Skip to main content

»Untauglich zu königlich-erzherzoglichen Kriegsdiensten«

Der Komponist Willebold Angeber (1771–1833) im Kloster Rot an der Rot

  • Chapter
Musik in Baden-Württemberg
  • 19 Accesses

Zusammenfassung

Spätestens seit dem 19. Jahrhundert mit seinem Geniekult wird Musikgeschichte in der breiten Öffentlichkeit (und oft auch in der Wissenschaft) vorwiegend als »Heroengeschichte« begriffen. Erst mit dem endenden 20. Jahrhundert lenkt man zunehmend den Blick auf das kulturelle Umfeld, in dem die unbestrittenen musikalischen Höhepunkte entstanden sind.1 Wenn man aber erkennt, daß die berühmten Komponisten nicht isoliert vom kulturellen »Alltag« ihre Meisterwerke geschaffen haben, sondern immer auch in der Abhängigkeit von Traditionen und unter dem Einfluß ihrer Gegenwart standen — eben Kinder ihrer Zeit gewesen sind -, wird es besser nachvollziehbar, warum ein Werk jene Gestalt erhalten hat, mit der es sich heute präsentiert. Dieses Wissen vermindert dann keineswegs unsere Bewunderung für beispielsweise Joseph Haydns Streichquartette, Mozarts Opern oder Beethovens Sinfonien — vielmehr kann man in Kenntnis von zahlreichen zeitgenössischen Komponisten und der durch sie vertretenen Norm noch besser ermessen, welch außergewöhnliche schöpferische Kraft bei jenen »Musikheroen« vorhanden gewesen ist. Außerdem beugt man damit Mißverständnissen bei der Beurteilung »bekannter« Werke vor,2 indem man erst durch die Vertrautheit mit den zeitüblichen Gestaltungsweisen wirklich individuelle von normativen Ausprägungen unterscheiden kann. Nicht zuletzt birgt die Beschäftigung mit jenen unbekannten Meistern auch die Möglichkeit in sich, wichtige Entdeckungen zu machen und Komponisten, für die jenes abgegriffene Wort des »Zu-Unrecht-Vergessen« tatsächlich zutrifft, in das Bewußtsein unserer Tage zurückzuholen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Ernst Fritz Schmid, Das Schwäbische Landesmusikarchiv in Tübingen (Vortrag, gehalten am 11. Februar 1937 in Nürtingen), Mskr., S. 5.

    Google Scholar 

  2. Zitiert nach: Josef Bader, Das Badische Land und Volk, 1. Band, Freiburg 1853, S. 78 (Original in lateinischer Sprache); es wurde hier die Übersetzung im Aufsatz von Bader wiedergegeben. Vollständiger lateinischer Text in: Cistercienser-Chronik, 6, 1894, S. 49ff.

    Google Scholar 

  3. Theodor Hirsch, Das Kloster Oliva, ein Beitrag zur Geschichte der Westpreußischen Kunstbauten, in: Neue Preußische Provinzial-Blätter, Bd. 10, Königsberg 1850, S. 22. Zitiert nach: Jan Janca, Beiträge zur Geschichte der katholischen Kirchenmusik in Westpreußen und im Ermland. 1. Zur Musikgeschichte des Klosters Oliva bei Danzig von 1224 bis 1831; in: Musik des Ostens (Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa), im Auftrag des J.-G.-Herder-Forschungsrates hrsg. von Hubert Unverricht, Bd. 12, Kassel 1992, S. 15–85, hier: S. 53.

    Google Scholar 

  4. Im übrigen spielte Instrumentalmusik auch im damaligen Gottesdienst eine wichtige Rolle (z. B. als Kirchensonate). In einigen Messen sind außerdem Instrumentalstücke als originaler fester Bestandteil der Komposition eingeschoben. So fügte z. B. Johann Valentin Rathgeber (1682–1750) in seine vier Messen op. 19 (Augsburg: Lotter, 1738; RISM A I / R 316) zwischen »Gloria« und »Credo« einsätzige, als Concerto bezeichnete Instrumentalstücke ein, und von Franz Gleissner (1761–1818) sind die sechs Messen op. 1 bekannt (Augsburg: Lotter, 1793; RISM A I / G 2592), in denen sich an der gleichen Stelle des Ordinariums (ebenfalls einsätzige) Sinfonien befinden (wahrscheinlich wurden diese als Gradualmusik verwendet). Für denselben Zweck könnten im übrigen auch die sechs Sinfonien op. 13 von Johann Melchior Dreyer (1746–1824) bestimmt gewesen sein (Augsburg: Lotter, 1799; RISM A I / D 3563). Aufführungen von Sinfonien Joseph Haydns in der Liturgie sind außerdem nachgewiesen (s. Friedrich W. Riedel, Joseph Haydns Sinfonien als liturgische Musik;, in: Festschrift Hubert Unverricht zum 65. Geburtstag, hrsg. von Karlheinz Schlager, Tutzing 1992 [= Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft, Bd. 9], S. 213–220).

