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»Die Neueste Philosophie in Dieses … Land Verpflanzen«

Kleists literarische Experimente mit Kant

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Book cover Kleist-Jahrbuch 1998

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

Zusammenfassung

Als einen seiner Lebenspläne unterbreitet Kleist seiner Verlobten die Idee, »die neueste Philosophie« nach Frankreich »zu verpflanzen« (II, 587),1 »wo man von ihr noch gar nichts weiß« (II, 590). Er meint hier wohl die Philosophie Kants, als des Begründers eines neuen philosophischen Diskurses, während andere denkbare Philosophen entweder, wie z.B. Reinhold,2 sich nur als Vermittler Kants verstehen oder, wie Fichte,3 ihre Entwürfe ausdrücklich als Weiterdenken von Positionen Kants verstanden wissen wollen. Kleists Vorschlag konnte bei Wilhelmine von Zenge wenig Vertrauen erwecken. Zwar hatte sich Kleist in früheren Briefen gegenüber der Schwester4 wie gegenüber der Braut5 als mit Kants Philosophie sich beschäftigend bezeugt, aber jetzt gibt er Wilhelmine doch zu erkennen, daß er für sein Projekt die französische Sprache noch zu wenig beherrsche, zugleich, daß ihn ein ganz anderes Begehren ins Ausland treibe, nämlich mit der Angeredeten ohne standesgemäße Ehe zusammenzuleben.6

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Anmerkungen

  1. Als Anlaß der ›Kant-Krise‹ Kleists favorisiert Ulrich Gall Reinholds Schrift Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens‹: Ulrich Gall, Philosophie bei Heinrich von Kleist. Untersuchungen zu Herkunft und Bestimmung des philosophischen Gehalts seiner Schriften, 2. Aufl., Bonn 1985.

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  2. Ernst Cassirer hat als Anlaß der ›Kant-Krise‹ Fichtes 1800 erschienene Schrift ›Bestimmung des Menschen‹ in die Diskussion gebracht: Ernst Cassirer, Heinrich von Kleist und die Kantische Philosophie, Berlin 1919.

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  3. So auch in der Selbstdeutung Kants, ›Kritik der Urteilskraft‹, Einleitung, Kap. IX (»[…] macht die Urteilskraft den Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich« [KdU LVI]. Zitate aus der ›Kritik der Urteilskraft‹ werden mit der Sigle KdU nachgewiesen, Seitenangabe nach der Paginierung der 2. Aufl. von 1793;

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  4. Hölderlin, Sämtliche Werke, hg. von Friedrich Beissner (Große Stuttgarter Ausgabe Bd. 2,1) Stuttgart 1951, S. 189.

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  5. Ludwig Muth hat viele Argumente dafür beigebracht, daß als Denkhorizont der ›Kant-Krise‹ die ›Kritik der Urteilskraft‹ anzusetzen sei, ohne allerdings deren Komposition produktiv zu machen, durch die der erkenntnistheoretische Skeptizismus, den die ›Kritik der Urteilskraft‹ in ihrem zweiten Teil vorträgt, durch das Verweisungsverhältnis von ästhetischer Idee und Vernunftidee, in dessen Darlegung der erste Teil kulminiert, entschärft ist. Ludwig Muth, Kleist und Kant. Versuch einer neueren Interpretation, Köln 1954.

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  6. Suche nach Ausreden, um den mißliebigen Auftrag der Technischen Deputation nicht erfüllen zu müssen, haben betont: Jochen Schmidt, Heinrich von Kleist. Studien zur poetischen Verfahrensweise, Tübingen 1974;

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  7. Heinz Politzer, Auf der Suche nach Identität. Zu Heinrich von Kleists Würzburger Reise. In: Euphorion 61 (1967), S. 383–399;

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  8. ebenso Thomas Wichmann, Heinrich von Kleist, Stuttgart 1988.

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  9. Das hat schon Hans Joachim Kreutzer nachdrücklich betont: Hans Joachim Kreutzer, Die dichterische Entwicklung Heinrich von Kleists. Untersuchungen zu seinen Briefen und zu Chronologie und Aufbau seiner Werke, Berlin 1968;

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  10. in jüngster Zeit hat dies an einem anderen Themenkomplex aufgezeigt: Friedrich Strack, Heinrich von Kleist im Kontext romantischer Ästhetik. In: KJb 1996, S. 201–218.

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  11. unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit wohl vorstellen.« (Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl., hg. von Raymund Schmidt, Hamburg 1956, S. 19f.)

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  12. Hierzu: Werner Frick, Kleists ›Wissenschaft‹. Kleiner Versuch über die Gedankenakrobatik eines Un-Disziplinierten, in: KJb 1997, S. 207–240, insbes. S. 213–216.

