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Zusammenfassung

In diesem Aufsatz wie in seinen Beiträgen zur italienischen Altertumswissenschaft (Beiträge 2 und 3 in diesem Band) und zur englischen Geschichtsschreibung (Beitrag 6) stellt Momigliano seine meisterhafte Fähigkeit unter Beweis, eine ganze nationale Wissenschaftstradition auf knappem Raum mit gezielten und vielsagenden Hinweisen einprägsam zu charakterisieren.

Hier geht es vornehmlich um Fustel de Coulanges (1830–1889), dessen epochale Untersuchung zur antiken Stadt Momigliano einleuchtend in die Tradition der französischen politischen und soziologischen Theorie einbettet. Wie er zeigt, unterscheidet sich die französische Tradition althistorischer Untersuchungen zur antiken Stadt dadurch von der deutschen, daß jene die komparatistische Methode einsetzt und sich vor allem darum bemüht, die Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaft, Geistesgeschichte, Recht und Religion herauszuarbeiten, während diese jedes Einzelgebiet aus dem Ganzen herauslöst und versucht, es für sich zu betrachten. In der Biographie Fustels wird dann der Unterschied zur deutschen Methode zu einer starken und bewußten antideutschen Tendenz: Da er nach der französischen Niederlage von 1870 überzeugt war, daß auch die Wissenschaft einen eigenen Beitrag zur nationalen Einheit zu leisten habe, bemühte sich Fustel darum, auch im Bereich der französischen Geschichte die französische Identität von ihren faktisch vorhandenen deutschen Grundlagen zu trennen und ihre Wurzeln auf Rom zurückzuführen. Auch in seinen Arbeiten zur antiken Geschichte — z. B. zu Polybios und zur Vesta — ließ Fustel sich immer von zeitgenössischen politischen Fragestellungen (vor allem nach dem Schutz des Privateigentums und nach dem Verhältnis zwischen Staat und Religion) leiten, wobei die leidenschaftliche Hinwendung zu modernen Problemen nicht zwangsläufig zu einer Verfälschung der antiken Sachverhalte führen mußte — ganz im Gegenteil. In einem wichtigen Anhang geht Momigliano auf die Beziehung zwischen Fustel und Dürkheim ein.

Der Aufsatzerschien ursprünglich 1970. Er ist Teil einer länger andauernden Auseinandersetzung Momiglianos mit Fustel*, die auch viele Autoren der zahlreichen Sekundärliteratur zu Fustel aus den letzten Jahren beeinflußt hat.**

E.J. Bickerman, dem »sodali fusteliali«

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Anmerkungen

Notizen

  • M. I. Finley, The Ancient City: From Fustel de Coulanges to Max Weber and Beyond, Comparative Studies in Society and History 19, 1977, S. 305–27, auch in: Finley, Economy and Society in Ancient Greece, London 1981, S. 3–23.

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Notizen

  1. Vgl. u. Appendix 1.

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  2. Vgl. Hommage à Louis Gernet, Paris 1966 mit Aufsätzen von G. Davy, J.-P. Vernant und anderen. Eine Bibliographie der Werke Gernets findet sich auch in ders., Anthropologie de la Grèce antique, Paris 1968. Zu Gernet und der Dürkheim-Schule verweise ich auf einen im Druck befindlichen Aufsatz von S. C. Humphreys [S. C. Humphreys, The work of Louis Gernet, History and Theory 10, 1971, 172–196, jetzt in: dies., Anthropology and the Greeks, London-Hemley-Boston 1978, 76–107].

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  3. Die Cité antique wurde zur gleichen Zeit noch ein zweites Mal von G. E. Clapaj ins Italienische übersetzt (Laterza, Bari 1925). Die interessanteste Rezension der Originalausgabe von 1864 von deutscher Seite ist vielleicht die von F. Liebrecht, Göttingische Gelehrte Anzeigen 1865, 841–880. [Eine erste deutsche Übersetzung von dem Österreicher Paul Weiß, der sonst im allgemeinen Trivialliteratur übersetzte, fand nur wenig Verbreitung; sie diente als Grundlage für die schließlich von Karl Christ veranlaßte und von ihm mit einem Vorwort versehene überarbeitete Übersetzung N. D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat. Kult, Recht und Institutionen Griechenlands und Roms, Stuttgart 1981, der die Zitate folgen. — Anm. d. Übers.].

