Zusammenfassung
Die politische Philosophie der zweiten Jahrhunderthälfte hat die Gesellschaftsvertragsidee wiederentdeckt. Ob man dies ihre »Renaissance«1 nennen kann, hängt von der Sachdienlichkeit dieses Traditionsbezugs ab. Die »Sache«, um die es geht, ist die Neukonzipierung politischer Gerechtigkeit. Diese begriffliche Aktualisierung allerdings steht unter dem Erfordernis, die Entzweiung von herrschaftstheoretischem und moralphilosophischem Diskurs aufzuheben.2 Dem hat John Rawls, als er mit A Theory of Justice 19713 diesen Rezeptionsweg eröffnete, insofern entsprochen, als er mit Mitteln der Vertragstheorie an die Wahrheitsfähigkeit praktischer Fragen erinnern konnte. Jedoch hat er die andere, herrschaftstheoretische Bezugnahme weitgehend abgeblendet. Dies ist begriffsgeschichtlich gesehen verwunderlich, war doch Herrschaftslegitimation das traditionelle Thema des Kontraktualismus; darüber hinaus läßt es nach der Stringenz und Sachdienlichkeit eines wesentlich moralphilosophisch situierten Vertragsbegriffs fragen. Der Gefahr des Moralisierens ist Rawls jedenfalls nicht entgangen und ähnliches ließe sich in Blick auf diskursethische und öffentlichkeitstheoretische Erben des Vertragsgedankens sagen.4
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Notizen
Zur doppelten Entfremdung von Philosophie, Staatstheorie und Ethik siehe: Otfried Höffe, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt 1989, S.13f
John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge, Mass., 1971, dt. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975
Siehe aber inzwischen: Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt 1992
So die andernorts gegebene Selbstbezeichnung: Wolfgang Kersting, »Zur Logik des kontraktualisitischen Arguments«, in: Volker Gerhardt (Hrsg.), Der Begriff der Politik. Bedingungen und Gründe politischen Handelns, Stuttgart 1990, S. 218
Manfred Riedel, »Über einige Aporien in der praktischen Philosophie des Aristoteles« in: Rehabilitierung der praktischen Philosophie Bd. 1, Freiburg 1972, S. 79–97, insbes. 94–96
Thomas Hobbes, Leviathan or the matter, forme, and power of a commonwealth ecclesiasticall and civil, ed. Michael Oakeshott, London, New York 1962, S. 19
John Locke, Zweite Abhandlung über den Staat, hrsg. v. Hermann Kienner, Leipzig 1980, S. 132 (§11)
John Rawls zur Einführung, Hamburg, 1993, S. 234;
Wohlgeordnete Freiheit, Neuausgabe Frankfurt 1993, S. 23–46
Reinhard Zintl, Individualistische Theorien und die Ordnung der Gesellschaft, Berlin 1983;
James M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, Tübingen 1984, S. 85f
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Friemert, V. (1996). Eine Neuvermessung des Kontraktualismus. In: Ballestrem, K.G., Gerhardt, V., Ottmann, H., Thompson, M.P. (eds) Politisches Denken Jahrbuch 1995/96. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03633-9_21
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03633-9_21
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