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Kritische Edition als Datenverarbeitung?

Eine neue Ausgabe der >Familie Ghonorez< und der >Familie Schroffenstein<

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 1995
  • 54 Accesses

Zusammenfassung

Jede »neue Edition muß die Frage nach der >Ausbeute an wirklichen Einsichten< zu beantworten suchen und die Verwertung der Handschriften rechtfertigen.« Das ist eine der allgemeinen Behauptungen Klaus Kanzogs in seinen >Prolegomena zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists. Theorie und Praxis einer modernen Klassiker-Edition< (München 1970, S. 45–46). Man darf diese Behauptung auch auf die oben genannte »textkritische Ausgabe« von Kleists erstem Drama anwenden, die Christine Edel, eine Schülerin Kanzogs, zusammen mit ihrem Lehrer vorgelegt hat. Welche Antwort gibt also auf die Frage nach »wirklichen Einsichten« diese Ausgabe, die ihre raison d’être hauptsächlich aus der Existenz zweier textgenetischer Autographen, des Szenars >Die Familie Thierrez< und der ersten Ausarbeitung des Textes, >Die Familie Ghonorez<, sowie aus der Editionsgeschichte dieser Werkhandschrift herleitet? Mit anderen Worten: Worin besteht der Beitrag der Ausgabe für die Kleist-Forschung? Die Antwort ist zu finden, wenn man die Frage folgendermaßen spezifiziert:

  1. 1.

    Bietet die Ausgabe ein in Inhalt oder Begründung verbessertes Wissen über a) Ent-stehungszeit und b) Entstehungsweise des Werkes?

  2. 2.

    Wie verhalten sich Herausgeberin und Kanzog zum textkritisch problemati-schen Erstdruck der >Familie Schroffenstein< (FS)?

  3. 3.

    Wie wird der handschriftliche Text der >Familie Ghonorez< (FG) im Verhältnis zum gedruckten der >Familie Schroffenstein< genetisch bewertet?

    Und schließlich:

  4. 4.

    Führen die in einem sogenannten editorischen Zeilenkommentar zu FG und FS gebotenen Stellenerläuterungen zu einem besseren Textverständnis?

Heinrich von Kleist, Die Familie Ghonorez / Die Familie Schroffenstein. Eine textkritische Ausgabe bearbeitet von Christine Edel mit einem Geleitwort und der Beschreibung der Handschrift von Klaus Kanzog, Tübingen 1994.

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Notizen

  1. Helmut Sembdner (Hg.), Heinrich v. Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen, Frankfurt/Main 1992, Nr.58.

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  2. Paul Hoffmann (Hg.), Heinrich von Kleist. Die Familie Ghonorez. Mit einer Nachbildung der Handschrift, Berlin 1927 (= Schriften der Kleistgesellschaft. Sonderband), S.126.

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  3. Vgl. Marianne Bockelkamp, Analytische Forschungen zu Handschriften des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Heine-Handschriften der Bibliothèque Nationale Paris, Hamburg 1982, S. 31–98.

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  4. Einen neueren Überblick über diese Forschungsrichtung bietet Louis Hay, Les manuscrits au laboratoire. In: ders. (Hg.), Les manuscrits des écrivains, Paris 1993, S.122–137.

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  5. Vgl. David C. Greetham, Textual Scholarship. An Introduction, New York, London 1992, S.77–168, 225–270.

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  6. s Vgl. hierzu Alan Tyson, Ground rules for the description of watermarks. In: Journal of the American Musicological Society 28, 1975, S.332–334.

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  7. Klaus Kanzog, Prolegomena zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists. Theorie und Praxis einer modernen Klassiker-Edition, München 1970, S.47–54.

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  8. Vgl. Hans Joachim Kreutzer, Die dichterische Entwicklung Heinrichs von Kleist, Berlin 1968 (= Philologische Studien und Quellen. H.41), S. 143 f. Außerdem Kreutzer (wie Anm.11), S. 59 f.

