Zusammenfassung
Die Haltung eines Physiognomikers, der Phänomene wie Rätselfiguren ausdeutet, und die unbeirrte Bindung des Metaphysikers an seine esoterische Doktrin — dem Denken B.s haben beide Wesenszüge einen eigentümlichen Nimbus verliehen. Jene Charakteristika lassen sich aus der besonderen Verfassung der B.s Habitus prägenden Lebensform eines freien Publizisten verstehen, dessen durchaus zweideutige Autonomie akademische Schulzusammenhänge ignorieren kann. Der großbürgerlichen Herkunft, die zunächst vor den Zwängen des Erwerbslebens Schutz zu bieten schien, verdankt B. vielleicht die erstaunliche Fähigkeit, die Souveränität des Denkens auch in Zeiten existenzbedrohender Krisen zu bewahren. Die Möglichkeit aber, diese privilegierte Stellung in eine Erkenntnischance zu verwandeln, wird, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, von einer übermächtigen Zeitströmung begünstigt, die unter dem Eindruck Kierkegaards und Nietzsches der neukantianischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie lebensphilosophische Deutungen »konkreten« Daseins entgegensetzt. Mit diesen Konzeptionen, wie sie nach dem Vorbild Henri Bergsons und Wilhelm Diltheys vor allem Georg Simmel entwickelt hat, ist ein anspruchsvoller Begriff von Erfahrung verbunden, dessen metaphysischen Gehalt B. schon früh, während der Zeit seines Engagements für die von Gustav Wyneken dominierte Fraktion der »Jugendbewegung«, mehr abstrakt beschwört als sinnfällig macht.
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Horst, T. (1995). Benjamin, Walter. In: Lutz, B. (eds) Metzler Philosophen Lexikon. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03642-1_38
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-03642-1
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