Zusammenfassung
Die Philosophie des 17. Jahrhunderts wird geprägt durch die Auseinandersetzung mit Descartes. Wo immer die Schulphilosophie die Erstarrung in den Lehrschemata der Spätscholastik sprengt, tut sie dies mit Bezug auf Descartes. Der Cartesianismus ist die via moderna der Epoche. Selbst Thomas Hobbes, der eine von Descartes unabhängige Systemkonzeption entwickelt, bleibt in der Abwehr des cartesischen Ansatzes an die von diesem vorgegebene Problemlage gebunden.1 Die grossen metaphysischen Systemdenker — Spinoza, Malebranche, Leibniz — erarbeiten ihre eigene Position, indem sie sich zwar von Descartes kritisch absetzen, aber doch sich ansiedeln auf dem von ihm abgesteckten Boden rein sich selbst begründenden Wissens, auf dem autonome Philosophie allererst möglich wird. So wie es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Philosophie nach Kant gibt, die sich nicht unter den Anspruch transzendentaler Begründung stellen würde (welch andere Wege sie dann auch einschlagen mag), so auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine, die nicht der Forderung nachzukommen suchte, die Gewissheit der klaren und deutlichen Ideen in der Verfassung des cogito selbst zu sichern. Descartes hatte die Philosophie aus der Umarmung der Theologie befreit; er hatte mit äusserster Radikalität die Rede von Gott zu einer Sache philosophischer Reflexion und nicht religiöser Intuition gemacht.
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Anmerkungen
Thomas Hobbes, Dritte Einwände gegen die Meditationen des Descartes, in: Renati Des Cartes Meditationes De Prima Philosophia, Paris 1641, S. 233 ff. Deutsch von A. Buchenau, Hamburg 1915, S. 155 f. = A-T VII, 171 ff.
Benedictus de Spinoza, Renati Descartes Principiorum Philosophiae, Pars I et II more geometrico demonstratae, Amsterdam 1663, Deutsch von J. H. von Kirchmann, Berlin 1871.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, ed. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Band 20, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Frankfurt am Main 1971, S. 157.
Ausführlicher hierzu Hans Heinz Holz, Descartes, Frankfurt am Main/New York 1974.
Edmund Husserl hat diese Konsequenz ausgearbeitet: Cartesianische Meditationen, in: Husserliana, Band I, Den Haag 1950;
und: Edmund Husserl Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Husserliana, Band VI, Den Haag 1962, insbesondere §§ 16–20 und 38–42.
Vgl. hierzu Josef König, Bemerkungen über den Begriff der Ursache, in: Vorträge und Aufsätze, Freiburg/München 1978, S. 122 ff.
Ethica ordinegeometrico demonstrata, Amsterdam 1677. Deutsch von Jakob Stern, Stuttgart 1977 (zweisprachige Ausgabe): I, Ax.: »(3) Ex data causa determinata necessario sequitur effectus, et contra, si nulla detur determinata causa, impos-sibile est, ut effectus sequatur. (4) Effectus cognitio a cognitione causae de-pendet, et eandem involvit.« Definition 7, 2. Hälfte: »Necessaria autem, vel po-tius coacta, quae ab alio determinatur ad existendum, et operandum certa, ac determinata ratione.«
Zur Methode Spinozas in der Ethik, die diesem Verfahren entspricht, vgl. Wolfgang Schmidt, Intuition und Deduktion. Untersuchungen zur Grundlegung der Philosophie bei Spinoza, in: Klaus Peters/Wolfgang Schmidt/Hans Heinz Holz, Erkenntnisgewissheit und Deduktion, Darmstadt und Neuwied 1975, S. 57 ff.
Vgl. Dieter Henrich, Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982.
Piet Steenbakkers, Spinozas Ethica from Manuscript to Print, Utrecht 1994, schreibt mit Recht über die Form des ordo geometricus: »The knowledge of God is the ultimate warrant of the validity of the ordo geometricus.« Ebd., S. 165.
Vgl. Jos Lensink, Het waagstuk van de omvattende rede, Kampen 1994, S. 245 ff.
Hermann Kienner, Des Bento/Baruch/Benedictus realistische Utopie, Nachwort zu Spinozas Politischem Traktat, Leipzig 1988, S. 140 und 137.
Vesa Oittinen, Spinozistische Dialektik, Frankfurt am Main 1994, sieht in Spinozas Philosophie die Struktur der Selbstreferentialität (was er auf die Begründung der Freiheit zuspitzt) und versucht damit in deren Kern eine Dialektik der menschlichen Praxis zu begründen.
Eric Robert Dodds, Tradition und persönliche Leistung bei Plotin, schreibt, »dass Schöpfung für Plotin nicht das Ergebnis eines Willensaktes ist. Der Brunnen fliesst über, weil er es seinem Wesen nach muss, und alle darauffolgende Schöpfung ist in ähnlicher Weise automatisch und unwillkürlich; das Höhere bringt das Tiefere als zufällige Folge des eigenen Seins hervor.« In: Clemens Zintzen (Hg.), Die Philosophie des Neuplatonismus, Darmstadt 1977, S. 58 ff., hier S. 63 f.
Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Gesamtausgabe Band V, Frankfurt am Main 1959, S. 997, bemerkt treffend über Inkonsequenz bei Spinoza: »Sie ist bei Spinoza häufig besonders bemerkbar, indem er verschiedene Gedankenreihen so konsequent entwickelt, dass sie sich nicht mehr harmonisieren lassen.«
Jos Lensink, Het waagstuk van de omvattende rede, Kampen 1994, S. 247. Zum Gesamtkomplex von Spinozas Ambiguität vgl. ebd., Kapitel 6.2.
Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Band 2, Berlin 1984, S. 445.
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Holz, H.H. (1997). Spinoza — die Wende der cartesischen Wende. In: Einheit und Widerspruch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03706-0_12
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