Zusammenfassung
Kommentatoren, die sich mit Heines »Buch Le Grand« befassen, neigen dazu, es als sein Meisterwerk zu betrachten.1 Man ist über die Richtigkeit eines solchen Urteils unsicher: Das Werk ist nicht frei von Preziosität, es leidet an einer gewissen spätromantischen Wurzellosigkeit, und es sprach (und spricht) seine Leserschaft auf jeden Fall nicht mit der Art von Energie und Unmittelbarkeit an, die Heines berühmteste belletristische Texte — »Deutschland. Ein Wintermärchen«, »Die Harzreise«, »Buch der Lieder« — auszeichnete. Ein Grund hierfür ist die ungewöhnliche Obskurität des Werkes. Obwohl Heine mehrmals eine ästhetische Theorie vorschlug, die esoterische Bedeutungen in der Literatur betonte und privilegierte2, sind seine eigenen Texte gewöhnlich nicht esoterisch. Im Gegenteil: die meisten von ihnen weisen starke Impulse auf, mit einem realen zeitgenössischen Publikum klar und ansprechend, sogar populistisch, zu kommunizieren. Für solche Leser aber wird das »Buch Le Grand« eleganter und spielerischer Unsinn gewesen sein. Der Text ist wirklich nur auf esoterischem Niveau kohärent. Doch auf der anderen Seite ist es eben diese Esoterik, die ihn heute faszinierend und merkwürdig macht; und er stellt im Kontext von Heines Schreiben und Denken der 1820er Jahre vor allem einen äußerst wichtigen Text dar, denn er ist auf seine Art ein logisches Resümee von allem bei Heine Vorangegangenen: Alle Wege führen zum »Buch Le Grand«.
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Anmerkungen
Z. B. Jeffrey Sammons: Heinrich Heine. The Elusive Poet. New Haven 1969, S. 116–149, bes. S. 118.
Vgl. z. B. Brief Heines vom 12.10.1825, HSA XX, 218, sowie B II, 353. Vgl. Norbert Altenhofer: Chiffre, Hieroglyphe, Palimpsest: Vorformen tiefenhermeneutischer und intertextueller Interpretation im Werk Heines. — In: Texthermeneutik: Aktualität, Geschichte, Kritik, hrsg. von Ulrich Nassen. Paderborn 1979, S. 149–193, bes. S. 172–180.
Hans Elema: Evelina und die Seelenwanderung. Zu Heines »Ideen. Das Buch Le Grand« — In: HJb 12. 1973, S. 20–33.
Vgl. auch Andreas Böhn: Seelenwanderung und ewiges Wiederholungsspiel. Zum Verhältnis zwischen linearer und zyklischer Zeit in Heines »Reisebildern«. — In: Athenäum Jahrbuch für Romantik 4. 1994, S. 283–310.
Vgl. etwa Käte Hamburger: Zur Struktur der belletristischen Prosa Heines. — In: Heinrich Heine. Artistik und Engagement, hrsg. von Wolfgang Kuttenkeuler. Stuttgart 1977, S. 22–42, bes. S. 33.
Philipp Veit: Heine and his Cousins. A Reconsideration. — In: Germanic Review 47. 1972, S. 20–40, bes. S. 21–24.
Vgl. z. B. Erich Loewenthal: Studien zu Heines »Reisebildern«. Berlin 1922, S. 160–172; auch Klaus Briegleb, B VI/II, 332f, Kommentar. Vgl. den soeben angeführten Brief vom 11.1.1825, HSA XX, 184: »O Flickwerk!«.
Vgl. Michael Perraudin: Heinrich Heine: Poetry in Context. A Study of »Buch der Lieder«. Oxford 1989, S. 119–142, bes. S. 126f
Vgl. Briefe vom 7.4., 8.10., 12.10.1825, HSA XX, 71, 215, 217; B II, 421, 515, 594. Vgl. auch Ritchie Robertson: Heines orientalische Masken. — In: Begegnung mit dem ›Fremden‹. Grenzen — Traditionen — Vergl. Akten des VIII. Internationalen Germanistenkongresses. Tokyo 1990, S. 126–132. Robertson legt dar, »wie Heine seine Orientkenntnisse dazu nutzte, mit Hilfe von Masken seine unbequeme Doppelidentität als Deutscher und Jude verschlüsselt zur Sprache zu bringen« (S. 127).
Brief vom 21.1.1824, HSA XX, S. 137. Der Brief fährt fort: »Man muß alles aufbiethen daß es niemand einfalle letzterer habe Aehnlichkeit mit dem indischen Paria, und es ist dum wenn man diese Aehnlichkeit geflissentlich hervorhebt«. Vgl. Briefe vom 9.1.1824, 15.5., 12.10.1825, HSA XX, 134, 198, 219. Zur Genese und Rezeption des »Parias« vgl. Jürgen Stenzel: Assimilation durch Klassik. Michael Beers »Der Paria«, Heine, Goethe. — In: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts. 1987, S. 314–335.
Vgl. auch das Gedicht »An Edom!« aus dem Jahr 1824, in dem der Dichter in der Rolle Jakobs, des Bruders Esaus, vom jüdischen Schicksal spricht (B I, 271), und Brief vom 21.10.1824, HSA XX, 177. Zum Wandernden Juden bei Heine vgl. Klaus Briegleb: Abgesang auf die Geschichte? Heines jüdisch-poetische Hegelrezeption. — In: Heinrich Heine. Ästhetischpolitische Profile, hrsg. von Gerhard Höhn. Frankfurt/M. 1991, S. 17–37, bes. S. 32.
Brief vom 21.1.1824, HSA XX, 137 (vgl. oben). Hegels geschichtsphilosophischen Vorlesungen zufolge sind nicht die Parias, sondern der nächstniedrige Stand, die ›Sudras‹, aus Brahmas Füßen geboren. Im poetischen Kontext des »Buchs Le Grand« ist die Ungenauigkeit — wenn sie eine ist — aber unwesentlich. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hrsg. von Theodor Litt. Stuttgart 1961, S.219–221 (I/II).
E.T.A. Hoffmann: Werke, hrsg. von Herbert Kraft und Manfred Wacker. Frankfurt/M. 1967, Bd. 4, S. 140.
Vgl. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Einleitung: System und Geschichte der Philosophie. — In: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. von Georg Lasson. Leipzig 1920ff., Bd. XVa, S. 211ff. Hegel unterstützte Aristoteles’ Kritik der Primitivität »mythischen Philosophierens« (vgl. ebd., S. 213). Für Heine dagegen besaß mythisches Denken — wie eben dasjenige Piatons — ein poetisches und befreiendes Potential.
Walter Grab: Heinrich Heine als politischer Dichter. Heidelberg 1982, S. 16f.
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Perraudin, M. (1999). Irrationalismus und jüdisches Schicksal. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_19
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