Zusammenfassung
Im 33. der »Briefe aus Paris«, der auf den 11. Februar 1831 datiert ist, äußert sich Ludwig Börne begeistert über den vierten Band von Heines »Reisebildern«, der Anfang 1831 erschien. »Ich sprach«, schreibt er, »so allein in dieser Zeit, und Heine hat mir geantwortet. Alles ist schön, alles herrlich, das aus Italien wie das aus England«. Doch dann fügt er einschränkend hinzu:
Was mich aber eine Welt weit von Heine trennt, ist seine Vergötterung Napoleons. Zwar verzeihe ich dem Dichter die Bewunderung für Napoleon, der selbst ein Gedicht; aber nie verzeihe ich dem Philosophen Liebe für ihn, den Wirklichen.1
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Anmerkungen
Ludwig Börne: Briefe aus Paris, hrsg. v. Alfred Estermann. Frankfurt/M. 1986, S. 154.
August Wilhelm Schlegel: Vorlesungen über Ästhetik I, hrsg. v. Ernst Behler. Paderborn / München / Wien / Zürich 1989 (August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Hrsg. v. Ernst Behler in Zusammenarbeit mit Frank Jolies, Bd. I), S. 49.
Ebd., S. 441. Zu Schlegels Mythos-Begriff vgl. Markus Winkler: Mythisches Denken zwischen Romantik und Realismus. Zur Erfahrung kultureller Fremdheit im Werk Heinrich Heines. Tübingen 1995, S. 51–60.
Vgl. Christoph Jamme: »Gott an hat ein Gewand«. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart. Frankfurt/M. 1991, z.B. S. 21, 33, 272–274.
Zur Napoleon-Darstellung in diesem Reisebild vgl. Eward A. Zlotkowski: Die Bedeutung Napoleons in Heines »Reisebilder II«. In: Etudes Germaniques 35 (1980), S. 145–162, hier S. 145–162
Wulf Wülfing: Zum Napoleon-Mythos in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Mythos und Mythologie in der Literatur des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Helmut Koopmann. Frankfurt/M. 1979, S. 81–108, hier S. 92–96
Wulf Wülfing: »Heiland« und »Höllensohn«. Zum Napoleon-Mythos im Deutschland des 19. Jahrhunderts. In: Mythos und Nation, hrsg. v. Helmut Berding. Frankfurt/M. 1996, S. 164–184, hier S. 179–181
ferner Wulf Wülfing/ Karin Bruns/ Rolf Parr: Historische Mythologie der Deutschen. 1798–1918. München 1991, S. 34.
Vgl. Immanuel Kant: Werke. Akademie-Textausgabe. Bd. V, Berlin 1968, S. 407. Wie Jost Hermand in seinem Kommentar (DHA VI, 759) anmerkt, entnahm Heine diese Stelle einem Aufsatz Goethes aus dem Jahre 1820. Vgl. Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. XVI. 2. Aufl.. Berlin, Weimar 1973, S. 384f.
Zum Zusammenhang zwischen diesem Passus und dem Genie-Kult seit dem Sturm und Drang vgl. Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750–1945. 2 Bde. Darmstadt 1985, Bd. II, S. 74f.
Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Mit einer Einleitung von Walter Schulz. Hamburg 1957 (Philosophische Bibliothek, Bd. 254), S. 288–298
ferner Schelling: Philosophie der Kunst. Darmstadt 1980 (unveränderter reprografischer Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegebenen Ausgabe von 1859), S. 49f.
Brief an K.A. Varnhagen von Ense vom 1. Mai 1827. Zlotkowski [Anm. 8] schreibt dazu (S. 150): »Diese Vorstellung ist natürlich eine hegelianische«. Aus dem angegebenen Grund -Hegel hat zum damaligen Zeitpunkt die romantisch-idealistische Aufwertung von Kunst und Mythologie längst hinter sich gelassen — scheint mir diese Auffassung nicht zutreffend. Überdies findet sich in Hegels Werken nichts der Heineschen Napoleon-Vergötterung Vergleichbares, auch dort nicht, wo Napoleon gerühmt wird, wie die folgenden Äußerungen aus den »Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte« exemplarisch belegen mögen: »Mit der ungeheuren Macht seines Charakters hat er [d.i. Napoleon] sich dann nach außen gewendet, ganz Europa unterworfen und seine liberalen Einrichtungen überall verbreitet. Keine größeren Siege sind je gesiegt, keine genievolleren Züge je ausgeführt worden; aber auch nie ist die Ohnmacht des Sieges in einem helleren Lichte erschienen als damals. Die Gesinnung der Völker, d.h. ihre religiöse und die ihrer Nationalität hat endlich diesen Koloß gestürzt« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bänden. Frankfurt/M. 1969–1971, Bd. XII, S. 533). »Die Abstraktion des Liberalismus hat so von Frankreich aus die romanische Welt durchlaufen, aber diese blieb durch religiöse Knechtschaft an politische Unfreiheit angeschmiedet« (ebd., S. 535).
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken. Darmstadt 81987, S. 82.
Zum hier verwendeten Begriff der Metapher vgl. Gerhard Kurz: Metapher — Allegorie -Symbol. Göttingen 1982, S. 23.
Jacob Grimm: Kleinere Schriften, hrsg. v. Karl Müllenhoff und Eduard Ippel. 8 Bde. Berlin (Bd. VIII: Gütersloh) 1864–1890, Bd. IV, S. 75 (»Gedanken über Mythos, Epos und Geschichte«).
