Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht und Kriminalität in der Literatur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1991 (= Suhrkamp Taschenbuch 2080). 284 S.

Zusammenfassung

Den Lesern des Kleist-Jahrbuches wird eine Konstellation vertraut sein, die sich in den zurückliegenden zehn Jahren herausgebildet hat: Juristen — insbesondere Strafrechtler wie Klaus Lüderssen (Frankfurt/M.) oder Heinz Müller-Dietz (Saarbrücken) — referieren und schreiben über ihre Lektüren von schöner Literatur, treten in den Dialog mit Literaturwissenschaftlern. Aus der Sicht unserer Wissenschaft, der es im Wettstreit der Disziplinen und in der Einschätzung durch die Öffentlichkeit vielfach an Anerkennung mangelt, ist diese Entwicklung erfreulich genug. Sie hat zudem eine Tradition, die sich sehen lassen kann. Einer ihrer wichtigen Aspekte ist im Zeichen des »Dich ter Juristen« Goethe angelegt. In der ›Juristischen Wochenschrift‹ aus dem Goethe-Jahr 1932 wird von der Redaktion das Programm einer »rechtlichen Lektüre« schöner Literatur entworfen, und seit dem Goethe-Jahr 1982 widmet die ›Neue Juristische Wochenschrift‹ regelmäßig zur Frühjahrszeit eine Ausgabe dem Schwerpunktthema »Literatur und Recht«. Im Vordergrund stehen das Interesse an Autoren, die Rechtswissenschaften studierten oder gar als Juristen tätig waren, und die Diskussion über literarische Texte, die Fragen des Rechts aufgreifen, Rechtsfälle verarbeiten und den Zusammenhang von Verbrechen und Strafrechtspflege thematisieren.¹ Weniger Gewicht hat dabei eine Praxis der Lektüre schöner Literatur, die um 1900 in der Formationsphase der Kriminologie als Wissenschaft von Juristen gepflegt wurde: nämlich die Texte der Dichter auf ihr kriminologisches Wissen zu befragen, der Literatur Erfahrungen und Kenntnisse abzugewinnen, um damit die wissenschaftlichen Entwicklungen zu stützen oder sogar zu befördern.²