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  9. Friedrich Schiller, Über Anmut und Würde. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd.20, T.1. Unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hg. von Benno von Wiese, Weimar 1962, S.280. — Vgl. auch Kleist im Brief an Fouqué vom 25.4. 1811: »Denn die Erscheinung, die am meisten, bei der Betrachtung eines Kunstwerks, rührt, ist, dünkt mich, nicht das Werk selbst, sondern die Eigenthümlichkeit des Geistes, der es hervorbrachte, und der sich, in unbewußter Freiheit und Lieblichkeit, darin entfaltet.« (Heinrich von Kleist, Werke. Im Verein mit Georg Minde-Pouet und Reinhold Steig hg. von Erich Schmidt. Bd.5, Leipzig und Wien o.J. [1905], S.418.) — Vielleicht hat der vordichterische Kleist die Selbstbezüglichkeit des Schreibens zunächst in einer Gattung entwickelt, zu deren Kennzeichen es gehört, daß neben dem hervorgebrachten Resultat der Handlung, dem Text, die Handlung selbst mehr oder weniger gleich wichtig ist: im Schreiben privater Briefe. So könnten z. B. Kleists Briefe an Wilhelmine v. Zenge etwas von ihrer Befremdlichkeit und Anstößigkeit verlieren, wenn man sie weniger als Zeugnisse der Kommunikationsgestaltung (vgl. Hans-Jürgen Schrader, »Denke du wärest in das Schiff meines Glückes gestiegen«. In: Kleist-Jahrbuch 1983, S.122–179), als vielmehr als Zeugnisse selbstbezüglicher Tätigkeit, geistig-sinnlicher Sammlung und Selbstbemächtigung oder Selbstidentifikation betrachtet, die per se zu Wohlbefinden, zum »Glück« führt. Der dabei erzeugte ablösbare Text sowie dessen Adressatenbezug wären dann nur von sekundärer Bedeutung: Die Briefempfängerin diente zur Sanktionierung der Selbstbeziehung. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag Kleists an seine Braut (Brief vom 13. 11. 1800), Tagebuch zu führen: » Wir werden uns in diesem unruhigen Leben so selten unsrer bewußt — die Gedanken und die Empfindungen verhallen wie ein Flötenton im Orkane — so manche Erfahrung geht ungenutzt verloren — das alles kann ein Tagebuch verhüten. Auch lernen wir dadurch Freude aus uns selbst entwickeln, und das möchte wohl gut sein für Dich, da Du von außen, außer von mir, wenige Freude empfangen wirst.« (Ebd., S. 157.) Das »Du« dürfte sich auch auf den Schreiber beziehen.

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  10. Vgl. Alphonse Dain, Les manuscrits, 3. Aufl. Paris 1975 (= Collection d’études anciennes), S.53: »la peur est un sentiment très philologique.«

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  11. Hermann F. Weiss, Neue Funde zur >Familie Schroffenstein<. In: ders., Funde und Studien zu Kleist, Tübingen 1984, S. 61.

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  12. Klaus Kanzog, Historizität und Aktualität. Semiotische Probleme des Erläuterns und Kommentierens. In: editio 7, 1993, S. 76–84, besonders S. 83–84.

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  13. Vgl. Gunter Martens’ und Hans Zellers Vorwort zu: Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation, München 1971, S. VIII. — Hans Zeller, Braucht die Editionslehre eine Fachsprache? Für eine Verständigung. In: Louis Hay und Winfried Woesler (Hgg.), Die Nachlassedition / La publication de manuscrits inédits, Bern 1979 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A. Bd. 4), S.31–38.

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  14. In: Tino Kaiser, Vergleich der verschiedenen Fassungen von Kleists Dramen, Bern-Leipzig 1944.

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Hurlebusch, K. (1995). Kritische Edition als Datenverarbeitung?. In: Kreutzer, H.J. (eds) Kleist-Jahrbuch 1995. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03595-0_11

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