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Welcher Gedanke geht wessen Tat voraus?

Zur Revolutionsproblematik bei Heine

  • Chapter
Aufklärung und Skepsis
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Zusammenfassung

»Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner«, schreibt Heine: gegen Ende der Abhandlung »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« (B III, 639). Das berühmte Gewitter-Gleichnis bindet Gedanke und Tat unzertrennlich zusammen, macht sie zu zwei Aspekten eines einzigen Phänomens. Zu jedem Gedanken gehört somit eine ganz bestimmte, unverwechselbare Tat. Der »schwarze, vermummte Begleiter«, der mit einem blanken Beil unter dem Mantel in »Deutschland. Ein Wintermärchen« auftritt, erklärt dem Dichter schlicht und einfach: »ich bin / Die Tat von deinem Gedanken« (B IV, 592f). Wo »durch das Hirn/ Die Geistesblitze schießen« (B IV, 591), steht schon die entsprechende Tat voll ausgerüstet und einsatzbereit zur Verfügung. Und eigentlich müßte das dem Denker willkommen sein, denn die Tat ist »der letzte Zweck alles Denkens« (B V, 198); sie bildet gleichsam die Ergänzung und Vollendung des Gedankens. Das hieße aber auch, daß der Gedanke erst dann richtig verstanden und bewertet werden kann, wenn er zur Tat wird. Erst seine Vervollständigung durch die Tat erlaubt uns, ein wahres Urteil über den Gedanken zu fällen.

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Anmerkungen

  1. Martin Bollacher: »Aufgeklärter Pantheismus«. Zur Deutung der Geschichte in Heines Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. — In: DVjs 49. 1975, S. 277.

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  2. Zu fast demselben Zeitpunkt, an dem Heine seine Arbeit an der Religionsschrift begann, erkannte der gemäßigte französische Republikaner Armand Carrel den Prozeß der Fraktionierung als einen unausweichlichen Aspekt des revolutionären Fortschritts. Hinsichtlich seiner Beziehungen zu den Radikalen von der Société des Droits de l’Homme bemerkte Carrel im Dezember 1833: »Nous sommes forcés de cacher les misères de gens qui s’appellent républicains comme nous et avec lesquels nous sommes, bon gré, mal gré, en solidarité … Nous sommes, comme tous les partis, poussés par notre fatalité. Nous avons une monarchie à renverser; nous la renverserons et puis il faudra lutter contre d’autres ennemis« (zitiert nach R.-G. Nobécourt: La Vie d’Armand Carrel. Paris 1930, S. 174f).

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  3. Volkmar Hansen argumentiert zwar, daß Heine trotz seiner kritischen Einstellung zu dem Kaiser Napoleon und zu dem »real existierenden Bonapartismus« einem ideellen »Bonapartismus«, der Idee einer fortschrittlichen, volksverbundenen Diktatur, verpflichtet blieb (Volkmar Hansen: Johannes der Täufer. Heines bedingter Bonapartismus. — In: Der späte Heine. 1848–1856. Literatur — Politik — Religion, hrsg. von Wilhelm Gössmann und Joseph A. Kruse. Hamburg 1982, S. 76–79). Da ich aber im folgenden nachweisen will, daß Heines Vision eines pantheistischen Kaiserreichs auf eben der »Gedankenverschmelzung« beruht, die zu bewirken Napoleon von Natur aus unfähig gewesen sei, scheint es hier angebracht, diese Vision nicht als eine ideelle Form des Bonapartismus, sondern als dessen Korrektur zu betrachten.

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  4. Heines »sceptre divinatoire« wird von Hans Kaufmann und anderen Kommentatoren als »das göttliche Zepter« übersetzt (Hans Kaufmann: Heinrich Heine. Geistige Entwicklung und künstlerisches Werk. Berlin und Weimar 1967, S. 116; vgl. auch Höhn: Heine-Handbuch, S. 302 und Klaus Brieglebs Kommentar, B III, 1021). Das scheint mir jedoch ein schwerwiegender Mißgriff zu sein, der die eigentliche Bedeutung des Zepters in ihr Gegenteil verkehrt. Heine will mit seiner subtilen Symbolik verdeutlichen, daß das Göttliche nicht in theokratischer (oder gar »bonapartistischer«) Weise der Menschheit aufgezwungen werden kann. Die Macht selber ist hier kein göttliches Prinzip und kann nicht über Göttliches gebieten, sie ist bloß das Mittel, wodurch die im Menschen immanente Göttlichkeit aufgeschlossen und freigesetzt werden soll. — Ein vergleichbares Motiv der Divination und Belebung verborgener künstlerischer Begabungen kommt in der »Romantischen Schule« vor: »[…] kannte Herr Tieck selber nicht die Reichtümer seiner eigenen Brust, und die Schlegel mußten diese erst mit der Wünschelrute entdecken? So wie Herr Tieck mit den Schlegeln in Berührung kam, erschlossen sich alle Schätze seiner Phantasie, seines Gemütes und seines Witzes« (B III, 425).

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Joseph A. Kruse Bernd Witte Karin Füllner

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Holmes, T.M. (1999). Welcher Gedanke geht wessen Tat voraus?. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_36

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