Zusammenfassung
Heine übernimmt in seinen italienischen »Reisebildern« (Teil II und IV, erste Buchveröffentlichungen im Dezember 1829 bzw. 1830) die Polarisierung von Deutschland und Italien aus Goethes »Italienischer Reise« (publiziert 1816/17 und 1829/30), auf die er unter anderem in der »Reise von München nach Genua« ausdrücklich Bezug nimmt (B II, 367f.).1 Er schildert aber nicht Italien als Arkadien, in dem sich der deutsche Künstler regeneriert, um als schöpferischer Mensch zurückzukehren, sondern nutzt den Gegenpol, um von Italien kaum, aber um so mehr von den Zuständen im restaurativen Deutschen Bund zu sprechen und auf seine Weise die deutsche Frage zu stellen. Indem Heine über Italien zu schreiben vorgibt, darin aber vor allem seinen Ansichten über deutsche Zeitgenossen und Zeitgeschichte freien Lauf läßt, stellt er verbotene Fragen und knüpft an 1815 gescheiterte Hoffnungen an, namentlich auf eine demokratische Verfassung, auf politische Einheit und bürgerliche Freiheit. Heine überwindet Goethes Polarisierung von Italien und Deutschland, indem er nicht die individuelle Bildung durch Reisen, sondern die Emanzipation des Bürgertums, den »Befreiungskrieg der Menschheit« (377, ähnlich 378, 38), als die wahre Aufgabe der neuen Zeit anspricht.
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Anmerkungen
Den Bezug darauf untersucht Norbert Altenhofer: Heines italienische Reisebilder. — In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1986, S. 293–316. Im folgenden beziehen sich alle Seitenangaben in Klammern ohne Sigle auf den Band B II. Ich danke den Museen und Photographen für die Genehmigungen zu den Abbildungen.
Walter Hinck: Die Wunde Deutschland. Heinrich Heines Dichtung im Widerstreit von Nationalidee, Judentum und Antisemitismus. Frankfurt/M. 21991, S. 84. Folgende Publikation konnte nicht mehr berücksichtigt werden:
Xu Pei: Frauenbilder der Romantik. Sophie Mereau-Brentano, Karoline von Günderrode, Annette von Droste-Hülshoff, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine. Diss. Düsseldorf. Düsseldorf, 1997.
Ronald Schneider interpretierte Figuren wie die »tote Maria« und Franscheska als »Manifestation eines […] weltanschaulichen wie stilistischen ›Gegenspiels‹ der politischen Satire« (Ronald Schneider: Die Muse »Satyra«. Das Wechselspiel von politischem Engagement und poetischer Reflexion in Heines ›Reisebildern‹. — In: HJb 16. 1977, S. 9–19, hier S. 15).
Zum Harfenspielermädchen (351f.) vgl. René Anglade: Mignons emanzipierte Schwester. Heines kleine Harfenistin und ihre Bedeutung. — In: Germanisch Romanische Monatsschrift, N. F. 41. 3. 1991, S. 301–322. Zu den Madonnen vgl. den Beitrag von Olaf Briese im vorliegenden Band (S. 436ff).
Heinz Gebhardt: Franz Hanfstaengl. Von der Lithographie zur Photographie. Ausstellungskat. München 1984, S. 8; vgl. S. 258.
Hier sei nur hingewiesen auf: Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution, hrsg. von Werner Hofmann. Ausstellungskatalog. München, 1986; Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und Neue Weiblichkeit 1760–1830, hrsg. von Viktoria Schmidt-Linsenhoff. Ausstellungskatalog. Historisches Museum Frankfurt/M. 1989, bes. S. 340–357; Gisela Kraut: Weibliche Masken. Zum allegorischen Frauenbild des späten 18. Jahrhunderts; Marina Warner: In weibHcher Gestalt. Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen. Aus dem Engl. von Claudia Preuschoft. Reinbek: Rowohlt, 1989 (Übers. von: Monuments & Maidens. The Allegory of the Female Form London: Weidenfeld and Nicolson, 1985); Allegorien und Geschlechterdifferenz, hrsg. von Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel. Köln, Weimar, Wien 1985.
