Plagiat und Innovation

Zusammenfassung

Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana kann als Prototyp der veristischen Oper definiert werden. Cavalleria rusticana beeinflußte die gesamte Opernproduktion der 1890er Jahre in Italien und hatte sowohl in thematischer als auch in struktureller und dramaturgischer Hinsicht normsetzenden Charakter: Die Oper fungierte als Modell. Eine solche Funktion kann einem Kunstwerk nur dann zukommen, wenn es mit einem Erwartungshorizont zusammentrifft, der sich durch eine Bereitschaft zur Rezeption, eine gleichsam offene Rezeptionshaltung, auszeichnet. Pointiert formuliert, initiierte Cavalleria rusticana als Gegenstand der Rezeption einen Rezeptionsmodus, der sich als positiv gewertete Negation der Erwartung beschreiben läßt: Die Dialektik zwischen der Opposition gegen herrschende ästhetische Normen und die gleichzeitige Orientierung an nationalen Traditionen wurde als Neuheit empfunden.¹ Die euphorische Aufnahme von Cavalleria rusticana durch das bürgerlich-aristokratische Opernpublikum in Italien setzte unterschiedliche Prozesse in Gang, die die italienische Oper im Verlauf der nächsten Jahrzehnte nachhaltig bestimmen sollten. Auf der einen Seite stellte Edoardo Sonzogno ein differenziertes Distributions system für die veristische Oper bereit; ein System, das erstmals Vermarktungsstrategien einer Konsum- bzw. Trivialkunst nutzbringend funktionalisierte. Auf der anderen Seite sahen sich zahlreiche Komponisten veranlaßt, der von Cavalleria rusticana gesetzten Norm zu folgen.² Zunächst bestand beim Publikum ein lebhaftes Interesse an der veristischen Oper; darüber hinaus existierten in Italien unzählige größere und kleinere Opernhäuser, die ihr Repertoire mit veristischen Opern bereichern wollten — d.h. es bestand ein Bedarf, — oder marktwirtschaftlich formuliert: eine ökonomisch bedingte Nachfrage nach dem neuen Genre.

Strong wine — soon watered

James Hinton