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  4. Eine ausgezeichnete Bibliographie zu Fustel bei Jane Herrick, The Historical Thought of Fustel de Coulanges, Diss. Catholic University of America, Washington 1954 (unter der Anleitung von F. Engel-Janosi). Es soll hier genügen, an die Biographie von P. Guiraud zu erinnern sowie an: J. Simon — A. Sorel, Mémoires de l’Académie des Sciences Morales et Politiques 18, 1894, 33–72; 185–230; G. Monod, Portraits et Souvenirs, Paris 1897, 135–154; E. Jenks, Fustel de Coulanges as a Historian, English Historical Review 12, 1897, 209–224; C. Jullian, Le cinquantenaire de la Cité antique, Revue de Paris 23, 1916, 852–865; H. Leclercq, in: F. Cabrol, Dictionnaire d’archéologie chrétienne Bd. 5, 1923, 2717–2737; J.-M. Tourneur-Aumont, Fustel de Coulanges, Paris 1931; G. Dodu, Revue des Etudes Historiques 100, 1933, 41–66; L. de Gérin-Ricard, L’histoire des institutions politiques de Fustel de Coulanges, Paris 1936 (Gérin-Ricard ist mit L. Truc auch Verfasser einer Histoire de l’Action Française, Paris 1949). Ein Catalogue des livres composant la bibliothèque de feu M. Fustel de Coulanges wurde im Jahre 1890 in Paris veröffentlicht. Vgl. auch A. Grenier, Camille Jullian et les antiquités nationales, Paris 1944, 117–149; Ettres de C. Jullian à H. d’Arbois de Jubainville, Nancy 1951, 12–13.

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  5. Questions contemporaines, Paris 1916. Für ein vergleichbares Wiederaufleben des Interesses an Fustel nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. man das Vorwort von F. Martinazzoli zu seiner Übersetzung von N. D. Fustel de Coulanges, Polibio, Bari (Laterza) 1947.

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  6. Vgl. Ch. Maurras, La bagarre de Fustel (Cahiers d’Occident 2, 1), Paris 1928. Das weiter oben zitierte Buch von H. de Gérin-Ricard zeigt auf höherem Niveau dieselbe Tendenz. Ebenso A. Beilesort, Es intellectuels et l’avènement de la Troisième république (1871–1875), Paris 1931, 189–217; [S. Wilson, Journal of the History of Ideas 34, 1973, 123–134].

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  7. M. Bloch, L’Alsace Française 19, 1930, 206–209 (non vidi). Vgl. Mélanges Historiques 1, 1963, 100–106.

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  8. H. Stuart Hughes, The Obstructed Path, New York 1966, 66–67 und die bereits zitierte Literatur.

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  9. Vgl. meinen Aufsatz über den Caesarismus in Secondo Contributo, 1960, 273–282, und allgemeiner P. Stadler, Geschichtsschreibung und historisches Denken in Frankreich. 1789–1871, Zürich 1958, 249ff.

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  10. Welchen Einfluß Fustel mit seinen Überlegungen zur gens auf Spezialisten des Römischen Rechts (z. B. Bonfante) ausgeübt hat, habe ich bisher nicht genau feststellen können. Der Eindruck, den ich bei der Durchsicht des umfangreichen Materials gewonnen habe, das L. Capogrossi Colognesi, La struttura della proprietà e la formazione dei Iura Praedorium nell’età repubblicana, Bd. 1, Mailand 1969 zusammengetragen hat, ist der, daß H.S. Maine besser bekannt gewesen ist als Fustel (vgl. besonders 79–80). Eine Ausnahme bildet V. Arangio-Ruiz, Le genti e la città, Messina 1914, jetzt in: ders., Scritti giuridici raccolti per il centenario della casa editrice Jovene, Neapel 1954, 109–158. Es ist zu beachten, daß Fustel in seiner Dissertation zu Vesta von 1858 die Familie noch für früher ansieht als die gens.