Dieser Passus ist, wie Jost Hermand in seinem Kommentar (DHA VI, 763f.) nachweist, Friedrich Schlegels »Geschichte der alten und neuen Literatur« stark verpflichtet: Vgl. Kritische-Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. München, Paderborn, Wien, Zürich 1958ff., Bd. VI, S. 165f
Vgl. Gerhart von Graevenitz: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart 1987, S. 56, 96 u. öfter.
Vgl. Roland Barthes: Mythologies. Paris 1957, S. 260.
Vgl. Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Vierte Aufl. Frankfurt/M. 1986, S. 68–126.
Vicor Hugo: Œuvres poétiques complètes, hrsg. v. Francis Bouvet. Paris 1961, S. 313. Das Gedicht erschien 1853 in der Sammlung »Les Châtiments«.
Dazu vgl. Stefan Bodo Würffei: Heinrich Heines negative Dialektik. Bern 1986, S. 31.
Vgl. Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, hrsg. v. Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert. 5 Bde. Fünfte Aufl. München 1971–1976, Bd. V, S. 751.
Vgl. Paul Holzhausen: Heinrich Heine und Napoleon I. Frankfurt/M. 1903, S. 40ff., 116ff.
Zur Interpretation vgl. Michael Perraudin: Die Grenadiere. In: Interpretationen. Gedichte von Heinrich Heine, hrsg. v. Bernd Kortländer. Stuttgart 1995, S. 32–50
zur Übertragung der Barbarossa-Sage auch Rolf Geißler: Heines Napoleon als Herausforderung unseres Denkens, in: HJb 29. 1990, S. 92–110, hier S. 95. Auch in Victor Hugos Gedicht »Le Retour de l’Empereur« (1840) wird Napoleon als neuer Barbarossa wahrgenommen, doch hier erweist sich dies als Illusion.
Vgl. Victor Hugo: La Légende des siècles. La Fin de Satan. Dieu, hrsg. von Jacques Truchet. Paris 1967, S. 591–593.
Jeffrey L. Sammons: Heinrich Heine: The Revolution as Epic and Tragedy. In: The Internalized Revolution: German Reactions to the French Revolution, 1789–1989, hrsg. von Ehrhard Bahr und Thomas P. Saine. New York / London 1992, S. 173–196, Zitat S. 173.
Ernst Behler: Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie. Paderborn / München / Wien / Zürich 1988, S. 50.
Das ist eine historisch wenig adäquate, anachronistische Deutung des Staatsstreichs: Neue Aristokratien schuf Bonaparte erst mit der Légion d’honneur (1802), dann unmittelbar nach der Errichtung des Empire; vgl. Bernardine Melchior-Bonnet: Dictionnaire de la Révolution et de l’Empire. Paris 1965, S. 238f.
Das weite Spektrum der Napoleon-Bilder in der europäischen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dokumentiert Paul Michael Lützeler: Napoleon-Legenden von Hölderlin bis Chateaubriand. In: Lützeler: Geschichte in der Literatur. Studien zu Werken von Lessing bis Hebbel. München / Zürich 1987, S. 264–299.
Vgl. ferner Reinhold Grimm: Der Napoleon-mythos in der französischen Romantik. In: Napoleon kam nicht nur bis Waterloo. Die Spur des gestürzten Giganten in Literatur und Sprache, Kunst und Karikatur, hrsg. v. Heide N. Rohloff. Frankfurt/M. 1992, 146–162; Heide N. Rohloff: Geschichtsphilosophische Ansätze in den Napoleondichtungen Byrons und Shelleys. In: Ebd., S. 163–230.
Alessandro Manzoni: Opere, hrsg. v. Lanfranco Caretti. Milano 1962, S. 30. Vgl. Goethes Übersetzung aus dem Jahre 1822: Mit wahrem Ruhm? — Die künft’ge Welt. Entscheide dies! Wir beugen uns, Die Stirne tief, dem Mächtigsten, Erschaffenden, der sich einmal. Von allgewaltger Geisteskraft. Grenzlose Spur beliebte«. (Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. I, 3. Aufl. Berlin/Weimar 1976, S. 618).
Lord Byron: The Complete Poetical Works, hrsg. v. Jerome J. McGann. 7 Bde. Oxford 1980–1993, Bd. II, S. 91 (»Childe Harold’s Pilgrimage« III, V. 364). Vgl. ebd., S. 154: »[…] one vain man, who is not in the grave,/ But, vanquish’s by himself to his own slaves a slave« (IV, V. 800f.).
Vgl. »Shakspeares Mädchen und Frauen« (Portia): »Demokratie und Königthum stehen sich nicht feindlich gegenüber, wie man fälschlich in unsern Tagen behauptet hat. Die beste Demokratie wird immer diejenige seyn, wo ein Einziger als Inkarnazion des Volkswillens an der Spitze des Staates steht, wie Gott an der Spitze der Weltregierung; unter jenem, dem inkarnirten Volkswillen, wie unter der Majestät Gottes, blüht die sicherste Menschengleichheit, die ächteste Demokratie« (DHA X, 41). Vgl. hierzu den grundlegenden Artikel von Volkmar Hansen: Johannes der Täufer. Heines bedingter Bonapartismus. In: Der späte Heine: 1848–1856. Literatur — Politik — Religion, hrsg. von Wilhelm Gössmann u. Joseph A. Kruse. Hamburg 1981 (Heine-Studien), S. 69–96, hier bes. S. 77.
Vgl. Markus Winkler: Weltschmerz, europäisch. Zur Ästhetik der Zerrissenheit bei Heine und Byron. In: Heinrich Heine und die Romantik / Heinrich Heine and Romanticism. Erträge eines Symposiums an der Pennsylvania State University, 20.–23. September 1995, hrsg. von Markus Winkler. Tübingen 1997, S. 173–190.
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Winkler, M. (1999). Heines Napoleon-Mythos. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_25
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