Zusammenfassung
Der Begriff des Willens ist eine grundlegende Kategorie der abendländischen Ethik. Wenn die Griechen auch keine Theorie des Willens als einer »Fakultät« des menschlichen Geistes entwickelten, so nahmen doch schon bei Platon und Aristoteles Fragen nach dem richtigen Wollen einen zentralen Platz innerhalb ethischer Überlegungen ein. Für das römische Recht war dann entscheidend, wie die voluntas des Täters oder des Vertragschließenden zu ergründen sei, etwa durch »subjektive« Kriterien wie Meinungsäußerungen oder durch »objektive« Handlungen. Die Geschichte des Christentums wäre nicht zu denken ohne die Debatten über das Verhältnis zwischen dem göttlichen (unendlichen) und dem menschlichen (freien?) Willen. Das Projekt der Moderne formierte sich während der Aufklärung im Zeichen eines neuen Handlungsbegriffs, der die absolute Autonomie des Menschen aus der unerschütterlichen Grundlage des menschlichen Willens zu begründen versuchte. Und die Frage, ob dieses Projekt schon vollendet oder noch unvollendet sei, steht explizit oder implizit im Mittelpunkt eines postmodernen Zweifels an der bisher geglaubten Möglichkeit unabhängigen Handelns — sie ist also selbst in ihrem Zweifel noch dem Glauben an die willensbestimmte Existenz des Menschen verpflichtet.1
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Anmerkungen
Vgl. dazu auch meinen Aufsatz: John H. Smith, »Was erben wir vom Willen der Aufklärung?«, in: Wolfgang Klein und Waltraud Naumann-Beyer (Hrsg.), Nach der Aufklärung? Beiträge zum Diskurs der Kulturwissenschaften, Berlin 1996, S. 263–276.
Auch eine Anspielung auf Alice Jardine, »Men in Feminism: Odor di Uomo or Compagnons de Route?«, in: Alice Jardine, Paul Smith (Hrsg.), Men in Feminism, New York/London 1987, S. 54–61.
Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Frankfurt a. M. 1920, S. 46.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II [1844], Zürich 1977.
Zu diesem Thema vgl. meinen Aufsatz: John H. Smith, »Abulia: Sexuality and Diseases of the Will in the Late Nineteenth Century«, Genders 6 (1989), S. 102–124.
Carl Heinrich Ulrichs, Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe, Leipzig 1898 (Reprint New York 1975). Die dort veröffentlichten Abhandlungen erschienen freilich sehr viel früher: Numa Numatius [Pseudonym für Carl Heinrich Ulrichs], Vindex, Inclusa, Vindicata, Formatrix, Ara spei. Fünf Schriften über die mannmännliche Liebe, Leipzig 1864/1965.
Xavier Mayne, The Intersexes: A History of Similisexualism as a Problem in Social Life, Rom 1908 (Reprint New York 1975), S. 1–3.
Seine wissenschaftlichen Ergebnisse und historisch-soziologischen Darstellungen sind auch in seinem monumentalen Werk: Magnus Hirschfeld, Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, Berlin 1913 und 1920, enthalten.
Steven Epstein, »Gay Politics, Ethnic Identity: The Limits of Social Constructionism«, in: Edward Stein (Hrsg.), Forms of Desire: Sexual Orientation and the Social Constructionist Controversy, New York/London 1992, S. 239–293.
Michael Warner (Hrsg.), Fear of a Queer Planet. Queer Politics and Social Theory, Minneapolis 1993, S.VII–XXXI, hier: S. XXXV.
Vgl. Jacques Lacan, »Kant mit Sade«, Schriften II, Olten/Freiburg 1975, S. 133–163.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke in 20 Bänden, Bd. VII, Frankfurt 1970.
»Ein Verständnis von praktisch jedem Aspekt der modernen westlichen Kultur muß nicht nur unvollständig bleiben, sondern ist sogar in seiner zentralen Substanz beeinträchtigt, solange eine kritische Analyse der modernen Homo/Heterosexuellen-Definition unterbleibt.« Eve Kosofsky Sedgwick, Epistemology of the Closet, Ithaca/New York 1990, S. 1.
Judith Butler, »Contingent Foundations. Feminism and the Question of ›Postmodernism‹«, in: Judith Butler, Joan W. Scott (Hrsg.), Feminists Theorize the Political, New York/London 1992, S. 7–19, hier: S. 13.
Chantal Mouffe, »Feminism, Citizenship, and Radical Democratic Politics«, in: Butler, Scott (Anm. 22), S. 369–384. Diana Fuss, Essentially Speaking. Feminism, Nature and Difference, New York/London 1989.
Judith Butler kritisiert diese Annahme eines »souveränen« Subjekts in ihrem Beitrag: Judith Butler, »Burning Acts: Injurious Speech«, in: Anselm Haverkamp (Hrsg.), Deconstruction is/in America: A New Sense of the Political, New York/London 1995, S. 149–180.
Susan Brownmiller, Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt a. M. 1978.
Mit unterschiedlichen Nuancen und politischen Interessen findet man dieses Argument in Susan Faludi, Die Männer schlagen zurück. Wie die Siege des Feminismus sich in Niederlagen verwandeln und was Frauen dagegen tun können, Hamburg 1993,
und Naomi Wolf, Die Stärke der Frauen. Gegen den falsch verstandenen Feminismus, München 1993,
sowie Christina Sommers, Who Stole Feminism? How Women Have Betrayed Women, New York 1994.
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Smith, J.H. (1997). Wie ›männlich‹ ist der Wille? Ein philosophischer Grundbegriff, andersherum gedacht. In: Erhart, W., Herrmann, B. (eds) Wann ist der Mann ein Mann?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03664-3_5
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Online ISBN: 978-3-476-03664-3
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