Zusammenfassung
Obgleich uns heute im gängigen Opernbetrieb die Besetzung der Orpheus-Rolle in Christoph Willibald Glucks Oper Orpheus und Eurydike mit einer Altstimme wie selbstverständlich erscheint, verdeckt diese von der Theaterpraxis diktierte Entscheidung weitgehend die dramatisch-künstlerischen Intentionen, die der Komponist mit dieser Rolle verfolgte. Zwei Jahrhunderte nach den Uraufführungen der beiden Fassungen1 ist die allgemeine Bühnenpraxis trotz intensiver Forschungen gerade zu Glucks Orpheus-Opern von einer ästhetisch stets angemessenen Darstellung der männlichen Titelrolle weit entfernt. Zwar lassen sich für die Besetzung mit einer Altistin (oder gar einer Mezzosopranistin) zwei scheinbar treffende historische Argumente ins Feld führen: Im Unterschied zum 18. Jahrhundert stehen uns Kastraten-Stimmen nicht zur Verfügung, so daß eine historisch getreue Besetzung der ursprünglich für einen Alt-Kastraten geschriebenen Rolle ohnehin nicht möglich sei, die Alt-Stimme aber immerhin noch die originale Lage der Partie wahre; und spätestens seit der richtungweisenden Bearbeitung beider Fassungen durch Hector Berlioz für das Pariser Théâtre-Lyrique (1859) habe sich die Auffassung des Orpheus als Hosenrolle etabliert, weshalb auch die ursprünglich für einen hohen Tenor (Haute-Contre) geschriebene Pariser Fassung heute üblicherweise von einem Alt (oder Mezzosopran) gesungen werde.
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Notizen
Eine kenntnisreich kommentierte Zusammenfassung der Deutungsversuche bietet Ludwig Finscher, Che farò senza Euridice? Ein Beitrag zur Gluck-Interpretation, in: Fs. Hans Engel zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von Horst Heussner, Kassel u.a. 1964, S. 96– 110; wieder abgedruckt in: Christoph Willibald Gluck und die Opernreform, hrsg. von Klaus Hortschansky (Wege der Forschung, Bd. 613), Darmstadt 1989, S. 135–153.
Vgl. u.a. Ernest Newman, Gluck and the opera. A Study in musical history, London 1895, S. 55.
Vgl. Robert Haas, Gluck und Durazzo im Burgtheater, Zürich u.a. 1925, S. 61 ff.
Vgl. Vorwort zu Paride et Elena, in: Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 4, hrsg. von Rudolf Gerber, Kassel 1954, S. XII.
Finscher interpretiert diese Quelle (Quellenangabe a. a. O., S. 145) in ähnlicher Weise, läßt jedoch den Rückschluß aus dem Quellenbefund auf die gemeinsamen interpretato-rischen Absichten von Gluck und Guadagni vorsichtig offen (ebd.). Noch zurückhaltender bewertet Patricia Howard (C. W. von Gluck, Orfeo, compiled by P. H., Cambridge University Press 1981, S. 58–60) diese Quelle hinsichtlich der Möglichkeit, Guadagnis Version hier fixiert zu finden. Doch auch ohne diesen gesicherten Beleg hält dieser Notendruck die zeitgenössische Auffassung von einer optimalen Interpretation fest.
Vgl. Rudolf Gerber, Christoph Willibald Gluck, Potsdam 2/1950, S. 138f.
Vgl. Jürgen Kesting, Die großen Sänger Bd. 3, Düsseldorf 1986, S. 1996. Kesting beschreibt diesen Effekt bei einem Vergleich der Technik von Marilyn Horne und Huguette Tourangeau.
Vgl. Adolf Bernhard Marx, Gluck und die Oper, Berlin 1863, Erster Theil, S. 313.
Vgl. schon Waltershausen, a.a. O., S. 134. Dennoch bietet einer der prominentesten populären Opernführer (Rudolf Kloiber, Handbuch der Oper. Erweiterte Neubearbeitung von Wulf Konoid, München u. Kassel 1985, Bd. I, S. 252) fakultativ für die Besetzung mit einer Hosenrolle den lyrischen Bariton und gar den Kavalierbariton an.
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Schläder, J. (1994). Mann oder Frau — stimmliche Charakteristika der Orpheus-Rolle in Chr. W. Glucks Orpheus und Eurydike. In: Weber, H. (eds) Oper und Werktreue. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03569-1_3
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