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Von den Schwierigkeiten schwieriger Lyrik in schwierigen Zeiten. Ernst Meister, Schmallenberg und der Droste-Preis 1957

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Zusammenfassung

Es hatte ein wenig etwas vom Zauberlehrling-Effekt. Da wollte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe etwas für die westfälischen Schriftsteller tun, da hatte sich auch, nach zweijähriger Vorbereitung, eine Stadt gefunden, die ihre Kooperation anbot und Finanzmittel bereitstellte — doch dann entwickelte sich hieraus ein Dichterstreit, der einzige, den die westfälische Literatur der Nachkriegszeit überhaupt erlebt hat.

Dieses »Schmallenberger Ereignis« ist eine der heilsamsten und spontansten geistigen Auseinandersetzungen gewesen, die Westfalen in den letzten Jahren erlebt hat. Sie hat erwiesen, daß sich eine Heimatdichtung noch längst nicht von selbst versteht und wie alle echten schöpferischen Vorgänge ein »brutales Geschäft« ist, das zu täglich neuen Auseinandersetzungen herausfordert. (Walter Vollmer, 1963)2

[…] eines ist sicheres Faktum geworden: Seit Schmallenberg gibt es keine Kontinuität mehr in der westfälischen Literatur. […] Tränen der Trauer oder der Wut sind deswegen nicht mehr am Platze. (Friedrich Wilhelm Hymmen im Juli-Heft des Westfalenspiegel 1969)

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Anmerkungen

  1. Damals war für die Auszeichnung weniger literarische Leistung als parteiliche Linientreue und ein offenes Westfalenbekenntniss ausschlaggebend. Vgl. den Beitrag von Karl Ditt in diesem Band. Vgl. weiterhin Renate von Heydebrand: Literatur in der Provinz Westfalen 1815–1945. Ein literar-historischer Modellentwurf. Münster 1983 (= Veröflf. der Hist. Komm. Westfalen: Geschichtliche Arbeiten zur Westf. Landesforschung: Geistesgesch, Gruppe 2), S. 224. Wie sehr sich die Literaturforschung damals auf Fragen des ‘Stammestums’ konzentrierte, geht auch aus Wilhelm Schultes Darstellung des Westfälischen Heimatbundes (Der Westfälische Heimatbund und seine Vorläufer. Hrsg. im Selbstverlag des WHB. 2 Bde. Münster 1973, S. 246f, sowie ders.: Zur Frage einer westfälischen Literaturgeschichte, in: Die westfälischen Heimat 12, 1930, S. 226ff.) hervor. So lud die Fachstelle Schrifttum 1930 »zur Klärung der ständig auftauchenden Frage, was als »westfälische« Dichtung anzusprechen sei, zusammen mit dem Literarischen Verein (Dortmund), Prof. Dr. Josef Nadler aus Königsberg ein.« Nadler, Verfasser der berühmt-berüchtigten Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (4 Bde.; 3. Aufl. 1932) hielt den Vortrag Stamm und Literatur, mit besonderer Berücksichtigung Westfalens, der ein vielstündiges Gespräch auslöste. Gemeinsam wurde ein Arbeitsplan entwickelt, der die Frage weiterverfolgen sollte. Nadler sollte einer entsprechenden Arbeitsgruppe vorstehen. Durch Nadlers Berufung nach Wien im Jahre 1931 wurde dieses Vorhaben jedoch hinfällig.

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  2. »Diese erste Gesamtdarstellung der westfälischen Gegenwartsliteratur hat seinerzeit eine begeisterte Aufnahme bei Presse und Publikum gefunden. Die erste Auflage von 3000 Exemplaren war in fünf Monaten vergriffen. Auch die zweite ist seit langem ausverkauft und auch antiquarisch nicht aufzutreiben. Es wäre zu wünschen, daß Josef Bergenthal sich entschlösse, eine dritte Auflage vorzubereiten.« So Wilhelm Damwerth in seinem Beitrag: Ein Lebenswerk für Westfalen: Josef Bergenthal — Stimme Westfalens, in: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund. Mitteilungen. Neue Folge. Heft 15: Josef Bergenthal — ein Schriftsteller im Dienst für Westfalen. Bibliographie und ausgewählte Texte zu seinem 80. Geburtstag hrsg. von Hedwig Gunnemann. Dortmund 1980, S. 13.

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  3. Dietmar Rost: Sauerländer Schriftsteller des kurkölnischen Sauerlandes im 19. und 20. Jahrhundert. Schieferbergbaumuseum Schmallenberg-Holthausen 1990, S. 26f. Bergenthals nationalsozialistische Vergangenheit wird dort nicht berührt.

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  4. Ernst Meister: Ein Hagener aus Haspe, in: Westfalenspiegel, September-Heft 1968.

