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Literaturpolitische Kalkulationen

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Die Xenien
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Zusammenfassung

Goethe kannte das »Possenspiel« des Literaturbetriebs; er hatte das »ganze Schriftsteller und Recensentenwesen« (1) geradezu studiert. »Wenn wirs nur einmal ein halb Jahr [getan] haben«, schrieb er Schiller am 11. März 1795 und überzeugte ihn, die Zeitschriften künftig gemeinsam zu mustern, »so können wir unsre Collegen schon übersehen.« (2) Um die Übersicht zu gewinnen, war die ›Distanz‹, die gleichsam objektivistische Perspektive, in der Goethe der Rezeption seiner Werke zusah, von Vorteil. Diese Perspektive erlaubte es ihm, die literaturpolitischen Verhältnisse differenziert wahrzunehmen — differenzierter, als es Schiller tat. Die Xenien bestätigen eine differenzierte Kenntnis, indem sie sowohl die Bedürfnisse des breiten Publikums einplanten und erfüllten als auch die Dissoziierungen und Fraktionierungen der »Collegen« selber zum Gegenstand machten und gegeneinander ausspielten. Schillers Erweiterung des ursprünglichen Plans, sein Vorsatz, die feindlichen Parteien herauszufordern, ist darin poetisch aufgehoben. Indes griffen die Xenien weder »die Stolbergische Sippschaft« noch »Freund Nicolai« (3) direkt, sozusagen frontal an; wen sie wie bloßstellten, war vielmehr literaturpolitisch kalkuliert: Die Blößen welcher »Collegen« sie öffentlich ausstellten, hing von deren Position in der Literaturgesellschaft ab.

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Notizen

  1. Eduard Boas, Schiller und Goethe im Xenienkampf. Stuttgart/Tübingen 1851, Bd. 1, S. 1.

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  2. Bei diesem Vorwurf handelte es sich, »wie Sie wissen«, fügte Heinrich Meyer hinzu (Briefwechsel, S. 219), um »aufgewärmte Dinge, welche schon ehedem vorgebracht worden und aus verschiedenen Büchern zusammen gelesen sind.« Zu Meyers und Goethes Hochschätzung Raffaels s. Heinrich Meyer, Geschichte der Kunst. Hg. von Helmut Holtzhauer und Reiner Schlichting. Weimar 1974 (Schriften der Goethe-Gesellschaft. 60), S. 191–195. — Noch Heinrich Wölfflin ging, hundert Jahre später, auf den Vorwurf ein: »Raffael hat sie [die Jünger] im Maßstab viel kleiner gebildet, um sie so ganz mit dem Boden zusammenbinden zu können. Es sind keine zerstreuenden, eigenherrlichen Einzelexistenzen mehr, sondern sie erscheinen als notwendig in dem Kreise, den der Verklärte um sich gebildet hat, und erst durch den Gegensatz des Befangenen gewinnt die Schwebefigur den ganzen Eindruck von Freiheit und Entlassenheit. Wenn Raffael der Welt nichts anderes hinterlassen hätte als diese Gruppe, so wäre es ein vollkommenes Denkmal der Kunst, wie er sie verstand.« (Die klassische Kunst. Eine Einführung in die italienische Renaissance. Basel/Stuttgart (9) 1968 [zuerst 1898], S. 160)

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  3. Dagegen Goethes ›verständige Ehrfurcht‹, als er das Olympische Theater in Vicenza sah! Unter dem 19. September 1786 notierte er im Tagebuch seine Bewunderung für das »beynahe unmögliche« Unterfangen Palladios, die antike Architektur »in der bürgerlichen Baukunst«, mit einem modernen Zweck, wiederherzustellen. Goethe: »Aber wie er [Palladio] das durcheinander gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Wercke imponirt und vergessen macht daß es Ungeheuer sind. Es ist würklich etwas göttliches in seinen Anlagen, völlig die Force des großen Dichters der aus Wahrheit und Lüge ein drittes bildet das uns bezaubert.« (Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien, S. 88f)

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  4. Siehe: Paul Raabe, Die Horen. Einführung und Kommentar. Darmstadt 1959, S. 107, 111/12, 114.

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  5. Vgl. Heinz Otto Burger, »Eine Idee, die noch in keines Menschen Sinn gekommen ist.« Ästhetische Religion in deutscher Klassik und Romantik; in: Stoffe — Formen — Strukturen. Studien zur deutschen Literatur. Hans Heinrich Borcherdt zum 75. Geburtstag. Hg. von Albert Fuchs und Helmut Motekat. München 1962, S. 1–20.

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  6. Am 4. November 1791 referierte Goethe dort, laut Böttiger (Literarische Zustände und Zeitgenossen. Bd. 1, S. 25), seine »Betrachtungen über das Farbenprisma«. Dazu s. Carl Schüddekopf, Die Freitagsgesellschaft; in: Goethe-Jahrbuch 19 (1898), S. 14–19. — Die Freitagsgesellschaft bestand nicht über den Winter 1796/97 hinaus.

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  7. Siehe: Heinz Nicolai, Goethe und Jacobi. Studien zur Geschichte ihrer Freundschaft. Stuttgart 1965, S. 178–259, besonders 200ff.

