Zusammenfassung
Im Februar 1919 bot das Preußische Kultusministerium Max Weber eine ganz auf ihn zugeschnittene Professur für »Staatslehre und Politik« an der Universität Bonn an. Aus der Sache wurde nichts — Weber hatte sich, wohl mehr privaten als sachlichen Interessen folgend, bereits für die Nachfolge im Münchner Lehrstuhl Lujo Brentanos entschieden. Er, der noch ein Jahr zuvor entschieden abgelehnt hatte, in Wien eine Professur für »Gesellschaftswissenschaften« zu übernehmen, hatte bei seinen Münchner Verhandlungen versucht, genau diesen Bereich in den Vordergrund seiner Lehraufgaben zu rücken, akzeptierte aber die mit einer normalen nationalökonomischen Professur verbundenen Pflichten.1 So las er — nur auf Drängen der Studenten — seine »Wirtschaftsgeschichte«, wir möchten sie im Rahmen seines Werks nicht missen. Dennoch: Wie anders würde sich Webers Bild in der Geschichte der Sozialwissenschaft ausnehmen, hätte er den Bonner Ruf angenommen und wäre ihm ein längeres Leben beschert gewesen. Auch wenn er — dem jede Schulbildung zuwider war — sich kaum zum » Gründervater« eines »Faches« Politikwissenschaft geeignet hätte, ein wenig mehr als die Randexistenz in der Geschichte des politischen Denkens, die ihm heute zukommt, hätte er sich wohl erstritten.2 Immerhin stand für ihn fest, daß der Staat — trotz der immensen kulturverändernden Macht der kapitalistischen Wirtschaftsweisenoch immer, jedenfalls bis in seine Lebenszeit hinein, das wichtigte »konstitutive Element« jedes Kulturlebens war3 — eine Behauptung, die heute, bei zunehmender Universalisierung der kapitalistischen Wirtschaftsweise mehr als exzellente Fragestellung denn als sachliche Einschätzung akzeptabel erscheint.
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Notizen
Vgl. die näheren Angaben bei Wilhelm Hennis, Die volle Nüchternheit des Urteils, in: Gerhard Wagner und Heinz Zipprian (Hg.): Max Webers Wissenschaftslehre. Frankfurt am Main 1994, S. 107f.
Zur so unterschiedlichen Karriere Webers in Soziologie und Politikwissenschaft vgl. Gangolf Hübinger/Jürgen Osterhammel/Wolfgang Welz: »Max Weber und die Wissenschaftliche Politik nach 1945 — Aspekte einer theoriegeschichtlichen Nicht-Rezeption«, in: Zeitschrift für Politik 37 (1990), S. 181 ff.
Max Webers Theorie des Staates: Herkunft, Struktur und Bedeutung findet seine erste angemessene Bearbeitung im Werk dieses Titels von Andreas Anter. Berlin 1995.
Vgl. dazu Wilhelm Hennis, »Die ›Protestantische Ethik‹ — ein ›überdeterminierter‹ Text?«, in: Sociologia Internationalis, Heft 1 (1995), S. 1 ff. — Was in den USA nach Reagan und in Großbritannien nach der Ära Thatcher selbstverständlich als großes Thema im politischen Diskurs verhandelt wird — die kulturellen Folgen des ungehemmten Kapitalismus -, unterliegt im Deutschland Helmut Kohls noch einem eminent wirksamen »kulturkritischen« Tabu.
Vgl. dazu Wilhelm Hennis: Max Webers Fragestellung, Tübingen 1987, S. 120f und passim.
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1924, S. 431–441
Arnulf Kusch hat die Geschichte der geplanten Enquete aus zeitungs wissenschaftlicher Sicht materialreich dargestellt. (»Max Webers Anregung zur empirischen Journalismusforschung«, in: Publizistik 33. Jg., 1988, Seite 5–29). –Vgl. auch Hans Bohrmann: Grenzüberschreitung? — Zur Beziehung von Soziologie und Zeitungswissenschaft 1900–1960, in: Sven Papcke (Hg.): Ordnung und Theorie. Darmstadt 1986, S. 93 ff.
Edward Shils: Max Weber on Universities. The Power of the State and the Dignity of the Academic Calling in Imperial Germany, Chicago 1973
Dirk Käsler: Einführung in das Studium Max Webers, München 1979, S. 214f.
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Hennis, W. (1996). Max Webers »Vorbericht für eine Erhebung zur Soziologie des Zeitungswesens«. In: Ballestrem, K.G., Gerhardt, V., Ottmann, H., Thompson, M.P. (eds) Politisches Denken Jahrbuch 1995/96. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03633-9_16
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