, 1849, hier zitiert nach: William Whewell’s Theory of Scientific Method, hg. v. R. E. Butts, Pittsburg 1968, S. 265–308, S. 286.

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  63. Vgl. dazu bes. die von Galison, P., How Experiments End, Chicago 1987, Kap. 2.5. u. 6, beschriebene Arbeit mit dem Gyrokompaß; zur Legende personaler Enthobenheit s. Charpa, U., »Albert Einstein«, in: ›Meinetwegen ist die Welt erschaffen‹ — Das intellektuelle Vermächtnis des deutschsprachigen Judentums, Frankfurt/M. 1997, S. 446–53.

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  64. Schrödinger, E., »Ist die Naturwissenschaft milieubedingt?« in: ders., Über Indeterminismus in der Physik — Ist die Naturwissenschaft milieubedingt? Zwei Vorträge zur Kritik der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, Leipzig 1932, S. 25–62, S. 32 f.

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  65. Helmholtz, H. v., »Robert Mayer’s Priorität«, in: ders., Vorträge und Reden, Braunschweig 1884, S. 60–74, S. 65.

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  66. Vgl. Helmholtz, H. v., »Über das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaft«, 1869, abgedr. in: ders., Vorträge, S. 333–63, S. 340; dazu König, G., »Der Wissenschaftsbegriff bei Helmholtz und Mach«, in: Diemer, A., (Hg.), Beiträge zur Entwicklung der Wissenschaftstheorie im 19. Jahrhundert, Meisenheim 1968, S. 90–114, S. 93 ff.

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  67. Helmholtz, »Ziel«, S. 352.

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  68. Wenn eine Verbindung gestiftet wird, geht sie für gewöhnlich damit einher, den Begriff des Wissens als wahre gerechtfertigte Überzeugung aufzuheben. Eine Überzeugung aber ist — unabhängig davon, ob sie zutrifft oder nicht — im Gegensatz zu anderes suggerierenden Slogans der Sorte ›Wissen als Handeln‹ nicht unmittelbar willensabhängig. Eine den herkömmlichen Wissensbegriff wahrende Zusammenfuhrung beruht auf dem Gedanken, daß Handlungen Situationen schaffen, in denen sich bei einem fachkundigen und redlichen Forschungsteilnehmer die richtigen Überzeugungen einstellen. Desungeachtet spielt im weiteren die gegenläufige Vorstellung von Wissen als Grundlage anerkennenswerter Handlungen eine ungleich größere Rolle (Kapitel 2.5 u. Kapitel 4).

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  69. Helmholtz, »Ziel«, S. 352.

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  70. Helmholtz, »Ziel«, S. 359.

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  71. Helmholtz, »Ziel«, S. 361.

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  72. Helmholtz, »Ziel«, S. 361.

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  73. Vgl. Nickles, Th., »Justification as Discoverability II«, Philosophia Naturalis 21/1984, S. 563–76.

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  74. Newell, A., u. Simon, H. A., Human Problem Solving, Englewood Cliffs 1972.

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  75. In der fortgeschrittenen Form wird die Selbstbeschränkung auf den ›context of discovery‹ aufgehoben: »[…] methodological analysis is a matter of reliability relative to background beliefs, and nothing precludes holding discovery methods to the same standard. Indeed, assessment can be viewed as a special case of discovery, where what has to be discovered is whether h is correct or incorrect. Both in discovery and in assessment the question is whether the method employed is guaranteed to arrive at a correct result relative to what is assumed in advance. From this point, the presumed sharp distinction between assessment and discovery is spurious.« Kelly, K. T., The Logic of Reliable Inquiry, Oxford 1996, S. 218 f. Kellys Ansatz auf der Basis formaler Lerntheorie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem hier in Angriff genommen Unternehmen, stellt aber eine rein normative Angelegenheit dar und erfüllt das Postulat der deskriptiven Adäquatheit nicht. Die Frage, inwiefern Forscher tatsächlich verläßlich verfahren, was einen Erklärungsgrund für faktischen wissenschaftlichen Fortschritt liefern würde, liegt außerhalb.

