Ich bin Augenarzt, steche den Staar den Riesen Über den geschichtlich-biographischen Standort des Heineschen Spätschaffens

Zusammenfassung

Als der 33jährige Heine im Mai 1831 nach Paris kam, kam er als kunst- und lebenserfahrener Mann. Hinter ihm lagen etwa das frühe überschwängliche Lob auf Deutschland und die Überwindung nationalistischer Denkweisen; das Verhör an der Universität Bonn; Sartorius; Hegel; die Teilnahme an der Tätigkeit des Berliner „Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden“; die Erfahrung, als Jude weiterhin diskriminiert zu sein; überhaupt das Erlebnis seiner Existenz als Außenseiter der Gesellschaft; die Taufe und deren poetische Verurteilung; die Auslandsreisen; die Rezeption sehr verschiedener Bereiche älterer wie neuester, deutscher wie nicht-deutscher Literatur; die partielle, aber mit deutlichem Bewußtsein durchgeführte Abgrenzung von der Romantik; die Bekanntschaft mit Rahel, mit vielen Menschen der Berliner Kunstszene überhaupt; der Besuch bei Goethe; das jahrelange und schließlich geglückte Ringen um Anerkennung als Lyriker; der kritischsouveräne, virtuose Umgang mit der eigenen Lyrik, der zur Konzeption des Buchs der Lieder führte; die Schaffung des in der deutschen Literatur neuen Genres des Reisebilds; Erfahrungen im Umgang mit Verlegern und Kritikern: die Rede des Ritters vom Heilgen Geist in der großen bekenntnishaften Passage der Bergidylle; ein menschliches und poetisches Selbstverständnis, das die Mitwirkung an dem Ringen für die Emanzipazion der ganzen Welt, absonderlich Europas (Reise von München nach Genua, 7/1, 69) als wesentliche Lebensaufgabe einschloß: So banal die Aufzählung nur allzu bekannter Tatsachen scheinen dürfte, so zeigt sie doch mit aller Deutlichkeit: Hier kam jemand, der wußte, wovon er sprach; hier kam jemand, der wußte, was er wollte.

… bin Augenarzt / Und steche den Staar den Riesen — aus: Deutschland. Ein Wintermährchen, 4, 131.