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Zusammenfassung

Das politische und kulturelle Verhältnis zwischen Deutschland und Italien bildete eine zentrale Fragestellung in Momiglianos wissenschaftlichem Oeuvre und berührte eine tiefe Wunde in seinem Leben. In diesem und im folgenden Kapitel untersucht er dieses Verhältnis an einem hochspezifischen und besonders brisanten Knotenpunkt: an der Frage einer Beziehung zwischen der deutschen Romantik und der italienischen Altertumswissenschaft. Die Existenz und Bedeutung einer solchen Beziehung wurde lange von vielen Italienern als selbstverständlich erachtet; das Fazit der differenzierten Analyse Momiglianos ist jedoch, daß zentrale Entwicklungen der italienischen klassischen Studien während des 19. Jahrhunderts in ihrem Kern völlig unberührt von irgendeinem nennenswerten deutschen Einfluß geblieben sind. Seine Feststellung der weitgehenden Andersartigkeit der damaligen italienischen Altertumswissenschaft ergibt sich aus der präzisen Untersuchung der tatsächlichen wissenschaftlichen Kontakte zwischen den beiden Ländern — aus dem Aufenthalt deutscher Gelehrter in Italien und italienischer in Deutschland, aus der Rezeption wissenschaftlicher Werke und Vorstellungen und aus der Rolle von Übersetzungen bei der Wissensvermittlung — und nimmt eigentlich nicht wunder, bedenkt man die Andersartigkeit der nationalpolitischen und religiösen Situationen der beiden Länder zu dieser Zeit. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist Momiglianos Entdeckung eines tiefen Einschnitts im Charakter der deutschen Altertumswissenschaft nach etwa 1860: Mit dem Aufkommen eines historisierenden Positivismus wird vor allem die Meisterschaft in technischen Hilfsdisziplinen und die Ansammlung von Fakten privilegiert; dies ist das Modell, das auf die italienische Wissenschaft bis tief in das 20. Jahrhundert hineinwirkt. In diesem Licht versteht Momigliano erst jetzt (1986) seinen eigenen Rückgriff auf Droysen in den dreißiger Jahren (vgl. in diesem Band Beitrag Nr. 8) nicht als Forsetzung derjenigen italienischen wissenschaflichen Tradition, in der er aufgewachsen war, sondern als einen Bruch mit ihr.

Die Tendenz, die diesem Artikel zugrundeliegt, ist diejenige, einer italienischen Nationalwissenschaft eine eigene Qualität und Würde dadurch zurückzugewinnen, daß sie als eine im wesentlichen eigenständige Entwicklung und nicht als ein bloßes Importprodukt aus Deutschland erwiesen wird. Hintergrund zu Momiglianos Überlegungen ist wohl die Frage, inwiefern der Nationalsozialismus letztendlich auf die deutsche Romantik zurückzuführen sei, denn in diesem Fall wäre eine wesentliche Kausalbeziehung zwischen deutscher Romantik und italienischer Altertumswissenschaft besonders beunruhigend. Seine erkenntnisreiche, eingehende und durchaus teilnahmsvolle Erforschung dieser deutschen Wissenschaftstradition dient einerseits dazu, die Grenzen ihres Einflusses zu markieren und dadurch ihre internationale Bedeutung eher herunterzuspielen, andererseits aber auch dazu, für sich selbst eine eigenständige persönliche und nationale wissenschaftliche Identität herauszuarbeiten. Dabei richtet Momigliano wie immer sein Hauptaugenmerk auf das Individuum; typisch in ihrem Stil, aber besonders einprägsam in der Formulierung sind die Kurzbiographien von Domenico Comparetti und Karl Julius Beloch, mit denen der Artikel schließt.

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Anmerkungen

  1. Mein Essay zum Hellenismus findet sich jetzt in meinem Buch Sui fondamenti della Storia Antica, Turin 1984 [in diesem Band Nr. 8, S. 113ff.], Pasqualis Aufsatz über Comparetti jetzt in seinen Pagine stravaganti, Bd. I, Florenz 1968.

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  2. Vgl. jetzt H. Kantorowicz, Rechtshistorische Schriften, Karlsruhe 1970, 397–434.

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  3. A. Schiavone, Alle Origini del Diritto Borghese. Hegel contro Savigny, Bari 1984. Vgl. G. Marini, Friedrich Carl von Savigny, Neapel 1978, mit einer ausgezeichneten Bibliographie. Überdies s. D. Losurdo, Tra Hegel e Bismarck, Rom 1983. Die Leser sollen auch an folgenden Nachdruck erinnert werden: Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, mit einer Einführung von H. Hattenhauer, München 1973. Vgl. auch L. Moscati, Da Savigny al Piemonte, Rom 1984.

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  4. Zur Entwicklung meiner Vorstellungen über Droysen s. meine Aufsätze von 1933 und von 1970; der erste ist nachgedruckt in Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, Rom 1955, 263–273, der zweite in Quinto Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, Rom 1975, 109–126 [abgedruckt in diesem Band als Beitrag Nr. 9, S. 143ff.]; auch Hellenismus und Gnosis, Saeculum 21, 1970, 185–188.

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  5. Zu Hillebrand vgl. den hervorragenden Aufsatz von Lucia Borgese in der Broschüre, die vom Gabinetto G. B. Vieusseux anläßlich einer »Mostra di Documenti« über Hillebrand im Palazzo Strozzi vom 2. bis 19. November 1984 unter dem Titel K. Hillebrand veröffentlicht wurde. Die Kenntnis dieser Arbeit verdanke ich Carlo Dionisotti. (Hillebrand, der 1829 in Gießen zur Welt kam, starb 1884 in Florenz).

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  9. Vgl. zu K. O. Müller den Faszikel 1984 (Bd. XIV, 3) der Annali Scuola Normale Pisa, der teilweise ihm gewidmet ist. Zu Müllers Mythologie s. meinen Settimo Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, Rom 1984, 271–286 [abgedruckt in diesem Band als Beitrag Nr. 7, S. 95ff.].

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  12. Der Text ist nachgedruckt in P. Treves, Lo Studio dell’Antichità Classica nell’Ottocento, Maüand 1962, 918.

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  18. Es gibt Raum für eine ernsthafte Monographie über Pais. Siehe die jüngsten Bemerkungen von M. I. Finley, The Ancient Historian and his Sources, Tria Corda, hg. v. E. Gabba, Como 1983, 201–214; C. Ampolo, La Storiografia su Roma arcaica e i documenti, ebd. 9–26.

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  19. S. meinen Artikel über Beloch in Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. VIII, Rom 1966 (= Terzo Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, Rom 1966, 239–265).

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Momigliano, A. (2000). Deutsche Romantik und italienische Altertumswissenschaft. In: Most, G.W. (eds) Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03684-1_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03684-1_2

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