Vgl. Angela Rosenthal: Angelika Kauffmann. Bildnismalerei im 18. Jahrhundert. Berlin 1996, S. 328–355;
Bettina Baumgärtel: Angelika Kauffinann (1741–1807). Bedingungen weiblicher Kreativität in der Malerei des 18. Jahrhunderts. Weinheim und Basel 1990, S. 130–139, 197–202 (Zeichenkunst und Poesie).
Vgl. Maurice Agulhon: Von der Republik zum Vaterland. Die Gesichter der Marianne. — In: Marianne und Germania 1789–1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten — Eine Revue, hrsg. von Marie-Louise von Plessen. AussteUungskatalog. Berlin 1996, S. 16–22; Marie-Claude Chaudonneret: Das Bild der französischen Republik 1792–1889. — In: Ebd., S. 23–29.
Marie-Louise von Plessen: Germania aus dem Fundus. — In: Ebd., S. 31–36 sowie L/41. Vgl. Nikolaus Gussone: ›Deutscher Bildersaal‹. Ein Versuch über Bildprägungen im kulturellen Gedächtnis der Deutschen. — In: Poetisierung — PoHtisierung. Deutschlandbilder in der Literatur bis 1848, hrsg. von Wilhelm Gössmann und Klaus Hinrich Roth. Paderborn 1994, hier S. 248–251.
Nach Hans-Joachim Ziemke: Die Anfänge in Wien und in Rom. — In: Die Nazarener. Ausstellungskatalog. Frankfurt/M. 1977, S. 46.
Heine: Delacroix, DHA XII/1, 20–22. Vgl. dazu Margaret A. Rose: The Politicization of Art Criticism. Heine’s 1831 Portrayal of Delacroix’s Liberté. — In: Monatshefte 73. 4. 1981, S. 405–414;
Susanne Zantop: Liberty Unbound. Heine’s ›Historiography in Color‹. — In: Paintings on the Move. Heinrich Heine and the Visual Arts, hrsg. von Susanne Zantop. Lincoln, NE und London: Univ. of Nebraska Press, 1989, S. 31–50, S., 37–42, Abb. 15.
Karin Hausen: Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. — In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, hrsg. von Werner Conze. Stuttgart 1976, S. 363–393.
Vgl. Hildegard Westhoff-Krummacher: Als die Frauen noch sanft und engelsgleich waren. Die Sicht der Frau in der Zeit der Aufklärung und des Biedermeier. Ausstellungskatalog. Münster 1995.
Mary Wollstonecraft: Verteidigung der Rechte der Frauen (1792), übers. von Edith Schotte. Leipzig 1989, S. 101, 103.
Ernst Moritz Arndt: Briefe an Psychidion oder Über weibliche Erziehung (1819), hrsg. von Friedrich Mann. Langensalza 1904 (Bibliothek Pädagogischer Klassiker), S. 211.
Zum Beispiel Moritz Retsch: Umrisse zu Goethe’s Faust. Stuttgart und Tübingen 1816, Blatt 16: Gretchen am Spinnrad (Düsseldorf Goethe-Museum). Abb. 24 S. 31 in Wallraf-Richartz-Museum Köln: Idylle, Klassizismus und Romantik. Deutsche Druckgraphik zu Wallrafs Zeiten. Ausstellungskatalog. Köln 1974.
A. Kestner: Römische Studien. Berlin 1850, S. 82, zit. nach: Deutsche Künstler um Ludwig I. in Rom, hrsg. von Gisela Scheffler. Ausstellungskatalog. München 1981, S. 85; ebd. Abb. Kat. Nr. 98. u. Abb. in Kat. Nr. 1.
Gerhard C. Gerhardi: Rousseau und seine Wirkung auf Europa. — In: Propyläen Geschichte der Literatur. Bd. IV: Aufklärung und Romantik 1700–1830. Berlin 1988, S. 160–186, hier S. 163; ebd. Abbildung eines anonymen Kupferstichs, aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, »Die Obstverkäuferin«.