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  8. Vgl. u.a. Karl Vorländer, Immanuel Kants Leben. Hg. von Rudolf Malter. Hamburg 1974 [zuerst 1911], S. 146–160;

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  9. Robert Reininger, Kant. Seine Anhänger und seine Gegner. München 1923, S. 263–295.

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  10. Vgl. Karl Vorländer, Goethes Verhältnis zu Kant in seiner historischen Entwicklung; in: Kantstudien 1 (1897), S. 60–99, 315–351; 2 (1899), S. 161–236. — Wie Goethe sich zum Kantianismus verhielt, ist meines Wissens noch nicht speziell untersucht worden; aufschlußreich ist Goethes Brief an Voigt vom 27. Juli 1793: »Mit der Kantischen Lehre wird es gehn wie mit Modefabrickwaaren, die ersten werden am theuersten bezahlt, nachher macht man sie überall nach und sie sind leichter zu kaufen. […]« (WA IV. 10, S. 99)

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  11. WA IV. 10, S. 75. — Lavater war 1793 nach Kopenhagen gereist; Ende Mai, Anfang Juni hatte er sich in Weimar aufgehalten, wo er mit Reinhold besonders freundschaftlich umging. S. die Auszüge aus Lavaters Reisetagebuch, in: Goethe und Lavater. Briefe und Tagebücher. Hg. von Heinrich Funck. Weimar 1901 (Schriften der Goethe-Gesellschaft. 16), S. 324/25.

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  12. Siehe: Kurt Wölfel, Antiklassizismus und Empfindsamkeit. Der Romancier Jean Paul und die Weimarer Kunstdoktrin; in: Deutsche Literatur zur Zeit der Klassik. Hg. von Karl Otto Conrady. Stuttgart 1977, S. 362–380; Julius Petersen, Jean Paul und die Weimarer Klassiker; in: J.P., Aus der Goethezeit. Gesammelte Aufsätze zur Literatur des klassischen Zeitalters. Leipzig 1923, S. 201–222.

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  13. Siehe Jean Pauls Brief vom 1. August 1796 an Herder; in: Jean Paul und Herder. Der Briefwechsel Jean Pauls und Karoline Richters mit Herder und der Herderschen Familie in den Jahren 1785 bis 1804. Hg. von Paul Stapf. Bern/München 1959, S. 14/15.

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  14. So übersetzt Karl Büchner: Einführung; in: Ovid, Die erotischen Dichtungen. Übertragen von Viktor von Marnitz. Stuttgart 1967, S. IX–XXIII, hier XIII. — »Carmen et error«: trist. 2, v 207.

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  15. Vgl. Christoph Siegrist, Das Lehrgedicht der Aufklärung. Stuttgart 1974;

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  16. Heinz Schlaffer, Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland. Stuttgart 1971.

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  17. Die Gegengeschenke erschienen anonym, noch 1796 in der Dyk’schen Buchhandlung, Leipzig; Dyk war Co-Autor. — Manso hatte zunächst erwogen, die Xenien in der Neuen Bibliothek zu rezensieren und »die Wahrheit ganz in meiner gewöhnlichen Manier zu sagen«, wie er Nicolai am 2. Dezember 1796 schrieb (zit. nach: Schiller’s und Goethe’s Xenien-Manuscript. Zum erstenmal bekannt gemacht von Eduard Boas und hg. von Wendelin von Maitzahn. Berlin 1856, S. 192).

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  18. Im Mai 1798 an Weisse; Briefe aus Christian Felix Weisses Nachlass. Mitgetheilt von Jacob Minor; in: Archiv für Litteraturgeschichte 9 (1880), S. 453–505, hier 502.

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  19. S. die beiden ideologiekritischen Studien von Klaus L. Berghahn, Von Weimar nach Versailles. Zur Entstehung der Kassik-Legende im 19. Jahrhundert, und Wilfried Malsch, Die geistesgeschichtliche Legende der deutschen Klassik; in: Die Klassik-Legende. Hg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand. Frankfurt 1971, S. 50–78 und 108–140.

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  20. Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre; Gesamtausgabe I. 2, S. 118/20. Zum folgenden vgl. Waltraud Beyer, Fichte in Jena. Zum Verhältnis Fichte und Goethe; in: Impulse 7 (1984), S. 56–94.

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  21. WA IV. 10, S. 250. S. ferner: Hans Tümmler, Goethes Anteil an der Entlassung Fichtes von seinem Jenaer Lehramt 1799; in: H.T., Goethe in Staat und Politik. Gesammelte Aufsätze. Köln/Graz 1964, S. 132–166.

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  22. Dazu s. Albert Soboul, Die Große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (1789–1799). Frankfurt 1973, S. 343–381.

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  23. Platos Briefe […] nebst einer historischen Einleitung und Anmerkungen. Königsberg 1795. — Schlosser replizierte auf Kants Aufsatz mit dem Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studiren wollte. Lübeck/Leipzig 1797.

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Schwarzbauer, F. (1993). Literaturpolitische Kalkulationen. In: Die Xenien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03432-8_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03432-8_6

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