Zusammenfassung
Mit den letzten beiden Sätzen seines Zweiten Streichquartetts op. 10 und den Klavierstücken op. 11 Nr. 1 und 2 verläßt Arnold Schönberg im Jahre 1908 den Boden der Dur-Moll-Tonalität — die „Emanzipation der Dissonanz“ wird vollzogen. Es war dies ein folgenschwerer Schritt, der in seinen Konsequenzen den Fortgang der Musikgeschichte tiefgreifend bestimmen sollte. „Emanzipation der Dissonanz“ — dies heißt zuallererst: Abschaffung der dur-moll-tonalen Harmonik und trifft somit ins Herz einer primären Dimension des Tonsatzes, nämlich der der Tonhöhenorganisation. Nicht viele Jahre später folgt ein zweiter Neubeginn: Zu Anfang der zwanziger Jahre werden die ersten Werke vollendet, die nach der „Methode mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ komponiert sind — einer Methode, die eine Neuregelung der Tonhöhenorganisation bezweckt. Hatten sich also die Verfahren der Atonalität als ungenügend erwiesen und abermals einen Neuanfang erzwungen? Diese Überlegung aber führt geradewegs auf eine weitere Frage, die Frage nach den Auswirkungen der jeweiligen Veränderungen in der Tonhöhenorganisation auf die Relation der übrigen Dimensionen des musikalischen Satzes (nach Friedrich Blume: „Formkategorien“): In welchem Verhältnis stehen die Parameter des musikalischen Satzes — also Diastematik und Rhythmik, sodann Dynamik und Klangfarbe — in den verschiedenen Epochen posttonalen Komponierens bei Schönberg? Hat sich die von Schönberg mit der Zwölftonmethode gewagte Neudefinition dieses Verhältnisses als tragfähiges Fundament seiner Musik erweisen können?
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Notizen
A. Schönberg, Rückblick, geschrieben 1949, in: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. v. I. Vojtech, [Frankfurt] 1976 (= Gesammelte Schriften I, im folgenden abgekürzt: GS I), S. 404.
A. Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. v. W. Reich, Wien 1960 (im folgenden abgekürzt: Weg), S. 51 f.
Vergleiche A. Schönberg, Komposition mit zwölf Tönen, in: GS I, a. a. O., S. 73 ff.; A. Webern, Weg, S. 52, 58; E. Wellesz, The Origins of Schönberg’s Twelve-Tone System, Washington 1958, S. 6;
J. Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen, Kassel 21966, S. 21;
E. Stein, Neue Formprinzipien, in: Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstage, 13. September 1924, Sonderheft der Musikblätter des Anbruch, 6. Jg., 1924, S. 286 ff.
Undatierter Brief Schönbergs an Busoni, vermutlich vom 13. oder 18. August 1909 (Poststempel); siehe J. Theurich, Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Ferruccio Busoni 1903–1919 (1927), in: Beiträge zur Musikwissenschaft 19, 1977, S. 171 (auch S. 206, Anm. 19).
A. Schönberg, Harmonielehre, Wien 71966, S. 478 (Wiederabdruck der 3. Auflage von 1922).
Brief Schönbergs an Slonimsky vom 3. 6. 1937, abgedruckt in: N. Slonimsky, Music Since 1900, New York 41971, S. 1315 f.; vergleiche auch A. Schönberg, Rückblick, a. a. O., S. 407; vergleiche A. Webern, Weg, a. a. O., S. 46 f. „Ordnung“; vergleiche J. Rufer, Die Komposition mit zwölf Tönen, a. a. O., S. 25 „neue Ordnung und Gesetzlichkeit“.
Daß sich die Entwicklung des Schönbergschen Denkens insgesamt mit den Kategorien „Ausdruck“ und „Gedanke“ erfassen läßt, hat Rudolf Stephan gezeigt (siehe R. Stephan, Arnold Schönberg — Ausdruck und Gedanke, in: Bericht über den 3. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, hrsg. v. R. Stephan und. S. Wiesmann, Wien 1966 (= Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, Bd. 3), besonders S. 10.
In Schönbergs Formulierung: „Das Zusammenklingende (Harmonien, Akkorde, Stimmführungsresultate) ist eben[so] ein solcher Teil des Ausdrucks und der Darstellung des musikalischen Gedankens wie das Nacheinanderklingende (Motiv, Gestalt, Phrase, Satz, Melodie etc.) und unterliegt eben wie diese den Gesetzen der Faßlichkeit“. Text vom 9. 5. 1923, abgedruckt in: M. Beiche, Terminologische Aspekte der „Zwölftonmusik“, München-Salzburg 1984 (= Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft, hrsg. v. H. H. Eggebrecht, Bd. 15), S. 157. Vergleiche dazu ebenfalls Schönbergs Text zu: „Darstellung des Gedankens“ vom 12. 11. 1925 (Nachlaß): „Die neue Musik mit 12 Tönen erblickt in der vertikalen Richtung dasselbe wie in der horizontalen; das Gleichzeitige ist oft nur ein unendlich rasches Nacheinander, diese unendlich rasche (gleichzeitig klingende) Aufeinanderfolge von Tönen [ist] ebenso aufzufassen wie die Folgen in der horizontalen, und es kann nur die Frage sein, ob es möglich ist, eine Technik zu erfinden, die [die] Auffaßbar-keit der „vertikalen Tonfolgen“ so leicht macht wie die horizontalen, zu denen man mehr Zeit hat. Eine solche Technik ist durch die „Komposition mit 12 aufeinander bezogenen Tönen“ [...] gegeben.“
A. Schönberg, Alter und neuer Kontrapunkt, geschrieben 10. 6. 1928, Abdruck in englischer Übersetzung in: Style and Idea. Selected Writings of Arnold Schoenberg, hrsg. v. L. Stein, London 1975, S. 288 f.;
der gleiche Gedanke klingt bereits an in Schönbergs Entwurf „Das Komponieren mit selbständigen Stimmen“, aus dem Jahre 1911, unter diesem Titel veröffentlicht von R. Stephan, in: Archiv für Musikwissenschaft 29/4, 1972, siehe dort S. 248.
J. Schramke, Zur Theorie des modernen Romans, München 1974, S. 137.
A. Jakobik, Arnold Schönberg. Die verräumlichte Zeit, Regensburg 1983, S. 11 und S. 98; Jakobik erklärt „das besondere Fließen dieser besonderen Musik“ aus dem „In- und Gegeneinander von Entwicklungs- und [statischer] „Raum“-Zeit“ (siehe S. 11).
Vergleiche Schönbergs Glosse zu Hauers Artikel ‚Sphärenmusik‘, in: Melos, III/3, 1922, S. 132 f.(Nachlaß).
R. Stephan, Arnold Schönbergs Versuch, die Krise der Tonkunst zu überwinden, in: Bericht über den 3. Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, a. a. O., Wien 1996, S. 215.
Y. Sadai, Die Grundlagen einer systemischen Theorie der tonalen Musik, in: Musiktheorie 5, 1990, S. 137–160.
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Sichardt, M. (1998). „Die Zusammenklänge sind Nicht zur Diskussion Gestellt“. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03756-5_11
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