Zusammenfassung
Ich gebe zu, die Überschrift ist eine Provokation. Wenn Friedrich Sengle eines als Literarhistoriker angestrebt und als seine Domäne gegenüber der in seiner Sicht mehr und mehr fehlgehenden Zunft beansprucht hat, dann war es dieses Ziel: »wahrheitsgemäße, ungeschminkte Bilder der Vergangenheit zu schaffen«.1 Die Wahrheit über die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die er Biedermeierzeit nannte, mit »ideologische[r] Nüchternheit«2 darzustellen und in dieser höchst umstrittenen Epoche das wahre Bild ihres umstrittensten Autors, Heine, als genuinen Schriftsteller der Biedermeierzeit (ohne Ausnahmestellung in ihr) vorzuführen, das war Sengles gewichtiger Anspruch, letztlich beglaubigt in der Gestalt des Lebenswerkes. Das Heine-Kapitel ist als die achte Dichter-Monographie die genaue Mitte der 15 Dichter-Kapitel des Abschlußbandes der »Biedermeierzeit«, an dem Sengle am meisten lag und an dem er am längsten gearbeitet hat. Es hat in zentraler Position zentrale Bedeutung. Mit der Heine-Darstellung soll aus Sengles Sicht nicht nur den Einseitigkeiten der Heine-Philologie entgegengetreten werden, mit ihr soll sich auch das Konzept der Biedermeierzeit beweisen, und mit dem Konzept der Biedermeierzeit soll »das Beispiel einer neuen Art von Epochendarstellung«3 geliefert werden, ein literaturgeschichtliches Lehrbuch gegen die herrschenden Tendenzen des Faches und des wissenschaftlichen Buchmarktes — ein Lehrbuch auch gegen den von Sengle als Übermacht georteten literaturwissenschaftlichen Marxismus in Ost und West.
Vgl. Manfred Windfuhr: Spannungen als autorspezifischer Strukturzug. Friedrich Sengles Heinebild und der Stand der Heinediskussion. In: HJb 34. 1995, S. 183–202.
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Anmerkungen
Friedrich Sengle: Literaturgeschichtsschreibung ohne Schulungsauftrag. Werkstattberichte, Methodenlehre, Kritik. Tübingen 1980, S. 127. Vgl. schon S. 17.
Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. 1: Stuttgart 1971; Bd. 2: 1972; Bd. 3: 1980, hier: S. IX.
Was er abtrünnigen Schülern, Kritikern und Kontrahenten wie J. Hermand, H.-W. Jäger, H. Mayer oder D. Oehler nachschrieb, war oft pauschal-herabsetzend. Jauß mangelndes Wissen vorzuwerfen, vor Brieglebs Heine-Kommentar zu warnen bzw. ihn durch Nichtbeachtung zu strafen, war anmaßend. Sengles Vorwürfe gegen die sozialgeschichtliche Literaturwissenschaft in seinem Aufsatz »Binsenweisheiten« (Literaturgeschichtsschreibung, S. 103–117) sind geradezu gespenstisch. Man vergleiche dagegen H. P.Herrmann: Sozialgeschichte oder Kunstautonomie? Zur Problematik neuerer Geschichten der deutschen Literatur. In: Kritik der Sozialgeschichtsschreibung. Zur Diskussion gegenwärtiger Konzepte. Hrsg. von Rüdiger Scholz. Hamburg 1990, S. 173–214.
Vgl. Peter Stein: Zur Börne-Rezeption im Dritten Reich. Friedrich Sengles Beitrag zur Judenforschung und sein Börne-Bild heute. In: »Die Kunst — eine Tochter der Zeit«. Neue Studien zu Ludwig Börne. Hrsg. von Inge Rippmann und Wolfgang Labuhn. Bielefeld 1988, S. 51–73. Dort wird auch auf S. 61 aus Sengles Brief vom 26. 2. 1987 an mich referiert.
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Stein, P. (1997). Sengles Heine. In: Kruse, J.A. (eds) Heine-Jahrbuch 1997. Heine-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03701-5_14
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