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  76. S. unter diesem Aspekt in partieller Parallelität Rheinberger, H. J. (Hg), Räume des Wissens: Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin 1997; Rheinberger, H. J. u. a. (Hg.), Experimentalisierung des Lebens, Berlin 1993; Rheinberger, H. J., Experiment — Differenz-Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge, Marburg 1992; Bödeker, H. E. u. a. (Hg.): Wissenschaft als kulturelle Praxis 1750–1900, Göttingen 1999. Die Distanz zu diesen Ansätzen resultiert nicht aus der Themenstellung und noch weniger aus deren Beachtung lokaler, epochaler und sonstiger Situierungen wissenschaftlicher Verläufe, sondern aus: (i) den besonderen normativen Aufgaben der Philosophie, (ii) der vermeintlichen Selbstverständlichkeit motivorientierter Handlungserklärungen, (iii) der Kritik an der Verknüpfung forschungshistorischer Kontextualisierung mit einem — obendrein thetischen (iv) — philosophischen Relativismus, (v) der Stellung zur Bewegtheit von Wissenschaft. (i) ist der Philosophen eigene Last und muß anders ausgerichtete Forschungstheoretiker nicht plagen. Zu (ii) s. Kapitel 2.5. In bezug auf (iii) ist anzumerken, daß das im Kern historistische Projekt der Kontextualisierung wissenschaftsgeschichtlicher Vorgänge seine Schärfe erst aus der — mit der Einsicht in Voraussetzungen abzugleichenden — Leitidee historischer Adäquatheit gewinnt. Auf welcher Grundlage sonst könnte man unter Berufung auf irritierende Tatbestände manche Interpretationen der Wissenschaftsgeschichte als ›whiggish‹ kritisieren? Wenn wissenschaftshistorisch gesehen ›alles geht‹, muß man z. B. auch eine ›Popperianisierung‹ der facettenreichen Durchsetzung des Kopernikanismus als berechtigt hinnehmen. Sogar Hélène Metzger hat eindeutig zugunsten des Adäquatheitsprinzips votiert: »si l’historien ne voulait pas ou ne savait pas lire les œuvres d’autrefois comme les lisaient les premiers lecteurs des ces œuvres, il risquait de mal comprendre les travaux de nos prédécesseurs lointains […]«. Metzger, H., »L’historien des sciences doit-il se faire le contemporain des savants dont il parle?«, 1993, abgedr. in Metzger, H., La Méthode philosophique en histoire des sciences. Textes 1914–1939, hg. v. G. Freudenthal, Paris 1987, S. 9–21, S. 9. Es handelt sich um ein Beliebigkeit einschränkendes Leitprinzip und keine illusorische Behauptung hinsichtlich der Voraussetzungslosigkeit des historischen Betrachters (vgl. Freudenthal, G., »Epistémologie des sciences de la nature et hérmeneutique de l’historien des sciences selon Hélène Metzger«, in: ders. (Hg.), Études, S. 161–188. In anderer Redeweise: Ohne ein solches Prinzip entsteht anstelle einer historischen Annäherungsspirale ein vitiöser Zirkel. Was die philosophische Anbindung der Kontextorientierung angeht, gibt es im Rahmen wissenschaftsbezogener philosophischer Relativismen derzeit keine nennenswerte Auseinandersetzung mit widriger aktueller Erkenntnistheorie (iv), so daß sogar ein derart bekanntes Argument wie Fodors Einwand gegen die Plastizitätsthese (s. dazu unten Kapitel 3.4) unkommentiert bleibt. Mit der relativistischen Epistemologie eng verknüpft ist die Abweisung von Fortschrittsintuitionen (v), wogegen im vorliegenden Ansatz Intuitionen wie die stehen, daß beispielsweise die Planetentheorie des Ptolemaios der in einem modernen Standardlehrbuch mitgeteilten Modellierung erheblich unterlegen ist, etwa unter dem Aspekt der erklärenden Kohärenz. Wenn Ptolemaios selbst abweichende Kriterien der Theorienbewertung favorisiert hätte, wäre dies ein anderes Thema und würde den Wert der heutigen Einschätzung nur auf der Grundlage einer pessimistischen metamethodologischen Induktion aufheben. Davon abgesehen lassen sich Ptolemaios’ Kriterien durchaus im Koordinatensystem moderner Methodologien nachzeichnen. Um noch auf eine mit relativistischen Argumentationen verbundene Verwechslungsgefahr an dieser Stelle hinzuweisen: Daß es bekanntlich bis in das 17. Jahrhundert hinein sehr gute Gründe gegen den Heliozentrismus gegeben hat, sagt nicht, Ptolemaios habe in gleichem Umfang wie seine Gegner recht gehabt, sondern lediglich, daß es in einer bemerkenswert langen Zeitspanne rational war, Geozentrist zu sein (vgl. Kapitel 4.6.4.2). Die Verwechslung von Rationalität und Richtungsinstinkt geht allerdings zuerst auf das Konto von Autoren wie Popper, und der Relativismus spiegelt nolens deren Verwischungen.

