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Zusammenfassung

In einem gewissen Sinn hat Peter Gay zweifellos recht mit seiner bekannten These, daß die Aufklärung ein ununterbrochener Appell an die Antike und deshalb eine Rückkehr zu heidnischen Prämissen war.1 Doch in Sachen Geschichtsschreibung gab es keine Rückkehr zum Altertum. Die bei allen Historikern des 18. Jahrhunderts deutliche Betonung des Fortschritts und der Hindernisse für den Fortschritt genügt, um ihren Abstand zur klassischen Geschichtsschreibung anzuzeigen. Die Polemik gegen eine histoire événementielle wurde nicht von Luden Febvre für die Annales erfunden; sie findet sich vielfach in Büchern aus dem 18. Jahrhundert, vom Discours D’Alemberts bis zum Vorwort zur Übersetzung des Zend-Avesta von Anquetil-Duperron, und wird am Ende des Jahrhunderts im Vorwort zu dem Werk Allgemeine Geschichte der Cultur und Litteratur des neueren Europa von J. G. Eichhorn, dem großen Meister der Universität Göttingen, zusammengefaßt. Nun ist es offensichtlich, daß klassische Historiker von Thukydides bis Ammianus Marcellinus histoire événementielle praktizierten. Bolingbroke bewunderte Tacitus; und Gibbon verdankte — wie Madame Necker rasch bemerkte — Tacitus viel, sowohl in der Form als auch im Inhalt.2 Doch können weder Bolingbrokes Reflexionen zur Geschichte noch Gibbons Konstruktion historischer Muster aus Tacitus abgeleitet werden.

Gegenüber Vico hatte Momigliano immer Vorbehalte, Gibbon dagegen bewunderte er von ganzem Herren. Er schätzte den Glanz seiner Prosa, die Reichweite seines historischen Wissens und vor allem die intellektuelle Unabhängigkeit, die es Gibbon erlaubte, eine neue Form der historischen Darstellung zu entwickeln. Dem historischen Kontext der History of the Decline and Fall of the Roman Empire widmete er eine ganze Reihe von Essays, in denen er darzulegen versuchte, wie der Historiker mit den Traditionen der gelehrten historischen Forschung und der Geschichtsschreibung umgegangen ist. Gibbon war immer stolz darauf, daß er nicht nur die antiken und mittelalterlichen Quellen, sondern auch die Traktate und Kommentare moderner Forscher auf fast allen Gebieten der Geschichte sorgfältig und mit Gewinn gelesen hatte. Seine Fußnoten wuchsen im Laufe der Zeit zu einer ausführlichen Kritik nicht nur der Quellen, sondern auch der Sekundärliteratur an. In diesem Aufsatzging Momigliano zwei verschiedenen Gattungen von Werken nach, die Gibbon benutzte und explizit zitierte, nämlich denen der antiquarischen und denen der orientalistischen Forschung. In einem Aufsatz aus den 50er Jahren (Text 12 in diesem Band) hatte Momigliano die These entwickelt, daß Gibbon als erster die darstellende und die analytische beziehungsweise die politische und die antiquarische Geschichte kombiniert hatte. In diesem Essay aus den 70er Jahren wies er darauf hin, daß Gibbon wichtige Elemente der antiquarischen Tradition fast außer acht ließ, als er die universalhistorische Perspektive seines Werkes nach dem Muster der orientalistischen Forschung ausrichtete.

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Anmerkungen

  1. P. Gay, The Enlightenment: an Interpretation. The Rise of Modern Paganism, London 1967.

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Momigliano, A. (1999). Ein Vorspiel zu Gibbon im 18. Jahrhundert. In: Grafton, A. (eds) Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03683-4_11

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