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  13. Z.B. entsprechend Schellings 1797 erschienener Schrift ›Ideen zu einer Philosophie der Natur‹ oder analog den Notaten von Novalis: »Was ist die Natur? — ein encyclopaedischer systematischer Index oder Plan unsers Geistes.« Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, hg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 583. Oder: »Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes — Ein symbolisches Bild desselben.« (S. 600). Oder: »Zur Welt suchen wir den Entwurf — dieser Entwurf sind wir selbst -» (S. 541).

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  14. Manfred Frank, Kommentar zur KdU, in: Immanuel Kant, Schriften zur Ästhetik und Naturphilosophie (Werke III), hg. von Manfred Frank und Véronique Zanetti, Frankfurt 1996, S. 1267.

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  15. Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, hg. von Karl Vorländer, Hamburg 1990, S. 22 passim.

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  16. Martin Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens. In: Ders., Zur Sache des Denkens, 3 Aufl. 1988, Tübingen 1988, S. 61–80. Erstmals entwickelt Heidegger diesen Gedanken in der Marburger Vorlesung von 1923/24. Martin Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, Bd. 17, Frankfurt 1994, Kap. C, S. 268: »Übernahme des cogito sum als certum für die Ansetzung der absoluten Selbstevidenz des Bewußtseins als Entwurzelung« und in: Sein und Zeit, § 44.

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  17. wie Anm. 9) hat betont, daß Kleist solch eine Betrachtungsweise von seinem Frankfurter Lehrer Christian Wünsch naheglegt worden sein konnte. Das besagt aber noch nicht, daß Kleist die naturwissenschaftlichen Lehren Wünschs übernommen hätte. Zu Recht ist in jüngster Zeit vor zu schnellen Zuordnungen gewarnt worden Vgl. Christoph Meinel, ›des wunderlichen Wuensch seltsame Reduktion …‹. Christian Ernst Wünsch, Kleists unzeitgemäßer Zeitgenosse. In: KJb 1996, S. 1–32.

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  18. Zum Beispiel: Nur weil Sylvesters Position schwach sei, gebe er den Verdacht gegen Rupert auf, um diesen dadurch zu nötigen, seinen viel besser begründeten Verdacht und seine hieraus abgeleitete Rache aufzugeben (vgl. Vs. 1950–1966).

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  19. Heinrich Zschokke, Selbstschau, Aarau 1842, S. 204: »Als uns Kleist eines Tages sein Trauerspiel ›Die Familie Schroffenstein‹ vorlas, ward im letzten Akt das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft, wie auch des Dichters, so stürmisch und endlos, daß, bis zu seiner letzten Mordszene zu gelangen, Unmöglichkeit wurde.« Zitiert nach: LS 67 a.

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  20. Im Sinne von René Descartes, Meditationes de prima philosophia, Meditatio prima §12 und Meditatio secunda §6. In: René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie: lateinisch-deutsch. Neu hg. von Lüder Gräbe, Hamburg 1992, S. 38 u. 46. Die Anspielung auf Descartes‹ ›täuschenden Gott‹ wird in der Regel erst anläßlich des ›Amphitryon‹ diskutiert (s.u.), die entsprechende Konstellation ist aber schon hier zu erkennen.

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  21. Auf diesen Bezug hat aufmerksam gemacht: Ruth K. Angress, Kleists Abkehr von der Aufklärung. In: KJb 1987, S. 98–114.

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  22. Wolf Kittler (Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg 1987, S. 98–101) sucht das Rätsel damit zu lösen, daß er die Münze als Geusenpfennig identifiziert. Auf der einen Seite zeigt diese Münze tatsächlich das Antlitz eines Spanierkönigs, auf der anderen Seite den bekannten Bettelsack. Kittler muß allerdings zugestehen, daß der Geusenpfennig nie Zahlungsmittel in den Niederlanden war;

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  23. Immanuel Kant, Werke, hg. von Ernst Cassirer. Bd. VI. Schriften von 1790–96, Berlin 1923, S. 475–496. Konkreter Anlaß der Schrift war eine soeben erschiene Übersetzung von Briefen Piatons;

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  24. Eine Übersicht zur neueren Diskussion über das Erhabene geben: Christine Pries (Hg.), Das Erhabene, Weinheim 1989;

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  25. Martin Seel, Dialektik des Erhabenen. Kommentare zur »ästhetischen Barbarei heute«. In: Willem van Reijen, Gunzelin Schmid Noerr (Hg.), Vierzig Jahre Flaschenpost ›Dialektik der Aufklärung‹ 1947–1987, Frankfurt 1987, S. 11–40. Das neue Interesse am Erhabenen geht insbesondere auf Schriften von Jean-Francois Lyotard zurück, u.a.: Das Erhabene und die Avantgarde. In: Merkur 38 (1984), H. 2, S. 151–164;

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  26. Das postmoderne Wissen, hg. von Peter Engelmann, 3. Aufl., Wien 1994;

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  27. Der Augenblick, Newman. In: Ders., Philosophie und Malerei im Zeitalter des Experimentierens, Berlin 1986.