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  77. Vgl. die polemische Charakterisierung der orientierenden Disziplin Ethnomethodologie als berufliche Folklore bei Zimmerman, D. H., u. Pollner, M., »Die Alltagswelt als Phänomen«, in: Weingarten, E. u. a. (Hg.), Ethnomethodologie, Frankfurt 1976, S. 64–104. Präziser gefaßte Kritik bei Fischer, Grundlagen, S. 54 ff., 84 ff.

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  78. Ihm liegt die Regelung voraus, daß Forschungserklärungen ›unparteiisch‹ und ›symmetrisch‹ sein sollten (grundsätzlich s. Bloor, D., Knowledge and Social Imagery, 2. Aufl. Chicago 1991). Es wird darauf abgezielt, erledigte Konzeptionen einerseits und mit gutem Grund durchgesetzte Konzeptionen andererseits gleichermaßen explanativ abzuleiten. Mit dieser Neutralisierung entfällt die Möglichkeit der Fortschrittserklärung, was sich exemplarisch an der Musterstudie von Shapin, S., u. Schaffer, S., Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimental Life, Princeton 1985, zeigt. Die kontrastiv erklärungsheischende Frage, warum Boyle berechtigterweise ›vacuum datur‹ vertritt und Hobbes irrigerweise an ›vacuum non datur‹ festhält, läßt sich im ›Starken Programm‹ nicht scharf stellen, insofern beide Auffassungen als bloße Konstruktionen angesehen werden.

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  79. Vgl. Goldman, A. I., u. Shaked, M., »An Economic Model of Scientific Activity and Truth Acquisition« 1991, abgedr., in: Goldman, Liaisons, Kap. 12.

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  80. Letzteres belastet den Ansatz von Kitcher, Advancement, Kap. 8, unnötig, der sich darauf richtet zu zeigen, daß z. B. Prestigeinteresse im sozialen Verband betrachtet nicht mit Wahrheitsorientierung konfligieren muß. Der individualistische Ansatz kann aber am Leitfaden des Tugendbegriffs so weit getrieben werden, daß sich eine solche ›Sozialisierung‹ erübrigt.

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  81. Dies ist die Strategie des Ökonomen und Entdeckungslogikers Herbert A. Simon gegen den Vorwurf des sog. naturalistischen Fehlschlusses. Vgl. Simon, H. A., Models of Discovery and Other Topics in the Methods of Science, Dordrecht 1977, S. 328 ff.; diesselbe Auffassung läßt sich auch allen historisch oder kognitivistisch orientierten wissenschaftstheoretischen Ansätzen zugrundelegen und liefert den Grund dafür, daß die Gefahr des ›naturalistischen Fehlschlusses‹ wissenschaftstheoretisch wenig bekümmern muß.

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  82. Putnam, H., »Der Einfluß der Wissenschaft auf moderne Rationalitätsauffassungen«, in: ders., Vernunft, Wahrheit und Geschichte, engl. 1981, übers. v. J. Schulte, Frankfurt/M. 1982, S. 232–65, S. 246.

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  83. Vgl. die ›moderate‹ Forderung bei Tetens, H., »Der gemäßigte Naturalismus der Wissenschaften« in: Keil, G., u. Schnädelbach, H., (Hg.), Naturalismus — Philosophische Beiträge, Frankfurt/M. 2000, S. 273–288, S. 288.

