Zusammenfassung
Wagners Ring des Nibelungen, Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend,1 beginnt mit dem Vorabend-Spiel Das Rheingold. Die Komposition dieses Werkteils beginnt mit einem instrumentalen Vorspiel. Dem Vorspiel folgen vier Szenen, die auf drei ›Schauplätze der Handlung‹ verteilt sind. In genauer und zugleich gesteigerter Analogie besteht die Götterdämmerung aus einem Vorspiel und drei Akten; dem szenischen Vorspiel ist ein kurzes instrumentales vorangestellt, das motivisch auf das Rheingold -Vorspiel zurückgreift.2 In der Entsprechung von zyklischer Großform der Tetralogie und Form ihres ersten und letzten Teils wird ein erster Aspekt des komplizierten Beziehungsnetzes deutlich, in dem Wagners »Mythos vom Untergang des Mythos«3 in musikalischen Strukturen gefaßt wird.
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Notizen
Zu allen philologischen Details vgl. John Deathridge, Martin Geck, Egon Voss, Wagner Werk-Verzeichnis (WWV). Verzeichnis der musikalischen Werke Richard Wagners und ihrer Quellen, Mainz/London/New York/Tokyo 1986.
Als immer noch beste Darstellung dieser strukturellen Ebene vgl. Robert Bailey, The Structure of the Ring and its Evolution, in: 19th-century Music 1, 1977/78, S. 48ff.
Kurt Hübner, Die Wahrheit des Mythos, München 1985, S. 386.
Leiden und Größe Richard Wagners (1933), zitiert nach Thomas Mann, Gesammelte Werke, Band X, Berlin/Weimar 1965, S. 364.
Richard Wagner und der Ring des Nibelungen. Vortrag, gehalten am 16. November 1937 in der Aula der Universität Zürich, Zitatquelle wie Anm. 4, S. 430f. Die Beziehung dieser Darstellung zum Vorspiel von Thomas Manns Joseph-Roman liegt auf der Hand; dazu vgl. vor allem Eckhard Heftrich, Geträumte Taten. »Joseph und seine Brüder.« Über Thomas Mann. Band III, Frankfurt/M. 1993, bes. S. 29ff.
Vgl. Robert Bailey, Wagner’s Musical Sketches for Siegfrieds Tod, in: Studies in Music History. Essays for Oliver Strunk, ed. Harold S. Powers, Princeton 1968, S. 459ff.
Der vollständige Kompositionsentwurf des Rheingold in größeren Auszügen jetzt in Warren Darcy, Wagner’s Das Rheingold, Oxford 1993.
Zur überaus vielschichtigen Semantik der Hörner im Ring vgl. die erhellenden Bemerkungen bei Christopher Winde, The Numinous in Götterdämmerung, in: Reading Opera, ed. Arthur Groos and Roger Parker, Princeton 1988, S. 200 ff, bes. S. 214f.
Man ist versucht zu spekulieren, daß Wagner hier nicht nur einen Kanon als Muster elementarer Ordnung, sondern die Entstehung des Kanons aus dem antiphonalen Singen ein und desselben Motivs auskomponiert hat, wie es sich in außereuropäischen Kulturen findet; vgl. Bruno Netti, Der Kanon bei den Naturvölkern, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Kassel usw. 1958, Sp. 515.
Pierre Boulez, Vergangenheit im Bild der Gegenwart, in: Der Ring: Bayreuth 1976–1980. Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner. Pierre Boulez, Patrice Chereau, Richard Peduzzi, Jacques Schmidt, Paris 1980, dt. Berlin/Hamburg 1980, 2/1988, S. 13 ff, Zitat S. 21.
Carl Dahlhaus. Analyse des Mythos. Claude Lévi-Strauss und Der Ring des Nibelungen, in: Zur Kritik der wissenschaftlichen Rationalität. Zum 65. Geburtsttag von Kurt Hübner, hg. von Hans Lenk, Freiburg-München 1986, S. 531ff;
Nachdruck in: Carl Dahlhaus, Klassische und romantische Musikästhetik, Laaber 1988, S. 458 ff;
Nachdruck unter dem Titel: Musik als strukturale Analyse des Mythos. Claude Levi-Strauss, in: Wege des Mythos in der Moderne. Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen. Eine Münchner Ringvorlesung, hg. von Dieter Borchmeyer, München 1987, S. 64ff.
Zum Komplex Motivsetzung und Motivableitung und zur Doppelfunktion der Leitmotive — formbildend und referentiell — vgl. auch, die ältere Literatur zusammenfassend und weiterdenkend, Anthony Newcomb, The Birth of Music out of the Spirit of Drama, in: 19th Century Music 5, 1982, S. 38.
Wagner hat offensichtlich auch mit Motiven im Kopf und mit verstreuten Motiv-Notierungen gearbeitet, die sich wohl schon beim Formulieren der Dichtungen aufdrängten; auch hierin ist ihm Richard Strauss gefolgt. Vgl. dazu Jörg Riedlbauer, Erinnerungsmotive in Wagner’s Ring des Nibelungen, in The Musical Quarterly 74, 1990, S. 18–30. Riedlbauers Versuch, den Terminus Leitmotiv durch Erinnerungsmotiv zu ersetzen, ist allerdings wenig überzeugend.
Vgl. dazu, sehr beherzigenswert, Newcomb, The Birth of Music, S. 47f. mit Anm. 19. Das abschreckende Beispiel einer Über-Interpretation ist, bei durchaus fesselnden und einleuchtenden Details, Walter Engelsmann, Wagners klingendes Universum. Der Ring aus Gott — Welt — Macht — Besitz — Liebe — Weib — Mutter und Mensch, Potsdam 1933.
Und so, wie es im Rheingoldvorspiel (auch) um die Entstehung musikalischer Zeit und damit der Zeit geht, geht es im Götterdämmerungsvorspiel explizit um die Zeit des Dramas und der Welt; vgl. dazu vor allem Patrick McCreless, Schenker and the Norns, in: Analyzing Opera, ed. by Carolyn Abbate and Roger Parker, Berkeley-Los Angeles-London 1989, S. 276ff.
Die Setzung ist hier nicht nur motivisch, sondern auch tonartlich inhaltsrelevant, denn der Kontext, in den C-Dur eingeblendet wird, wird von Des-Dur und b-moll dominiert, also den Haupttonarten von Ober- und Unterwelt. Vgl. dazu auch Eero Tarasti, Myth and Music. A Semiotic Approach to the Aesthetics of Myth in Music, especially that of Wagner, Sibelius and Stravinsky, den Haag/Paris/New York 1979 (Approaches to Semiotics, 51), S. 199ff.
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Finscher, L. (1995). Mythos und Musikalische Struktur. In: Bermbach, U., Borchmeyer, D. (eds) Richard Wagner — »Der Ring des Nibelungen«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03614-8_2
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