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  5. Diesmal kamen zusammen: Die westfälischen Literaturpreisträger Josefa Berens-Totenohl, Maria Kahle, Heinrich Luhmann, Margarete Windthorst und Josef Winckler, jene »alte Garde« (so das Essener Tageblatt), die im literarischen Leben Westfalens noch immer den Ton angab. Ergänzt wurde der Kreis um die »Jüngeren«: Werner Warsinsky (Europäischer Literaturpreis), Walter Vollmer, Paul Schallück (beide sollten noch im selben Jahr den Westfälischen Literaturpreis erhalten), Erwin Sylvanus, Autor und eifrigster Mitarbeiter am Westfalenspiegel, sowie Hertha Trappe (Schweizer Literaturpreis 1954) und das »Jungtalent« Hans Dieter Schwarze. Kritik am Einladungsmodus kam nur zaghaft auf. Die Münsterländische Volkszeitung, Ausgabe Rheine, vermißte »nicht wenige Dichter und Schriftsteller, deren Werk einen wesentlichen Bestandteil der Gegenwartsliteratur darstellt«. Margarete Windhorst resümierte in einem Privatbrief: »Wir waren im Ganzen zu 15 geladen, also längst nicht alle waren auserwählt, was auch wohl Bitternis gegeben hat.« (Brief vom 5.4.1955, Abdruck in: Meidinger-Geise 1978 (Anm. 6) S. 46). Bei Benno von Wieses Vortrag über Probleme der zeitgenössischen Literatur (nicht der zeitgenössischen westfälischen Lyrik!) kam verhaltene Kritik auf; nach Ansicht der Münsterländischen Volkszeitung löste der Vortrag sogar »Zündstoff« aus; die moderne Dichtung zeige — so von Wiese — Symptome des Nihilismus; gegen die jungen Dichter erhob er den Vorwurf, die Form zu überschätzen gegenüber dem eigentlich Zweck von Dichtung, nämlich Lebenshilfe zu sein; die jungen Dichter seien von der Angst besessen, Gefühle in ihr Werk einfließen zu lassen; von Wiese vermißte hoffnungsfrohe dramatische Talente in Westfalen. Andererseits war von Wiese weit davon entfernt, einer betont »westfälischen« Literatur das Wort zu reden: »Benno von Wiese war zu einem Vortrag über moderne Literatur geladen, der auch sehr gut war, aber nicht allen genehm, weil er unsere westf. Sache nicht voll einbezog, das würde Wiese ja nicht liegen.« (Margarete Windthorst an Inge Meidinger-Geise, 5. April 1955, Abdruck in: Meidinger-Geise 1978 (Anm. 6), S. 46). Hinsichtlich des »Westfälischen« kam es in Marl zu ersten Differenzierungsversuchen: Werner Warsinsky wies darauf hin, daß dem Wort »westfälisch« angesichts der Moderne erst dann eine besondere Bedeutung zukomme, wenn es beispielsweise gelänge, die gigantischen Industrieanlagen in Marl-Hüls künstlerisch zu beschreiben. Die junge westfälische Dichtung könne nicht die gleichen Eigenschaften aufweisen wie zu früheren Zeiten. Solche Einwürfe wurden freilich schnell verdrängt, sie gingen im Allgemeinen unter. Vgl. hierzu auch: Walter Gödden: Literaturpolitische Schnittstellen. Die westfälischen Dichtertreffen 1955 und 1956, in: Westfälische Forschungen, 42/1992, S. 380–389.

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  6. Paul Schallück: Mein Verhältnis zu Westfalen, in: Westfalenspiegel, Mai-Heft 1955. Schallück bekam die Nachwirkungen des Schmallenberger-Treffen unmittelbar zu spüren. Er wurde in seine Heimatstadt Warendorf zu einer Lesung eingeladen, dann aber wieder ausgeladen. Dies geht aus seinem Briefwechsel mit der Warendorferin Frau Götting hervor. Schallück schrieb ihr am 16. Oktober 1957: »Als Termin für eine Lesung möchte ich nunmehr folgende Tage vorschlagen: entweder den 9./10. Nov. oder den 16./17. Nov. oder den 20. Nov. […]. Den Warendorfer Abend mit einer Fortsetzung der Schmallenberger Ereignisse auszufüllen liegt mir eigentlich nicht sehr. Aber vielleicht könnte man einen Kompromiß schließen: Ich lese zunächst, was ich lesen möchte, berichte dann über Schmallenberg in einem zweiten Teil und stelle mich damit der Diskussion. […] Im übrigen freue ich mich sehr, wieder einmal in meiner Heimatstadt lesen zu können […].« Im Brief vom 14. November 1957 heißt es: »Sehr verehrte Frau Götting, es tut mir leid, daß Ihre getreue Mühe nun doch nicht belohnt wurde. Ich wäre gern nach Warendorf zu einer Lesung gekommen, und wenn die von mir vergeschlagenen Termine nicht genehm waren, so hätten wir doch getrost weiterverhandeln können, bis uns ein Tag begegnet wäre, der uns allen gepaßt hätte. Ich bedaure den schroffen Abbruch der Verhandlungen auch deshalb, weil Clemens Herbermann vom Landeshaus in Münster gern mit nach Warendorf gekommen wäre, um mir im zweiten Teil des Abends, Schmallenberger Probleme zu assistieren. Befremdet bin ich jedoch, daß die Herren des Heimatvereins in Warendorf bis heute keine Möglichkeit fanden, mir ihren Entschluß, womöglich gar ihre Gründe mitzuteilen. So weiß ich denn nichts als das, was Sie mir freundlich geschrieben haben.« (Briefwechsel im Privatbesitz)

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Bernd Kortländer

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Gödden, W. (1998). Von den Schwierigkeiten schwieriger Lyrik in schwierigen Zeiten. Ernst Meister, Schmallenberg und der Droste-Preis 1957. In: Kortländer, B. (eds) Literaturpreise. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03724-4_6

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