Zusammenfassung
»Das Kind ist entdeckt«1, resümiert der Wiener Reformpädagoge Anton Tesarek 1933 befriedigt die Ergebnisse der seit der Jahrhundertwende einsetzenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Kindheit durch Psychoanalyse, Kinderpsychologie und Jungleserpsychologie. »Wir kennen das Kind nicht«2, gibt dagegen der Erzieher und Schriftsteller Janusz Korczak zu bedenken. Diese kontroversen Äußerungen zeigen die Bandbreite möglicher pädagogischer Haltungen gegenüber demselben Problem: Wie der wissenschaftsgläubige Erziehungsfunktionär zieht auch der behutsam beobachtende Praktiker seine Konsequenzen aus den sich wandelnden Generations- und Erziehungsverhältnissen in Zeiten der Republik — Zeiten, in denen die alten, abgedankten Autoritäten nicht mehr uneingeschränkt gelten und sich ein neues Kindheitsmuster durchzusetzen beginnt, welches die tradierten Rollenbilder vom ›wissenden Erwachsenen‹ und vom ›unwissenden Kind‹ in Frage stellt.
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Anmerkungen
Anton Tesarek: Das Kind ist entdeckt. Beiträge zu einer volkstümlichen Seelenkunde. Wien 1933.
Janusz Korczak: Das Recht des Kindes auf Achtung. Aus dem Polnischen v. Armin Droß. Hrsg. v. Elisabeth Heimpel u. Hans Roos. Göttingen 1970 [zuerst poln. 1928], S. 225.
Wilhelm Lamszuß: Kind und Schriftsteller. Eine literatur-psychologische Untersuchung. In: Jugendschriften-Warte 36/1 (1931), S. 1–6 u. 36/2 (1931), S. 13–19, hier Nr. 1, S. 5.
siehe auch Joachim Schmidt: Die Diskussion über die »Gegenwärtigkeit« — Ein Streit für eine realistische Kinderliteratur? In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 6 (1964), S. 142–149.
Vgl. Helga Karrenbrock: Märchenkinder — Zeitgenossen. Untersuchungen zur Kinderliteratur der Weimarer Republik. Phil. Diss. Osnabrück 1993 (masch.).
Rudolf Arnheim: Schiller über Kästner. In: Ders.: Zwischenrufe. Kleine Aufsätze aus den Jahren 1926–1940. Berlin, Weimar 1985, S. 200–204, hier S. 203.
1926 erschien die Buchausgabe im Franz Schneider-Verlag, Leipzig. Die nachstehenden Zitatnachweise beziehen sich auf folgende Ausgabe: Wolf Durian: Kai aus der Kiste: eine ganz unglaubliche Geschichte. Mit einem Nachwort v. Sybille Durian. München 1986.
Gundel Mattenklott: Zauberkreide. Kinderliteratur seit 1945. Stuttgart 1989, S. 172.
Luke Springman: Comrades, Friends and Companions. Utopian Projections and Social Action in German Literature for Young People 1926–1934. New York, Bern, Frankfurt/Main 1989, S. 51.
Dick Hebdige: Versteckspiel im Rampenlicht. In: Rolf Lindner, Hans Hermann Wiebe (Hrsg.): Verborgen im Licht. Neues zur Jugendfrage. Frankfurt/Main 1986, S. 186–205, hier S. 201.
Walter Benjamin: Einbahnstraße. In: Ders: Gesammelte Schriften. Bd. IV/1. Hrsg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt/Main 1972, S. 83–148, hier S. 132.
Josef Prestel: Geschichte des deutschen Jugendschrifttums. Freiburg 1933, S. 234.
Béla Balázs: The Kid. In: Ders.: Essay, Kritik 1922–1932. Berlin (DDR) 1973, S. 233–235, hier S. 233.
Vgl. Helmut Lethen: Chicago — Moskau. Berlins moderne Kultur der 20er Jahre zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise. In: Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhard Gillen (Hrsg.): Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert. München 1986, S. 190–213.
Vgl. Erhard Schütz: Zwischen Alexanderplatz und Kurfürstendamm. Berlin-Topoi der Weimarer Republik. In: Deutschunterricht 44/5 (1992), S. 53–68, hier S. 60.
Walter Benjamin: Das Passagenwerk. In: Ders: Gesammelte Schriften. Bd. V/1. Hrsg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt/Main 1982, S. 493 (Hervorhebung H.K.).
Heinrich Burhenne: Unterredung über das Kinderbuch. In: Jugendschriften-Warte 35/8 (1930), S. 72f., hier S. 72.
Rudolf Paulsen: Revolution im Bücherschrank der Kinder. In: Berliner Börsenzeitung, Nr. 234, 6.11.1929.
Emil-Rezensionen erschienen erst ab 1929 (siehe zuletzt: Johan Zonneveld: Erich Kästner als Rezensent. Frankfurt/Main 1991, S. 328).
Klaus Doderer: Gesellschaftskritik in einem Kinderroman. In: Werner Dube (Hrsg.): Buch — Bibliothek — Leser. Festschrift für Horst Kunze. Berlin (DDR) 1965, S. 477–486, hier S. 483.
Fred Rodrian: Notizen zu Erich Kästners Kinderbüchern. In: Neue Deutsche Literatur (8) 1960, S. 117–129, hier S. 120.
Erich Kästner: Emil und die Detektive. Berlin o.J. [1929], S. 5. — Die Zitatnachweise im laufenden Text beziehen sich auf diese Ausgabe.
Béla Balázs: Der Geist des Films. Wien, Leipzig 1924, S. 75.
Erich Kästner: Humor München — Berlin. In: Ders.: Gemischte Gefühle. Literarische Publizistik aus der »Neuen Leipziger Zeitung« 1923–1933. 2 Bde. Hrsg. v. Alfred Klein. Zürich 1989, Bd. 2, S. 60–65, hier S. 60.
Harald Jähner: Stadtraum — Textraum. Die Stadt als Megaphon des Unbewußten. In: Thomas Steinfeld, Heidrun Suhr: In der großen Stadt. Frankfurt/Main 1990, S. 97–107, hier S. 99.
Heinrich Mann: Berlin. In: Ders.: Essays. Hamburg 1960, S. 434–442, hier S. 442.
Hartmut von Hentig: Wie der Mensch Zivilisation erwirbt. Das Gemeinwohl und die Tugenden der Verantwortung, der Verständigung und des Vertrauens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 3. April 1993 (Beilage: Bilder und Zeiten).
Rolf Lindner: Die Entdeckung der Stadtkultur. Frankfurt/Main 1990, S. 21.
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Karrenbrock, H. (1995). Das stabile Trottoir der Großstadt. In: Becker, S., Weiß, C. (eds) Neue Sachlichkeit im Roman. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03575-2_9
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