Vgl. Hannelore Schlaffer: Klassik und Romantik 1770–1830. Stuttgart 1986, S. 56f. mit Abb. Nr. 68 (aus: Attitüden der Henriette Hendel-Schütz. Kupferstich nach Junge. Urania 1812).
Westhoff-Krummacher [Anm. 21], S. 14. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1877, Artikel Haar.
»Die drei Grazien und Amor« (Gips, weiß geschlämmt, Details vergoldet, Stuttgart, Staatsgalerie. Gipsabformung in Weimar, Sammlung Weimarer Klassik/Museen). Vgl. Christian von Holst: Johann Heinrich Dannecker. Der Bildhauer. Stuttgart 1987, Kat.-Nr. 62, Abb. S. 24–25, 206–209.
Vgl. Fred Licht: Antonio Canova. Beginn der modernen Skulptur. Aufnahmen von David Finn. München 1983 (= Canova. New York 1983), S. 43–45, 191–193.
Vgl. Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Altertums, hrsg. von Ludwig Goldschneider. Wien 1934, S. 174.
Licht [Anm 44] S. 191. Vgl. Hugh Honour: Canova’s Statues of Venus. — In: The Burlington Magazine 114. 1972 (Okt.), S. 658–670, hier S. 659.
Briefliche Aussage des Schriftstellers Ugo Foscolo: »Die mediceische Venus ist eine sehr schöne Göttin. Diese (d. h. Canovas Venus) ist eine sehr schöne Frau«, zit. nach Licht [Anm. 44], S. 193. Zit. in Giuseppe Pavanello / Mario Praz: L’opera completa del Canova. Mailand 1976, S. 112, Nr. 168.
Vgl. Dierk Möller: Heinrich Heine. Episodik und Werkeinheit. Wiesbaden/Frankfurt/M. 1973;
Jürgen Brummack: Erzählprosa ohne Fabel: die Reisebilder. — In: Heinrich Heine. Epoche — Werke — Wirkung, hrsg. von Jürgen Brummack. München 1980, S. 134f.; Jürgen Fohrmann: Von der marmornen Venus und von der toten Maria. — In: »Ich Narr des Glücks.« Heinrich Heine 1797–1856. Bilder einer Ausstellung, hrsg. von Joseph A. Kruse. Stuttgart, Weimar, S. 401–407.
Vgl. Weiblichkeit und Tod in der Literatur, hrsg. von Renate Berger, Inge Stephan. Köln 1987.
Nach Vera Boiter: Muse. — In: The Feminist Encyclopedia of German Literature, hrsg. von Friederike Eigler und Susanne Kord. Westport, CN und London 1997, S. 337f.
Vgl. Sandra Gilbert, Susan Gubar: »killing women in the art« — In: Frauen in der Kunst, hrsg. von Nabakowski, Gislind, Heike Sander, Peter Gorsen. 2 Bde. Frankfurt/M. 1980. — Eine Ausnahme in der bildenden Kunst stellt Angelica Kauffmann dar, die sich selbst als Personifikation der Malerei, der Muse der Dichtkunst lauschend porträtierte und damit das Verhältnis der Künste als freundschaftliche Inspiration interpretierte (Baumgärtel [Anm. 11], S. 197–200).
Unter diesem Titel in R. Arnim Winkler: Die Frühzeit der deutschen Lithographie. München 1975, S. 184, Nr. 619.
Vgl. Kat. ›Unter Glas und Rahmen.‹ [Anm. 63], S. 158; Klaus Lankheit: Das Freundschaftsbild der Romantik. Heidelberg 1952, S. 131.
Vgl. Fritz Lehr: Die Blütezeit romantischer Bildkunst. Franz Pforr. Der Meister des Lukasbundes. Diss. Marburg 1924, S. 330.
Diese Bewertung auch bei Jeffrey L. Sammons: Heinrich Heine. A Modern Biography. Princeton 1979, S. 140.
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Maierhofer, W. (1999). Italia und Germania. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_11
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