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»Schalet, schöner Götterfunken«

Heinrich Heine und die jüdische Küche

  • Chapter
Aufklärung und Skepsis
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Zusammenfassung

In Jean Pauls »Vorschule der Ästhetik« wird den Dichtern mit Nachdruck empfohlen, die Thematisierung des Essens unter »die Bedingungen der Entbehrung und Notwendigkeit« zu stellen, da dies der einzige Weg sei, den »sinnlichen Genuß sittlich und poetisch« erscheinen zu lassen.1 Dieses merkwürdige poetologische Postulat steht nicht nur für sich und seinen Autor, es ist zugleich auch Ausdruck und Symptom einer leibfeindlichen Tendenz, die für weite Teile der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts bestimmend ist.2 In Texten, die einen hehren Kunstanspruch erheben, muß — so die geläufige Ansicht — der bedürftige Körper verstummen, und wenn überhaupt die Freuden der Tafel oder des Bettes zur Sprache kommen sollen, so hat dies in sublimierter Form zu geschehen. Es gibt nur wenige Autoren der Zeit, die sich diesem Konsens verweigern. Einer von ihnen, und gewiß der bedeutendste, ist Heinrich Heine, der nicht nur Poesie und Kochkunst gerne vergleicht3, sondern auch direkter zu Werke geht, Eßmotive lustvoll ausmalt und in Verbindung mit pikanter Erotik bei opulenten Schlemmerphantasien und Schlaraffenlandvisionen verweilt. Die Bezugspunkte für einen solchen Diskurs sind in der älteren, vorbürgerlichen Literatur zu finden. Heine knüpft bewußt an den derb-sinnlichen Humor eines Cervantes oder Shakespeare an, und im »Schnabelewopski« hat das Leib-apriori des hier adaptierten Schelmenromans die ausgiebigen Exkursionen in die Küchensphäre zu lizenzieren.

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Anmerkungen

  1. Jean Paul: Werke, hrsg. von Norbert Miller. München 31970ff., Bd. V, S. 269.

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  2. Vgl. Gerhard Neumann: Das Essen und die Literatur. — In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch NF XXIII, S. 173–190; Alois Wierlacher: Vom Essen in der deutschen Literatur. Mahlzeiten in Erzähltexten von Goethe bis Grass. Stuttgart u.a. 1987.

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  3. Vgl. Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München 1969 und ders.: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/M. 1987, Kapitel »Festmahlmotive«, S. 320ff. Die Anwendung der Bachtinschen Kategorien auf Heine ist schon gelegentlich versucht worden.

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  4. Vgl. Wolfgang Preisendanz: Die umgebuchte Schreibart. Heines literarischer Humor im Spannungsfeld von Begriffs-, Form- und Rezeptionsgeschichte. — In: Ders.: Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge. München 21983, S. 131–157, S. 150, Anm. 51 sowie den Beitrag von Paul Peters im vorliegenden Band (S. 819ff.). Eine auf dieser Basis einläßlich argumentierende Studie über karnevalistische Tendenzen in Heines Werk steht aber noch aus.

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  5. Terence James Reed: Heines Appetit. — In: HJb 22. 1983, S. 9–29;

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  6. vgl. auch die materialreiche, aber in interpretativer Hinsicht wenig ergiebige Arbeit von Bernd Wetzel: Das Motiv des Essens und seine Bedeutung für das Werk Heinrich Heines. Diss. München 1972.

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  7. Vgl. John Cooper: Eat and be satisfied. A Social History of Jewish Food. Northvale 1993, S. 183ff.;

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  8. Beate Bechtold-Comforty: Spätzle und Tscholent. Aspekte schwäbisch-jüdischer Eßkultur. — In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte III. 1992, S. 121–142;

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  9. Barbara Suchy: Die koschere Küche. Zur Geschichte der jüdischen Speisegesetze. — In: Speisen, Schlemmen, Fasten, hrsg. von Uwe Schultz. Frankfurt/M., Leipzig 1993, S. 315–328; S. 325f.

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  10. Vgl. hierzu Hartmut Kircher: Heinrich Heine und das Judentum. Bonn 1973, S. 154.

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  11. Man vgl. z.B. ein weitverbreitetes Pamphlet des Berliner Schriftstellers Grattenauer, das mit Blick auf ältere, antijudaistische Werke kurz und bündig statuiert: »Auf weiche unerhörte Art die Juden Christenkinder gestohlen, demnächst gemartert, geschunden, gekreuziget, und ihnen das Blut mit Federkielen ausgesogen haben, darüber sind in den glaubwürdigsten Schriftstellern […] die zuverläßigsten Beispiele vorhanden.« (Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer: Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere Mitbürger. 3. unver. Aufl., Berlin 1803, S. 12f.) Daß auch Autoren wie Achim von Arnim und Clemens Brentano solche Topoi benutzten, zeigt G. Och: Alte Märchen von der Grausamkeit der Juden. Zur Rezeption judenfeindlicher Blutschuldmythen durch die Romantiker. — In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft LI. 1991, S. 81–94.

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  12. »Dem Judentum gilt das Blut als Träger des Lebens, deshalb schützt es das Blut durch ein Tabu, während das Christentum auf dem Hintergrund seines jüdischen Ursprungs versucht, durch einen Tabubruch sich das Tabuisierte anzuverwandeln, ohne ihm die Ambivalenz des Tabus nehmen zu können. Folglich läuft das Christentum immer Gefahr, in einen naturreligiösen Opferkult zurückzufallen, eine Gefahr, der die Christen mit Angst und Schuldgefühl begegnen. So unterstellt man den Juden den Anthropophagismus, der als verdrängtes Motiv im eigenen Abendmahlskult virulent ist.« Sigrun Anselm: Angst und Angstprojektion in der Phantasie vom jüdischen Ritualmord. — In: Die Legende vom Ritualmord. Zur Blutbeschuldigung gegen Juden, hrsg. von Rainer Erb. Berlin 1993, S. 253–265, hier S. 260f.

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  13. Vgl. besonders die folgenden Verse: »Freude sprudelt in Pokalen, / in der Traube goldnem Blut / trinken Sanftmut Kannibalen, / Die Verzweiflung Heldenmut — // Brüder fliegt von euren Sitzen / wenn der volle Römer kraißt / Laßt den Schaum zum Himmel sprützen: / Dieses Glas dem guten Geist.« Friedrich Schiller: Werke. Nationalausgabe. Weimar 1943ff., Bd. II, S. 171.

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Joseph A. Kruse Bernd Witte Karin Füllner

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Och, G. (1999). »Schalet, schöner Götterfunken«. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_16

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