Zusammenfassung
Dass Hegels »System der Wissenschaft« (so der Obertitel zur Phänomenologie des Geistes, die als dessen erster Teil bezeichnet ist), das er später in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften entfaltete, die Kritik der klassischen Metaphysik einschliesse, ja wesentlich mit zum Inhalt habe, ist nicht nur weithin die Auffassung der Hegel-Interpreten1, sondern wird auch vielfach bestätigt durch Äusserungen von Hegel selbst, nicht zuletzt in den §§ 28 – 32 der Enzyklopädie und in den programmatischen Sätzen, die das Aufgehen der herkömmlichen Metaphysik in der objektiven Logik postulieren.2 Michael Theunissen3 hat gar die These aufgestellt, »der systematische Text der ›Logik‹ präsentiere deren Gegenstand derart, dass die Entfaltung der Sachverhalte durch ein Postulat angeleitet ist, das die Einheit von Kritik und Darstellung verlangt.«4 An dem Verständnis Hegels als eines Kritikers der traditionellen Metaphysik sollen hier auch keine Zweifel angemeldet werden. Dennoch ist Hegels Verhältnis zu Gegenstand und Verfahren der Metaphysik toto coelo verschieden von dem Kants, der die Destruktion der Metaphysik durch Eliminierung ihrer Gegenstände aus dem Bereich des Wissbaren vollzogen hatte.5 Gleichermassen gegen Transzendental- und commonsense-Philosophie ist Hegels Verteidigung der Metaphysik gerichtet: »Indem so die Wissenschaft und der gemeine Menschenverstand sich in die Hände arbeiteten, den Untergang der Metaphysik zu bewirken, so schien das sonderbare Schauspiel herbeigeführt zu werden, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen, — wie einen sonst mannigfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes.«6
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Anmerkungen
Anders allerdings Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 428 ff., und Holzwege, Frankfurt am Main 1950, S. 105 ff.
Unter dem Einfluss Heideggers steht auch Herbert Marcuse, Hegels Ontologie, Frankfurt am Main 1932.
Neuerdings Manfred Riedel, Theorie und Praxis im Denken Hegels, Stuttgart 1965.
Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegeischen Logik, Frankfurt am Main 1978.-Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs, in: Rolf Peter Horstmann (Hg), Seminar. Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main 1978, S. 324 ff.
Ferner Hans Friedrich Fulda/Rolf Peter Horstmann/Michael Theunissen, Kritische Darstellung der Metaphysik, Frankfurt am Main 1980.
Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, in: Metaphysik und Politik, Frankfurt am Main 1977, S. 189 f.
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, W 20, 122 f. — En passant lege ich Nachdruck auf Hegels Einsicht in den antitheologischen Charakter der neueren (wie auch der antiken) Metaphysik. Die Vernunft setzt sich als Prinzip der Welt. Die drei grossen Metaphysiken des Rationalismus mögen das beispielhaft für den Geist der Epoche verdeutlichen. Vgl. Klaus Peters/Wolfgang Schmidt/Hans Heinz Holz, Erkenntnisgewissheit und Deduktion — Descartes, Spinoza, Leibniz, Darmstadt und Neuwied 1975. — Ausserdem Hans Heinz Holz, Descartes, Frankfurt am Main 1994; ders., Leibniz, Frankfurt am Main 1992 sowie Band I dieser Geschichte der Dialektik.
Werner Krauss, Der Streit der Altertums freunde mit den Anhängern der Moderne und die Entstehung des geschichtlichen Weltbildes, in: Essays zur französischen Literatur, Berlin und Weimar 1968, S. 130 ff. Ders., Fontenelle und die Aufklärung, München 1969.
Vgl. Hans Heinz Holz, Leibniz 1992, a. a. O.
Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt am Main 1983, S. 145: »Die Welt wäre nicht die beste aller möglichen, wenn sie nicht in der Dimension ihrer Geschichte besser werden könnte«; und ebd., S. 142: »Leibniz billigt Vernünftigkeit nur einer Weltgeschichte zu, von der man glauben dürfe, dass sie nach jedem ihrer Umläufe ein wenig oder gelegentlich auch durch Sprünge zum Besseren fortzuschreiten genötigt sei.«
Vgl. Hans Heinz Holz, Bewegung Veränderung, Fortschritt, in: ANNALEN der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana, Band V, Köln 1988, S. 31 ff.
Gottfried Wilhelm Leibniz, An mundus perfectione crescat, in: Kleine Schriften zur Metaphysik, hg. von H. H. Holz, Darmstadt und Frankfurt am Main 1965, S. 368 ff.
Jacques d’Hondt, L’idéologie de la rupture, Paris 1978, wo er den logischdialektischen Kurzschluss der spätbürgerlichen Ideologien des »Bruchs« aufzeigt.
Bernhard Groethuysen, Philosophie der französischen Revolution, Neuwied und Berlin 1971, S. 7.
Walter Markov, Revolution im Zeugenstand, Leipzig 1986, Band 2, S. 507 ff.
