Zusammenfassung
Charakteristisch für die Bestände in den Archiven Rußlands ist — wie ich bei meinen Recherchen feststellen mußte — das nahezu vollständige Fehlen von persönlichen Dokumenten aus den dreißiger Jahren. Ich besuchte zur Zeit meiner Nachforschungen auch Natalja Roždestvenskaja, die Mutter des weltbekannten Dirigenten, die früher selbst eine namhafte Sängerin war. Bei unserem Gespräch stellte sich heraus, daß sie seit ihrer Jugend ausgiebig Tagebuch geführt hatte: bis 1937. Auf meine Nachfragen über den Verbleib dieses Tagebuches zeigte sich, daß dessen Schicksal ein bezeichnendes Licht auf die Quellenlage in Rußland wirft. Natalja Roshdest-wenskaja erzählte mir, wie sie 1937 für ein Rundfunkkonzert engagiert wurde, das aus Anlaß von Stalins Geburtstag anberaumt worden war. Sie mußte irgendein Lied aus dem damaligen Repertoire singen, wußte aber im Konzert plötzlich den Text der letzte Strophe nicht mehr und half sich mit »la-la-la« aus. Bestürzt verließ sie den Aufnahmeraum und lief, so schnell es ging, nach Hause. In Furcht vor unverzüglicher Verhaftung verbrannte sie sofort ihre Tagebücher — es waren sechs dicke Hefte. Glücklicherweise blieb sie vom Gefängnis verschont, aber ein Tagebuch führte sie nicht mehr.
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Notizen
Heinz Unger, Hammer, Sickle and Baton, London 1939.
Vgl. Leo Ginsburg, Ausgewählte Schriften, Moskau 1981 (russ.).
Anm. des Hrsg.: Vgl. dazu die Studie von Eckhard John, Vom Traum zum Trauma. Musiker-Exil in der Sowjetunion, in: Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur, hrsg. von Hanns-Werner Heister, Claudia Maurer Zenck. Peter Petersen, Frankfurt a. M. 1993, S. 255–278.
Philipp Herschkowitz, Über die Musik, Moskau 1991 (russ.).
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© 1994 Springer-Verlag GmbH Deutschland
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Pantielev, G. (1994). Russische Quellen zum Exil deutscher Dirigenten in der Sowjetunion 1933–1945. In: Weber, H. (eds) Musik in der Emigration 1933–1945. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03538-7_8
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03538-7_8
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-01208-1
Online ISBN: 978-3-476-03538-7
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