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Die Unruhen in Norwegen

Melancholie und Anamorphose in Goethes »Hamlet«

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Literaturwissenschaft und politische Kultur
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Zusammenfassung

Kaum eine literarische Interpretation, und gewiß keine moderne, war erfolgreicher als die von Goethe inszenierte Lektüre des Hamlet im Wilhelm Meister. Über ihre scheinbare Erledigung hinaus wirkt sie fort, und das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß sie ein Stück inszenierte Rezeption darstellt. Zu den paradoxen Aspekten ihres Weiterwirkens gehört deshalb die von der Forschung wiederholte, aber nicht beherzigte Mahnung, den Helden Wilhelm nicht mit seinem Autor durcheinanderzuwerfen. Nicht daß bei dieser Mahnung je etwas für Hamlet hätte abfallen können oder sollen; Goethes Selbstdistanzierung vom Muster seiner Helden galt die Sorge und ob er Shakespeare dabei standhalte. Unabhängig davon, Goethe hin oder her, hat Wilhelm Meisters Intuition bis heute die Oberhand behalten und noch die historisch striktesten Anstrengungen des New Historicism gehen untergründig von dem Eindruck aus, daß Hamlet an einer Aufgabe scheitere, für die er nicht der rechte Mann sei: »Eine große Tat auf eine Seele gelegt, die der Tat nicht gewachsen ist,« faßt Meister diesen Eindruck zusammen.

The beautiful ineffectual dreamer who comes to grief against hard facts.

One always feels that Goethes judgments are so true.

True in the larger analysis.

(Ulysses 9.9–11)

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Notizen

  1. Die Bedeutung von Wilhelm Meister für Ulysses ist auf ähnliche Weise unterschätzt wie die Hamlets für Meister. Harold Blooms Theorie der Anxiety of Influence, New York 1973, zunächst an Miltons Reaktion auf Shakespeare entwickelt, A Map of Misreading, New York 1975, findet in der Bedeutung Hamlets für Joyce ihre letzte, Freud äquivalente Entfaltung (The Western Canon, New York 1994, S. 417). Auch die Ausarbeitung dieses Topos in Shakespeare: The Invention of the Human, New York 1998, verpaßt Goethes Vermittlung, die in Ulysses alles andere als ein missing link ist. Am Anfang des Bibliotheks-Kapitels stehend (durch die kanonisch gewordene homerische Deckerinnerung »Scylla and Charybdis« allerdings überformt und verstellt), hält sie der Bloomschen Konstruktion Miltons die Alternative Goethe entgegen, eine um so bedeutendere Alternative, als auch diese als ein Stück Shakespeare-Rezeption fungiert. Der Einfluß Miltons auf Joyce dagegen ist anderer Art, als die von Joyce verabschiedete Anxiety of Influence glauben machen möchte; einer Beobachtung von Klaus Reichert zufolge trägt er die Züge einer linguistisch gewendeten Anamorphose (Vielfacher Schriftsinn, Frankfurt a. M 1989, S. 189). Das zeigt sich ostentativ in Finnegans Wake, drängt sich aber auch schon in jeder Paraphrase des Ulysses (wie der hier probierten) auf (Zitate nach der Gabler-Edition des Ulysses, New York 1984). Die im Motto zitierte Charakteristik des »beautiful ineffectual« paraphrasiert Wilhelm Meisters Urteil über Hamlet im Wortlaut des Shelley-Essays von Matthew Arnold; sie reflektiert die romantische Rezeption als pretext der Satire, die der Quaker Bibliothekar bietet (vgl. Don Gifford, Ulysses Annotated, Berkeley 1988, ad 9.9).

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Winfried Menninghaus Klaus R. Scherpe

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© 1999 Springer-Verlag GmbH Deutschland

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Haverkamp, A. (1999). Die Unruhen in Norwegen. In: Menninghaus, W., Scherpe, K.R. (eds) Literaturwissenschaft und politische Kultur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03797-8_5

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