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  28. Ein prominentes weiteres Beispiel geben die Bilder Barnett Newmans, vgl. hierzu auch dessen programmatische Schrift: The Sublime Is Now. In: Ders., Selected Writings and Interviews, edited by John P. O’Neill, New York 1990, S. 170–173.

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  29. Hierzu Verf.: »Das ganze Schrecken der Tonkunst«. ›Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik‹. Kleists erzählender Entwurf des Erhabenen. In: ZfdPh 115 (1996), S. 501–520.

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  30. Hierzu Verf.: Kant mit Kleist: die Krisis erhabener Interpretation des Zufalls in der Kunst (›Das Erdbeben in Chili‹). In: Ders. (Hg.), Kontingenz und Ordo. Selbstbegründung des Erzählens in den Umbrüchen der Neuzeit, erscheint Bonn 1999.

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  31. Vgl. Friedrich Schillers Schriften: ›Vom Erhabenen‹ und ›Über das Erhabene‹. In: Ders., Sämtliche Werke, hg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, Bd. 5, München 1967, S. 489–537 und S. 792–808.

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  32. Ausführliche Interpretation des Essays im Horizont der Frage nach einem Erhabenen in der Kunst: Verf., Die Wende in der Kunst. Kleist mit Kant. In: DVjs 64 (1990), S. 96–117;

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  33. Christian Begemann, Brentano und Kleist vor Friedrichs ›Mönch am Meer‹. Aspekte eines Umbruchs in der Geschichte der Wahrnehmung. In: DVjs 64 (1990), S. 54–95. Zu den Anteilen von Brentano/Arnim und von Kleist an diesem Essay: Roswitha Burwick, Verschiedene

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  34. Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft: Arnim, Brentano, Kleist. In: ZfdPh 107 (1988), Sonderheft, S. 33–44.

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  35. Hilda Brown, Kleists Theorie der Tragödie — im Lichte neuer Funde. In: Dirk Grathoff (Hg.), Heinrich von Kleist. Studien zu Werk und Wirkung, Opladen 1988, S. 117–132.

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  36. Ausführliche Interpretation unter diesem Aspekt: Verf., Sich selbst verschlingendes Theater: das ›erhabene‹ Trauerspiel ›Penthesilea‹. In: Verf., Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist, Berlin 1994, S. 175–190.

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  37. der Wandel in den Bearbeitungen des Amphitryon-Stoffes ist vielfach nachgezeichnet worden, zuletzt: Karlheinz Stierle, Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Walter Hinderer (Hg.), Kleists Dramen, Stuttgart 1997, S. 33–74.

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  38. Philosophiegeschichtlich kann dem Fichtes Ausarbeiten des transzendentalen Subjekts als abgründiger Einheit von Unendlichkeit und Endlichkeit zur Seite gestellt werden: der Einbruch des ganz Anderen, des Endlichen, des Du in das als absolut und unendlich gedachte aus sich herausgehende Bewußtsein, der dieses erst auf sich zurückwendet zum Selbstbewußtsein und damit die Gewißheit des Sich-Selbst-Wissens in allem Wissen begründet. Hierzu: Wilhelm Weischedel, Der Zwiespalt im Denken Fichtes, Berlin 1962.

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  39. Mit Berufung auf Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt 1971, argumentieren so z.B. Hans Robert Jauß, Von Plautus bis Kleist. ›Amphitryon‹ im dialogischen Prozeß der Arbeit am Mythos. In: Walter Hinderer (Hg.), Kleists Dramen. Neue Interpretationen, Stuttgart 1981, S. 114–143;

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  40. Gerhard Neumann, Hexenküche und Abendmahl. Die Sprache der Liebe im Werk Heinrich von Kleists. In: Freiburger Universitätsblätter, Heft 91, 1986, S. 9–31;

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  41. Joachim Pfeiffer, Die zerbrochenen Bilder. Gestörte Ordnungen im Werk Heinrich von Kleists, Würzburg 1989.

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  42. Zur Deutung der Jupiter-Figur als ›genius malignus‹ i.S. von Descartes: Michael Neumann, Genius malignus Jupiter oder Alkmenes Descartes-Krise, in: KJb 1994, S. 141–155. Karlheinz Stierle hat herausgestellt, daß Kleists Jupiter in der Alternative von ›deus benignus‹ und ›deus malignus‹ nicht mehr aufgeht: Stierle (wie Anm. 52), S. 63.

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  43. Nach einer Aufzeichnung von Heiner Müller, Fatzer ± Keuner. In: Ders., Rotwelsch, Berlin 1982, S. 141.

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Greiner, B. (1998). »Die Neueste Philosophie in Dieses … Land Verpflanzen«. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 1998. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03755-8_9

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03755-8_9

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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