Zusammenfassung
Wir sind so daran gewöhnt, Geschichte als einen selbstverständlichen Teil der akademischen Lehre und besonders des Universitätsunterrichts zu betrachten, daß wir selten innehalten, um zu bedenken, wie vergleichsweise neu die Einführung von Geschichte in den Lehrplan auf allen Stufen ist.1 Noch weniger reflektieren wir über die Folgen dieser speziellen Veränderung im Bildungswesen. Die Griechen, die im 5. Jahrhundert v. Chr. die Geschichte in unserem Sinne erfanden, betrachteten sie niemals als einen spezifischen Gegenstand für den Schulunterricht. Es gab öffentliche Lesungen historischer Bücher für ein erwachsenes Publikum. Von Herodot wird notorisch behauptet, er habe seine Bücher öffentlich vorgelesen und dabei einen jungen Mann in seinem Publikum, Thukydides, dazu inspiriert, seinem Beispiel zu folgen — mit dem Ergebnis, das jeder kennt. Diese Anekdote mag unwahr sein, aber sie ist typisch. In Griechenland lernte man Geschichte nicht in der Schule. Man las sie privat, oder jemand las sie einem in gebildeter Gesellschaft vor. Dasselbe geschah in Rom.
Seit Anfang der 60er Jahre bemühten sich amerikanische und europäische Historiker zu klären, wie es dazu gekommen ist, daß die Geschichte, die in der Antike immer nur für Erwachsene bestimmt war, im Laufe der Zeit zu einer akademischen Disziplin wurde, die an Schulen und Universitäten unterrichtet wurde. Girolamo Cotroneo, Claude Dubois, Julian Franklin, Erich Hassinger, George Huppert, Donald Kelley, Eckhard Kessler und Wylie Sypher versuchten, die innovativen methodologischen Traktate italienischer und französischer Gelehrter wie Francesco Patrizi, François Baudouin und Jean Bodin eingehend zu analysieren. Felix Gilbert, Louis Green, Mark Phillips und Gary Ianziti gingen den literarischen Techniken wichtiger Historiker nach. Eric Cochrane gelang es, Leben und Werke so gut wie aller italienischen Historiker der Renaissance in einer großangelegten Monographie zu beschreiben. Meistens unerörtert blieb jedoch die Eingliederung des Geschichtsunterrichts in den akademischen Lehrplan, wenn auch Rüdiger Landfester die Rhetorik untersuchte, die die Humanisten in ihren Einleitungen benutzten, um die moralische und politische Bedeutung historischer Texte hervorzuheben. Momiglianos Verdienst ist es, zum ersten Mal den eindeutigen Nachweis erbracht zu haben, daß der Geschichtsunterricht zuerst an den deutschen Universitäten institutionalisiert wurde, und zwar in der frühen Neuzeit. Die Humanisten und Polyhistoren legten so die Grundlagen für das neue Fach Geschichte, das von den großen Historikern des 19. Jahrhunderts nicht neu entwickelt, sondern nur weiter ausgebaut wurde. So erwies sich überraschend, daß es eine gewisse institutionelle Kontinuität zwischen der neuen Geschichtsforschung der Renaissance und der neuen Geschichtsforschung der Moderne gegeben hat.
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Literatur
E. Cochrane, History and Historians in the Italian Renaissance, Chicago 1981.
G. Cotroneo, I trattatisti dell’arte storica, Neapel 1971.
C. Dubois, La conception de l’histoire en France au XVIe siècle, Paris 1977.
J. Franklin, Jean Bodin and the Sixteenth-Century Revolution in the Methodology of Law and History, New York 1963.
F. Gilbert, Machiavelli and Guicciardini, Princeton 1965.
E. Hassinger, Empirisch-rationaler Historismus, Bern/München 1978, Nd. Freiburg 1995.
G. Huppert, The Idea of Perfect History, Urbana 1969.
G. Ianziti, Humanistic Historiography under the Sforzas, Oxford 1988.
D. R. Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship, New York 1970.
E. Kessler (Hg.), Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung, München 1971.
R. Landfester, Historia magistra vitae, Genf 1972.
M. Phillips, Francesco Guicciardini, Toronto 1977.
Ders., Machiavelli, Guicciardini and the Tradition of Vernacular Historiography in Florence, American Historical Review 84, 1979.
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Momigliano, A. (1999). Die Einrichtung der Geschichte als akademisches Fach und ihre Implikationen. In: Grafton, A. (eds) Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03683-4_7
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