Zusammenfassung
Lesen und Schreiben sind keine geschlechtsneutralen Tätigkeiten. Das ist keine neue Einsicht der aktuellen Gender-Forschung, sondern eine Auffassung, die eine lange Tradition im ästhetischen Diskurs der Moderne hat. Bereits in den Debatten um 1800, in denen um Kunstautonomie und die Bedeutung von Autorschaft gestritten wurde, spielte die Frage des Geschlechts offen oder verdeckt eine zentrale Rolle (Schabert/Schaff 1994). Schillers große Abhandlungen Über Anmut und Würde oder Vom Erhabenen (1793) basierten ebenso wie Wilhelm von Humboldts programmatische Aufsätze Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur und Über männliche und weibliche Form (1795) auf festen Geschlechterkategorien. Auch die »blaue Blume« der Romantiker funktionalisierte das ›Weibliche‹ für die ›männliche‹ Kunstproduktion (Fankhauser 1997). ›Männlich‹ und ›Weiblich‹ wurden zu Variablen des ästhetischen Diskurses, wobei Autorschaft ›männlich‹ konnotiert war (vgl. Kittler 1985) und Frauen als Autorinnen in eine »mittlere Sphäre« abgedrängt wurden (vgl. Bürger 1990). Die von Goethe und Schiller gemeinsam geführte Klage über den »Dilettantism der Weiber« (»Ich muß mich doch wirklich darüber wundern, wie unsere Weiber jetzt, auf bloß dilettantischem Wege, eine gewisse Schreibgeschicklichkeit sich zu verschaffen wissen, die der Kunst nahekommt«, Bürger 1990, 28) arbeitete einer Abwertung der literarischen Produktion von Frauen zu, die für die Folgezeit fatale Konsequenzen hatte: Qua Geschlecht wurden Frauen aus dem Bereich der Kunstproduktion ausgegrenzt und auf den Status der bloßen Dilettantinnen verwiesen. Als inspirierende Musen, einfühlsame Leserinnen und Käuferinnen waren sie allerdings hoch willkommen, ja sogar unverzichtbar, um das Konzept genialer ›Autorschaft‹ ideell und finanziell abzusichern.
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Stephan, I. (2000). Literaturwissenschaft. In: von Braun, C., Stephan, I. (eds) Gender-Studien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03761-9_18
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