Zusammenfassung
Das Tanz-Motiv spielt in Heines fiktionalen und expositorischen Texten als Veranschaulichung menschlicher Bewegung und Sinnlichkeit eine wichtige Rolle.1 Heine steht damit in einer Traditionskette, die von der Aufklärung bis ins zwanzigste Jahrhundert reicht und die den Tanz als eine von Konventionen und Normen befreite Bewegung interpretiert und somit als Revolte gegen eine rationalistische Einengung menschlicher Freiheit verstanden werden kann. »Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung, / Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel«, heißt es in Schillers Elegie »Der Tanz«, Heinrich von Kleist faßt in seiner berühmten Schrift »Über das Marionettentheater« den Tanz der Puppen als die unwillkürliche Bewegung, die eine von der Reflexion verdrängte Unschuld und Anmut vergegenwärtigt, Karl Marx formuliert die Aufgabe der Kritik in der Weise, daß es dieser darum gehen müsse, den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzuspielen, um sie zum Tanzen zu bringen, und Nietzsches Zarathustra lehrt: »Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.« Die verschiedenen Tanzbilder zeigen dabei diametral verschiedene Versionen des Verhältnisses von Gesetz und Willkür, Ordnung und Freiheit. Während bei Schiller und noch bei Kleist ein sanftes Gesetz erkennbar ist, das Bewegung und Sinnlichkeit jenseits rationalistischer Begrenzung in eine zwanglose Ordnung einfügt, wird bei Marx und Nietzsche auf jeweils verschiedene Weise die Notwendigkeit erkennbar, mit tradierten Ordnungen radikal zu brechen.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
In Abwandlung einer Formulierung von Klaus Briegleb: Opfer Heine? Versuch über Schriftzüge der Revolution. Frankfurt/M. 1986, S. 354.
Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? — In: Berlinische Monatsschrift Dezember 1784. Hier zitiert nach: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, hrsg. von Ehrhard Bahr. Stuttgart 1974, S. 9–17, hier S. 9.
Friedrich Schiller: Werke. Nationalausgabe. Weimar 1962, Bd. 20 (Philosophische Schriften. Teil I. Unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hrsg. von Benno von Wiese), S. 320.
Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. 1988, S. 19.
Rolf Grimminger: Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts. — In: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680–1789, hrsg. von Rolf Grimminger. 2 Bde. 2., durchges. Auflage. München 1984, S. 15–99, hier S. 23.
Vgl. Manfred Schneider: Die kranke schöne Seele der Revolution. Heine, Börne, das »junge Deutschland«, Marx und Engels. Frankfurt/M. 1980.
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke Leipzig 1794–1811 (Reprint [der Kleinoktav-Ausgabe] Hamburg 1984), Bd. 9, S. 10.
Vgl. Reinhart Kosellek: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M. 61989.
Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990. Frankfurt/M. 1990, S. 110f.
Zitiert nach Klaus Göbel: Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Zur Didaktik des klassischen Dramas. München 1988, S. 78.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1999 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Hofmann, M. (1999). Veranschaulichung von Ambivalenz in Bildern des Tanzes. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_8
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-01621-8
Online ISBN: 978-3-476-03751-0
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)