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  11. Man vgl. auch Questions historiques, Paris 1893, 411–452 (ein auf die Jahre 1867–68 zurückgehendes Werk, das postum von C. Jullian veröffentlicht wurde). In Hinblick auf Athen wiederholt der Artikel Fustels »Attica Respublica« in Daremberg-Saglio, Dictionnaire des Antiquités, Bd. 1, 1877, die Ansicht vom Übergang von der gens zur Polis und bekräftigt die zentrale Bedeutung, die er der Frage des Privateigentums beimißt. Nach Ansicht Fustels wurden die Nicht-Adligen von Solon zum Grundeigentum zugelassen; das war eine Auffassung, die bereits von Ch. Lécrivain in demselben Dictionnaire des Antiquités s.v. Eupatrides zurückgewiesen worden war. Zum Privateigentum in Sparta s. Fustel, Nouvelles recherches, Paris 1891, 54ff. Zum Eigentum bei den Germanen Recherches sur quelques problèmes d’histoire, Paris 1885, 319–356. Vgl. R. Schlatter, Private Property, the History of an Idea, London 1951, 266–267.

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  12. Eine Untersuchung zu den Veränderungen, die Fustel in den späteren Auflagen der Cité antique vorgenommen hat, steht, soweit ich weiß, noch aus. Von besonderer Bedeutung müssen die Verbesserungen sein, die er in der 2. Auflage von 1866 und der 6. Auflage von 1875 angebracht hat. Die 1. Auflage habe ich nicht untersuchen können. Ein Vergleich zwischen der 2. Auflage von 1866 (Hachette) und der 7. Auflage von 1878, den ich vorgenommen habe, scheint nur eine wesentliche Hinzufügung zum Text nach 1866 zu zeigen: im Teil III gibt es ein neues Kapitel XVI mit dem Titel »Les confédérations, les colonies«, und daraus ergibt sich, daß das vorherige Kapitel XVI nun zu Kapitel XVII wird. Aber auch viele andere Einzelheiten im Text sind geändert (z. B. der vorletzte Absatz von I, 1); und in den Anmerkungen ist viel neues Quellenmaterial angegeben. Der Wechsel der Überschrift in II, 10, 4 und III, 7, 3 bringt keine weitere Veränderung des Textes mit sich. Meine Zitate richten sich alle nach der 18. Auflage von 1903. Die Darstellung der Cité antique muß durch eine Reihe von Artikeln im Dictionnaire des Antiquités ergänzt werden: der bereits zitierte Artikel s.v. Attica Respublica; des weiteren die Artikel s.v. Epula (Bd. 2, 1, 736–738); s.v. Lacedaemoniorum Respublica (Bd. 3, 2, 886–900); s.v. Regnum (Bd. 4, 2, 821–827); s.v. Romanorum Respublica (Bd. 4, 2, 878–891). Ich schulde dem Leiter der Bibliothek der Ecole Normale Supérieure in Paris, P. Petitmengin, Dank für verschiedene Hilfestellung und Informationen, die besonders für den Appendix 2 wichtig sind. Der vorliegende Text ist im April 1969 an der Scuola Normale Superiore in Pisa als Vorlesung vorgetragen worden.

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  13. Vgl. auch G. Davy, Sociologues d’hier et d’aujourd’hui, Paris2 1950, 79–122. Zwischen Fustel und Dürkheim liegt natürlich auch die Entdeckung des Systems der Klassifizierung von Verwandtschaftsgraden. Vgl. dazu z. B. U. Bianchi, Storia dell’Etnologia, Rom 1965, 79; 112.

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  14. Vgl. T. C. Barker, Aryan Civilisation … based on the Work of De Coulanges, London 1871. Zu den auffälligen Übereinstimmungen von E.-L. Burnouf, Essai sur le Vêda, Paris 1863 mit Fustel vgl. ebd. 183: »Die Rolle der Ahnen deckt sich in den Augen der vedischen Arier zumindest in gewissem Ausmaß mit der der Götter.« Auf den Seiten 441–469 hebt Burnouf den Unterschied zwischen den Semiten (Juden) und Ariern (Indern) hervor.

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Momigliano, A. (2000). Die antike Stadt bei Fustel de Coulanges. In: Most, G.W. (eds) Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03684-1_13

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03684-1_13

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