Lebensideologische Strukturen im neusachlichen Zeitroman (Arnolt Bronnen, Ernst Glaeser, Ernst von Salomon, Ernst Erich Noth)

Zusammenfassung

In diesem ersten Abschnitt soll grundsätzlich geklärt werden, welche Konzeptionen des »Lebens« den Texten zugrunde liegen und wie diese Auffassungen zueinander in Beziehung stehen. Dies setzt ein analytisches Raster voraus, das es erlaubt, alle Teilbedeutungen von »Leben« zu unterscheiden und sie zugleich als Bestandteile derselben Struktur zu begreifen*. Sechs solcher Teilbedeutungen lassen sich in den Texten unterscheiden:

(a) «Leben» als «Abstraktum: Wenn «Leben» linguistisch ausgedrückt als Verbalabstraktum gebraucht wird, ist ein abgeschlossener, gleichsam in sich ruhender Zusammenhang gemeint — die Einheit aller «Lebens»-Gesetze, das Wesen aller «Lebens»Erscheinungen und -Formen. Der ursprüngliche Verbcharakter des Begriffs, der ein Geschehen bezeichnet, ist hier fast völlig ins Substantivische übergegangen, «Leben » ist reine Kontinuität, gleichsam das Strömen an sich. (Für diese metaphysische Teilbedeutung verwendet die ältere Lebensphilosophie gern den Begriff «All-Leben- «.) In diesem allumfassenden Sinn wird «das Leben» nur in mystischen Transzendenz- Erlebnissen erfahren. Gemäß dem lebensideologischen Prinzip der «immanenten Transzendenz» liegt es immer ›hinter‹ dem Horizont der einzelnen Lebensform. In den Texten konkurriert diese metaphysische Dimension des «Lebens» mit der eher dynamisch-prozessualen Bedeutung, auf die unter (3) eingegangen wird: Je wichtiger die eine, desto stärker tritt die andere zurück und umgekehrt.