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  84. Rescher, N., »Philosophie am Ende des Jahrhunderts«, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 43/1995, S. 775–787, bes. S. 783 ff.

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  85. Quine, W.V.O., »Reply to Smart«, in: Words and Objections, hg. v. D. Davidson u. J. Hintikka, Dordrecht 1969, S. 292–94.

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  86. Reduktionsbehauptungen stehen deutlich im Kontrast zur faktischen Tendenz zunehmender disziplinärer Auffächerung. Einheit besagt dann allenfalls noch Verbundenheit. Vgl. Maull, N. M., »Unifying Science without Reduction«, Studies in History and Philosophy of Science 8/1977, S. 143–71.

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  87. Zu den nach einer Naturalisierung wiederkehrenden Problemstellungen zählen so bekannte wie etwa das Geist-Körper-Problem, die Frage der Angemessenheit der Alltagspsychologie und -ontologie sowie die Verhältnisbestimmung von Geist und Wissen.

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  88. So in den vielen psychologischen Beiträgen zum sog. Wissenserwerb. »In contrast to philosophers who view knowledge as justified true belief, we use the term in a psychological sense. A person can have knowledge about Ptolemaic cosmology without believing it.« Chinn, C. A., u. Brewer, W. F., »Theories of Knowledge Acquisition«, in: Fraser, B. J., u. Tobin, K. G., (Hg.), International Handbook of Science Education, T. I, Dordrecht 1998, S. 97–113, S. 107. Jemand, der Wissen über die Ptolemäische Astronomie hat, besitzt wahre und gerechtfertigte Überzeugungen hinsichtlich der Eigenarten von Ptolemaios’ Ansatz. Die Autoren bewegen sich genau in diese Richtung und bauen zugleich eine Pseudo-Alternative zum Wissen auf, also ob Überzeugungen hinsichtlich des Ptolemäischen Systems nicht wahr sein könnten, wiewohl niemand mehr daran glaubt.

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  89. Die Überprüfung der Wahrheitsfunktionen läßt sich aus quantitativen Gründen bereits bei einer relativ kleinen Menge zu verknüpfender Aussagen nicht mehr durchführen. Christopher Cherniak rechnet (Minimal Rationality, Cambridge/Mass. 1986, Kap. 4) vor, daß bei einer lichtschnellen Hirntätigkeit mit 138 Propositionen ein Zeitraum wie der seit dem Big Bang (20 Milliarden Jahre) verbraucht wäre.

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  90. S. vor allem die Angaben zur faktischen Kalkulation von Wahrscheinlichkeiten in einer Entscheidungssituation in dem ›Klassiker‹ von Kahnemann H., Slovic, P., Tversky, A., Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, Cambridge 1982. Allgemein s. Evans, J. St., Bias in Human Reasoning: Causes and Consequences, Hillsdale 1989 (zum mit dem Entscheidungsproblem überlappenden Bestätigungsproblem s. darin Kap. 2).

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  91. Die ersten eingehenden Überlegungen zur gebundenen Rationalität sind von Ökonomen (Herbert A. Simon u. a.) angestellt worden. Unter prognostischen Gesichtspunkten sind abgeschwächte Rationalitätsmodelle überlegen. Unter dem Aspekt der Optimierung von Handlungen hingegen liefert der Utopismus des reinen Modells eine wertvolle Orientierung. S. Russell, S. J., Do the Right Thing: Studies in Limited Rationality, Cambridge/Mass. 1991. Sie geben die Richtung an, in der sich eine Entscheidung optimieren läßt. Z.B. ist Vertrautmachen mit den für oder gegen die Akzeptation einer Theorie sprechenden Tatbestände etwas, das sich vielleicht nie vollständig erfüllen, aber steigern läßt.

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  92. Vgl. speziell zur Bewahrung klassischer erkenntnistheoretischer Aufgaben Goldman, Epistemology, S. 2ff.

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Charpa, U. (2001). Orientierung. In: Wissen und Handeln. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03799-2_2

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