Hegel, GW 9, 321 = W 3, 437. Zum Verhältnis von Negativität und Positivität in Hegels Einschätzung der Französischen Revolution vgl. Hans Heinz Holz, Tugend und Terror, in: Die Französische Revolution 1789–1989, Revolutionstheorie heute, Marxistische Studien, Jahrbuch des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) 14, Frankfurt am Main 1988, S. 181 ff.
Karl Löwith Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 19522, S. 228.
Hegel, Enzyklopädie § 259 Zus. Die Formulierung lehnt sich wörtlich an Leibniz an: »Man kann sogar sagen, dass die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht und mit der Vergangenheit beladen ist (…)«. G.W. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, hg. von W. von Engelhardt und H. H. Holz, Darmstadt und Frankfurt am Main 1959, Band I, S. XXV.
Vgl. Klaus Peters, »Der Begriff ist das Freie«, in: ANNALEN der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana, Band III, Köln 1986, S. 244 ff.
Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band I, Frankfurt am Main 1974, S. 701 f. (Über den Begriff der Geschichte, These XV).
Vgl. Manfred Riedel, Freiheitsgesetz und Herrschaftier Natur: Dichotomie der Rechtsphilosophie, in: System und Geschichte, Studien zum historischen Standort von Hegels Philosophie, Frankfurt am Main 1973, S. 96 ff.
Zu Hobbes vgl. u.a. Demetrio Neri, Teoria della scienza e forma della politica in Thomas Hobbes, Napoli 1984.
Leo Strauss, Hobbes’ Politische Wissenschaft, Neuwied und Berlin 1965.
Peter J. Opitz, Thomas Hobbes, in: Eric Voegelin (Hg), Zwischen Revolution und Restauration, München 1968, S. 47 ff. Demetrio Neri, Vernunft, Politik und Friedensfrage bei Thomas Hobbes; und Stefan Smid, Ordnung und Freiheit. Frieden und Bürgerkrieg von der Lehre von Thomas Hobbes her betrachtet, beide in: DIALEKTIK 15, Köln 1988, S. 68 ff. und 85 ff. Hermann Kienner, Einführung zu Thomas Hobbes, Leviathan, Hamburg 1996.
Hegel, Rechtsphilosophie § 141 Zus. Vgl. insgesamt auch Georg Ahrweiler, Hegels Gesellschaftslehre, Darmstadt und Neuwied 1976.
Vgl. Georg Lukacs, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins — Hegels falsche und echte Ontologie, Neuwied und Berlin 1971. (Einzelabdruck aus Lukacs, Werke, Band 13). Lukacs hat richtig gesehen, dass Hegels »Ontologie« die der gesellschaftlichen («geistigen«) Bewegung ist: »Die Bewegtheit im Denken, in Begriff, Urteil und Schluss, ist nur die gedankliche Seite der intensiven Unendlichkeit eines jeden Gegenstandes, Verhältnisses, Prozesses. Die Prozessartigkeit des Denkens ist nur die Folge der Prozessartigkeit der Realität«. Ebd., S. 27. Er erkennt auch, wie schon Marx in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten, dass Hegel die Arbeit als das Medium der Bewegung bestimmt: »Er analysiert den kategoriellen Zusammenhang von Zweck und Mittel, von ihrer Beziehung zu den Prinzipien des Mechanismus in einer vorbildlich richtigen Weise; er kann dies jedoch nur darum tun, weil sein Gedankenmodell dabei die Arbeit ist«. Ebd., S. 60. Vgl. Karl Marx, MEW 40, S. 573 ff. Lukacs begreift hingegen das Verhältnis von System und Methode bei Hegel nicht richtig und kann also die Einheit der Denkbewegung Hegels nicht erfassen: »Dieser dialektisch-ontologische Kern der Hegeischen Philosophie steht in offenkundigem Gegensatz zum logisch-hierarchischen Aufbau seines Systems«. a. a. O., S. 82.
Vgl. Georg Lukacs, Der junge Hegel, Berlin 1954 = Werke Band 8, Neuwied und Berlin 1967.
Hegel, GW 11, 249 ff. = W 6, 24 ff- Dazu Dieter Henrich, Hegels Logik der Reflexion, in: Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 1971, S. 95 ff.
Christian Wolff, Philosophia prima sive Ontologia, Nachdruck Hildesheim 1962, § 1 und § 27 ff.
Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945, S. 122 ff.
Vgl. dazu Hans Friedrich Fulda, Dialektik in Konfrontation mit Hegel, in: DIALEKTIK 2, Köln 1981, S. 75 ff.
Metaphysiken sind immer nur Modelle oder, im Leibnizschen Sprachgebrauch, »Hypothesen«. Vgl. dazu H. H. Holz, Was sind und was leisten metaphysische Modelle, in: S. Avineri e. a., Fortschritt der Aufklärung, Köln 1987, S. 165 ff. Ders., De actualiteit van de metafysica, Kampen 1991, S. 129 ff.
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Holz, H.H. (1997). Hegels Metaphysik-Kritik als Reflex der Französischen Revolution. In: Einheit und Widerspruch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03708-4_3
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