Zusammenfassung
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in Deutschland keine Epoche großer Lyrik. Während Roman- und Novellenprosa, wenigstens in einigen Werken, eine der rasch sich verändernden sozialen und politischen Wirklichkeit analoge Entwicklungen durchlaufen, lebt die lyrische Poesie vom schon arg ausgezehrten klassischen und romantischen Erbe. Die Droste stirbt 1848, Heine 1856, Eichendorff 1857, Mörikes lyrisches Werk ist um 1850 im wesentlichen abgeschlossen. Verglichen mit diesem relativen Reichtum bis zur Jahrhundertmitte, sind die folgenden Jahrzehnte lyrikarm, und die Armut fällt umso stärker ins Auge, als gleichzeitig in den benachbarten Ländern, vor allem in Frankreich, eine Lyrik von weltliterarischem Rang entsteht. Man hat daher den Aufbruch der ›modernen$#x2039; Lyrik in Deutschland zu Recht immer in einem engen Zusammenhang gesehen mit einer neuen Aufgeschlossenheit für die gleichzeitigen europäischen Literaturen, und zwar nicht erst, wie Hans Magnus Enzensberger abgrenzt, bei den Dichtern, die um 1910 hervorzutreten beginnen und an der »Weltsprache der modernen Poesie«1 mitgestalten, sondern schon um 1890. Es sind auch keineswegs nur die Lyriker, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Fixierung auf die deutsche literarische Tradition überwinden:
Die phänomenologische Deutung einer Vielfalt kultureller und natürlicher Zeugnisse auf die Erarbeitung einer einfachen Synthese hin ist ein Charakteristikum jener europäisch gesinnten Generation [ausdrücklich genannt werden hier Hofmannsthal, Thomas Mann und Rilke, denen neben einigen anderen auch Stefan George an die Seite zu stellen wäre], die nicht anders als komparatistisch die Bedingtheit der eigenen Kultur um ihre kontrastiven europäischen Komplemente zu erweitern trachtete.2
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Notizen
Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Weltsprache der modernen Poesie. In: Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten. Frankfurt/M. 1962, S. 261f.
Bernhard Böschenstein: Hofmannsthal über Puvis de Chavannes. In: Für Rudolf Hirsch. Zum siebzigsten Geburtstag am 22. Dezember 1975. Frankfurt/M. 1975, S. 199f.
Vgl. Ulrich Fülleborn: Deutsche Prosagedichte vom 18. Jahrhundert bis zur letzten Jahrhundertwende. Eine Textsammlung. München 1985.
Vgl. Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt — lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals. In: Austriaca. Cahiers Universitaires d’Information sur l’Autriche 37 (1993), S. 319–331.
Hugo von Hofmannsthal: Reden und Aufsätze III. Buch der Freunde. Aufzeichnungen 1889–1929. Hrg. von Bernd Schoeller und Ingeborg Beyer-Ahlert (Aufzeichnungen) in Beratung mit Rudolf Hirsch, o.O. [Frankfurt/M.] 1980 (= Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), S. 314.
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Perels, C. (1996). Gedichte in Prosa von Ivan Turgenev — gelesen vom jungen Hofmannsthal. In: Stadler, U., Jackson, J.E., Kurz, G., Neumann, P.H. (eds) Zwiesprache. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03659-9_11
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