Zusammenfassung
Wir sind hier, um einen weit entfernten Schriftsteller zu ehren. Weit entfernt von Dresden, fast als unser Antipode, ist Gaston Salvatore vor fünfzig Jahren in Valparaiso geboren. Von seiner Herkunft wird sich ein Deutscher gleichen Alters kaum eine Vorstellung machen können. Die chilenische Bourgeoisie erfuhr den Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib — als eine Zeit gewinnträchtigen Friedens und rasanter Hochkonjunktur. Man lebte in riesigen Landhäusern, verkehrte im Country Club, spielte Polo, segelte um die Wette. Andererseits gehörte Salvatores Familie nicht zur alteingesessenen Oligarchie; sein Vater, ein italienischer Einwanderer, war während der letzten Kriegsjahre in Japan interniert. Spätestens als Student wurde Gaston Salvatore zum misfit, zum Außenseiter, zum schwarzen Schaf der Familie. Daran war gewiß nicht die drohende Deklassierung schuld; eher schon die Unfähigkeit, sich mit einem Leben aus zweiter Hand zufriedenzugeben. Eine Kultur, deren stärkstes Bildungserlebnis der Hollywood-Film war; eine Literatur, die mit ihren europäischen Vorbildern nur durch rhetorische Überbietung wetteifern konnte; eine Intelligenz, die ihr Heil in der Imitation suchte: Dies alles waren Stigmata einer halbkolonialen Lage, die auch ein privilegierter Lebensstil nicht löschen konnte.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1992 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Enzensberger, H.M. (1992). Rede auf Gaston Salvatore. In: Kreutzer, H.J. (eds) Kleist-Jahrbuch 1992. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03444-1_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03444-1_3
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00872-5
Online ISBN: 978-3-476-03444-1
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)