Zusammenfassung
Wenn von einem ›Theorietypus Marx‹ in dem Sinne gesprochen würde, wie man vom Typus transzendentaler, spekulativer oder empiristischer Erkenntnisbegründung spricht, so würde allerdings das Besondere des Marxschen Denkens — sowohl hinsichtlich seines theoriegeschichtlichen Ortes wie hinsichtlich seines theoretischen Status — von Grund auf verfehlt. Es sind gerade nicht »die notwendigen kognitiven Strukturen«1, die die Verfassung der Marxschen Theorie determinieren, sondern die reflexive Bestimmung des Verhältnisses kognitiver Strukturen und kategorialer Bestimmungen der Wirklichkeit zu den ›wirklichen Voraussetzungen‹ im materiellen Lebensprozess, in der gegenständlichen Tätigkeit der Menschen — also des Verhältnisses der Allgemeinheit des Wissens und der Wissensformen zu der Singularität von historischen Ereignissen und von Erlebnisinhalten. (›Erfahrung‹ ist schon ein Vermittlungsbegriff, der diesem Verhältnis einen bestimmten Ausdruck gibt). Es ist kein Zufall, dass die Reflexion dieses Verhältnisses sich im Prozess der philosophischen Klärung des Marxschen Selbstverständnisses auf die Auseinandersetzung mit Hegels Phänomenologie des Geistes zuspitzt (in den Pariser Manuskripten)2; denn in der Phänomenologie war eben das Werden des Wissens von der (scheinbar einfachen) sinnlichen Gewissheit bis zum absoluten Wissen konstruiert worden.
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Anmerkungen
Werner Goldschmidt/Lars Lambrecht, Stichwort »Marxismus«, Abschnitt 2.1, in: H. J. Sandkühler (Hg), Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hamburg 1990, Band 3. Die Rede von »Notwendigen kognitiven Strukturen« legt das Missverständnis nahe, es gäbe kognitive Strukturen von Theorien, die abgelöst von den gegenständlichen Inhalten der Erkenntnis ein Eigenleben führen (was die Autoren wohl nicht gemeint haben).
Vgl. Detlev Pätzold, Kritik und positive Wissenschaft, in: DIALEKTIK 6, Köln 1983, S. 115 ff.
Hier hat die These von der Parteilichkeit der Wahrheit ihren epistemologischen Ursprung und Grund. Die Theorie der Ideologie reflektiert diese reflexiven Konstitutionsprozesse. Vgl. Alessandro Mazzone, Questioni di Teoria dell’Ideologia, Messina 1981.
Dies wäre die Alternative, die Nietzsche anbietet. Vgl. dazu Manfred Buhr (Hg), Moderne — Nietzsche — Postmoderne, Berlin 1990, insbesondere die Aufsätze von Andràs Gedö, Hans Martin Gerlach, Hans Heinz Holz und Robert Steigerwald.
Vgl. H. H. Holz/N. I. Lapin/H. J. Sandkühler, Die Dialektik und die Wissenschaften. Philosophische Fragen moderner Entwicklungskonzeptionen, in: ANNALEN der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie, Band V, Köln 1988.
Von naturphilosophischem Ausgangspunkt hat Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1928, jetzt Gesammelte Schriften Band IV, Frankfurt am Main 1981, diesen Übergang vollzogen.
MEW 3, 27. — Spekulation wird hier wie fast immer von Marx und Engels im Sinne eines von der Erfahrung abgelösten Ausdenkens von Abbildungen der Wirklichkeit gebraucht, und nicht im Sinne des Verfahrens einer Konstruktion einer prinzipiell nicht empirischen Gedankentotalität, die von den Inhalten der Erfahrung ausgeht und deren Verbindung in einem Welt-Begriff (Engels: »Gesamtzusammenhang«) herstellt. Ein positiver Wortgebrauch in diesem zweiten Sinne findet sich jedoch in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten. Zum philosophischen Sinn von Spekulation vgl. Hans Heinz Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, Köln 1981.
Dieter Henrich, Grund und Gang spekulativen Denkens, in: D. Henrich/R. P. Horstmann (Hg), Metaphysik nach Kant?, Stuttgart 1988, S. 85 ff.
Manfred Buhr, Spekulatives Denken?, in: Historische Vernunft, Oulu 1992, S. 138 ff.
Vgl. Alessandro Mazzone, Krise des Konzepts Person, in: ANNALEN der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana, Band II, Köln 1986, S. 20 ff.
Marx, MEW 40, 574. Vgl. Georg Lukacs, Der junge Hegel, Werke Band 8, Neuwied und Berlin 1967.
Vgl. Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt am Main 1970.
Anton Fischer, Der reale Schein, Zürich/Wien 1978.
Vgl. Hans Heinz Holz, La mediazione tra individuo e communità nel sistema dei bisogni, in: M. D’Abbiero/P. Vinci, Individuo e modernità, Milano 1995, S. 205 ff.
Siehe Jean Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek bei Hamburg 1967.
Jacques d’Hondt, Das Subjekt der Geschichte nach Marx, in: M Hahn/H. J. Sandkühler (Hg), Subjekt der Geschichte, Köln 1980, S. 133 ff.
Jacques d’Hondt, L’idéologie de la rupture, Paris 1980.
Vgl. Hans Heinz Holz, Dialektik und Widerspiegelung, Köln 1983.
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Holz, H.H. (1997). Die Einheit von Anthropologie, Geschichtsphilosophie und Ökonomie. In: Einheit und Widerspruch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03708-4_11
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