    Google Scholar 

  5. Als letzter Abt von Rot an der Rot ist Betscher zumindest in dieser Eigenschaft nie wirklich in Vergessenheit geraten; aufgrund seiner herausragenden Stellung innerhalb der klösterlichen Hierarchie sind über ihn außerdem vergleichsweise viele Daten noch dokumentiert (wahrscheinlich ist er der einzige unter den Klosterkomponisten, von denen beispielsweise ein Porträt existiert). Über Betschers Biographie hat vorr allem Dr. Gertrud Beck gearbeitet, der auch die Entdeckung des Abtes als Komponist zu verdanken ist; besonders sind zwei Aufsätze von ihr zu nennen: Ein Musiker mit dem Krummstab — Reichsprälat Nikolaus Betscher von Rot und Nikolaus Betscher — der Klosterkomponist von Rot an der Rot erfährt breite Anerkennung (beide Aufsätze in: Zeit und Heimat, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur von Stadt und Kreis Biberach, Beilage der Schwäbischen Zeitung, Ausgabe Biberach an der Riß, 27. Jg., Nr. 1 vom 19. April 1984 bzw. ebd., 29. Jg., Nr. 1 vom 17. April 1986). — Außerdem liegen Tonträger mit insgesamt neun Werken Betschers (wenn auch in der Regel mehr oder weniger stark bearbeitet) in Einspielungen unter der Leitung des Tübinger Universitätsmusikdirektors Alexander Sumski vor (diskographische Angaben mit ausführlicher Rezension s. Martin Mezger, Ewiges Frohlocken — Musik in oberschwäbischen Klöstern — Über eine untergegangene Kultur und eine Serie von CD-Einspielungen in: Musik in Baden-Württemberg — Jahrbuch 1996, Stuttgart 1996, S. 239–248; hier besonders S. 246).

    Google Scholar 

  6. Dokumentiert in: Gertraut Haberkamp / Barbara Zuber, Die Musikhandschriften Herzog Wilhelms in Bayern, der Grafen zu Toerring-Jettenbach und der Fürsten Fugger von Babenhausen. Thematischer Katalog, München 1988 (= Kataloge bayerischer Musiksammlungen, Bd. 13).

    Google Scholar 

  7. Man darf daraus schließen, daß sich Hornisten und Holzbläser unter den Konventualen von Rot befunden haben, auf die man jederzeit zurückgreifen konnte (dies wird durch die entsprechend besetzten Werke Nikolaus Betschers bestätigt). Ob für die Aufführungen auch Musiker herangezogen worden sind, die nicht dem Konvent angehörten, läßt sich nicht mehr feststellen; es muß aber zumindest noch ein fähiger Klarinettist im Dorf gewohnt haben, denn auf dem zeitgenössischen Besetzungsplan einer Aufführung von Joseph Haydns »Schöpfung« in Biberach (1802) — an der übrigens keine Musiker aus dem Kloster Rot teilgenommen haben (!) — ist als erster Klarinettist ein HrFaß von Münchroth genannt; s. hierzu: Georg Günther, Singt dem Herren alle Stimmen — Haydns »Schöpfung« in Biberach 1802, in: Musik in Baden-Württemberg — Jahrbuch, Stuttgart 1996, S. 43 bis 63 (hier S. 57). — Einzige Ausnahme hinsichtlich der Besetzung unter den »Roter« Werken Angebers ist die Vertonung des 113. Psalms in Es-Dur (keine Bläser; Signatur A 069).

    Chapter  Google Scholar 

  8. Die zwangsläufig beim Spielen eines Blasinstruments eintretenden Gesichtsbewegungen wurden von der männlich dominierten Gesellschaft als Verzerrung und der weiblichen Schönheit als abträglich empfunden; vgl. zu diesem Thema: Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau und die bürgerliche Kultur, Frankfurt/M. 1991 (insel taschenbuch 1274), besonders S. 51.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1997 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Günther, G. (1997). »Untauglich zu königlich-erzherzoglichen Kriegsdiensten«. In: Günther, G., Nägele, R. (eds) Musik in Baden-Württemberg. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03725-1_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03725-1_2

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01578-5

  • Online ISBN: 978-3-476-03725-1

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics