Zusammenfassung
Goethes »Einfall«, Epigramme »zu machen, wie die Xenia des Martials sind« (1), reflektiert sowohl Schillers Bereitschaft, mit den Kritikern abzurechnen, als auch die öffentliche Auseinandersetzung, die die Horen eben ausgelöst hatten. Der ›Einfall‹ hat indes seine Vorgeschichte; und zu dieser Vorgeschichte gehören die Strategien, die Goethe seinerseits überlegte und erprobte, um die Interessen der Horen wahrzunehmen. Erst wenn man diese Erfahrungen rekonstruiert, kann man die präzise Bedeutung des Einfalls ermessen. Die letzte Etappe sozusagen dieser Vorgeschichte wird von Wolfs Kritik an Herders Aufsatz Homer ein Günstling der Zeit markiert, der im Septemberheft der Horen, 1795, erschienen war. Die interne Diskussion, wie darauf angemessen zu erwidern sei, offenbart zugleich die ästhetischen und literaturpolitischen Differenzen, die zwischen Goethe und Schiller bestanden und in den Xenien dann einen prekären Ausgleich fanden.
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Notizen
Herder an Schiller, 22. August 1795: »Hier ist das Opus über Homer, das mir viele Mühe gekostet hat, indem ich den Knoten auflösen, nicht zerschneiden wollte.« (NA 35, S. 299) Dazu: Fritz Wagner, Herders Homerbild, seine Wurzeln und Wirkungen. Diss. Köln 1960, S. 186–243.
Manfred Fuhrmann, Friedrich August Wolf; in: DVjs 33 (1959), S. 187–236, hier 225.
— Ferner s. Michael Bernays, Einleitung; in Goethes Briefe an Friedrich August Wolf. Berlin 1868, passim.
Zit. in: Rudolf Haym, Herder. Berlin 1880/85, Neuauflage Berlin 1958, Bd. 1, S. 235. — Zum Verlauf der Streitigkeit: S. 232–244, 283–298.
Mit dem Charakter der Kontrahenten erklärt R. Haym (Herder [Anm. 15], Bd. 2, S. 641–655) den Konflikt: Aus »Eifersucht für seine Gelehrtenehre und für sein Eigentumsrecht« (S. 644) habe Wolf seine Ankündigung publiziert; einer seiner »Selbsttäuschungen« (S. 646) sei Herder erlegen, da er die Bedeutung der Prolegomena leugnete. — Auf die intrigante Rolle, die Karl August Böttiger in dem Konflikt spielte, kann ich nur pauschal hinweisen. In der Dissertation von Ernst F. Sondermann (Karl August Böttiger. Literarischer Journalist der Goethezeit in Weimar. Bonn 1983) wird diese literaturpolitische ›Geschäftigkeit‹ Böttigers leider zu wenig beachtet.
R. Haym, Herder [Anm. 15], Bd. 2, S. 648. — Ebenso: Albert Leitzmann, Gespräche und Begegnungen mit Goethe; in: Goethe. Vjs der Goethe-Gesellschaft 2 (1937), S. 225/6.
Vgl. Wolf Lepenies, Der Wissenschaftler als Autor. Über konservierende Funktionen der Literatur; in: Akzente 25 (1978), S. 129–147.
Albrecht Schöne, Soziale Kontrolle als Regulativ der Texterfassung. Über Goethes ersten Brief an Ysenburg von Buri; in: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer. Hg. von Alexander von Bormann. Tübingen 1976, S. 217–241, hier 238.
Wolfgang Preisendanz, Über den Witz. Konstanz 1970 (Konstanzer Universitätsreden. 13), S. 21: »Kein Gedanke und keine Gedankenverbindung ist und wirkt witzig, wenn sich nicht in der Aussage Gemeintes und Mittel des Meinens voneinander abheben.«
Vgl. Wolfgang Preisendanz, Humor als Rolle; in: Identität. Hg. von Odo Marquard und Karlheinz Stierle. München 1979 (= Poetik und Hermeneutik 8), S. 423–434.
Gewisse, späte Passagen des Geburtstagsbriefs nennt Emil Staiger »eine unwillkürliche Selbstcharakteristik Schillers« (in der von ihm besorgten Ausgabe des Briefwechsels zwischen Schiller und Goethe, Frankfurt 1966, S. 34). Ähnlich: Wolfgang Schadewaldt, Der Weg Schillers zu den Griechen; in: Jb der Deutschen Schillergesellschaft 4 (1960), S. 90–97.
Der Aufsatz ist mit der Chiffre »Fr. v. R-n«, die spätere Berichtigung mit »F. B. v. R-n« unterzeichnet. »Die Unterschrift Fr. v. R-n bezieht Biedermann auf den Schriftsteller Friedrich von Rettmann (doch andere vermuten unter dieser Unterschrift Meyer v. Bramstedt). Goedeke schreibt den Artikel Jenisch zu. Diese Annahme hat am meisten Wahrscheinlichkeit.« (Max Glaß, Klassische und romantische Satire. Eine vergleichende Studie. Stuttgart 1905, S. 78) Kronzeuge für diese Annahme ist Wilhelm von Humboldt; s. seinen Brief an Schiller vom 15. August 1795 (NA 35, S. 282).
Vgl. Walter H. Bruford, Goethe’s ›Literarischer Sanskulottismus‹: Classicism and Society; in: Festgabe für L. L. Hammerich. Kopenhagen 1962, S. 45–59.
Auf die Polemik als »echte literarische Grundform« weist hin: Norbert W. Feinäugle, Lessings Streitschriften. Überlegungen zu Wesen und Methode der literarischen Polemik; in: Lessing Yearbook 1 (1969), S. 126–149. Vgl. ferner Goethes ›polemischen Theil‹ seiner Farbenlehre (WA II. 2 [Hg. von Salomon Kalischer. Weimar 1890]), mit dem Untertitel »Enthüllung der Theorie Newtons«. Albrecht Schöne (Goethes Farbentheologie. München 1987, S. 33) erkennt in der Polemik der Farbenlehre das »rhetorische Grundmuster der Disputation«.
So berichtete David Veit am 3. September 1795 an Rahel Levin; in: Briefwechsel zwischen Rahel und David Veit. Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Hg. von Ludmilla Assing. Zweiter Theil. Leipzig 1861, S. 180.
Siehe: Goethe an Schiller, 14. September 1795: »Der gezüchtigte Tersit krümmt sich, wie ich höre, erbärmlich […]« (NA 35, S. 340)
Vgl. Herbert Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Wien (6) 1969, S. 398: Die Thersites-Episode der Ilias »ist ein Reflex der Verachtung und Brutalität der hellenischen Herrenschicht gegenüber der Masse des Volkes, die zum Großtheil der unterworfenen vorgriechischen Bevölkerung angehörte.«
S. dazu: Albert Soboul, Die Große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (1789–1799). Frankfurt 1973, S. 223ff.
Ferner: George Rudé, Die Massen in der französischen Revolution. Wien/München 1961.
Siehe: Hans Tümmler, Der Friede des klassischen Weimar. Wege und Erfolge weimarischen Friedensbemühens am Beginn der hohen Klassik 1795/96; in: H.T., Goethe in Staat und Politik. Gesammelte Aufsätze. Köln/Graz 1964, S. 104–131.
WA I. 41/2, S. 174. — Zur literarischen Form des Platonischen Dialogs und zu ihrer Bedeutung für die Interpretation seiner Philosophie s. Theodor Ebert, Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Berlin 1974, S. 23–35 (mit weiteren Literaturangaben).
So formulierte Goethe es am 3. Dezember 1795, im Brief an Wilhelm von Humboldt; WA IV. 10 [Hg. von Eduard von der Hellen. Weimar 1892], S. 344.
WA I. 41/2, S. 171. — Zur inneren Problematik des Ion, zu seiner Stellung im Platonischen Werk und zur Interpretation der Enthusiasmus-Theorie s. Hellmuth Flashar, Der Dialog Ion als Zeugnis Platonischer Philosophie. Berlin 1958, sowie, zusammenfassend, sein Nachwort zur ION-Übersetzung, München 1963, S. 47–63. — Flashar: »Ion tritt uns als ein durch und durch sophistischer Rhapsode entgegen.« (S. 50) »Platons Kritik richtet sich daher im Ion mehr gegen die sophistische Dichterinterpretation als gegen die Dichter selbst.« (S. 57f.) und: »Wenn er [Platon] damit im Ion den Grund für eine Theorie des Genialen gelegt hat, so enthält doch dieser Dialog nicht in erster Linie eine Kunsttheorie, die man aus ihrem Zusammenhang herauslösen könnte […]« (S. 63)
Siehe u.a. die Studien von Paul Hazard: Die Krise des europäischen Geistes. 1680–1715. Hamburg 1939; Die Herrschaft der Vernunft. Das europäische Denken im 18. Jahrhundert. Hamburg 1949.
Siegfried Sudhof, Goethe und Stolberg; in: Festschrift für Detlef W. Schumann. Hg. von Albert R. Schmitt. München 1970, S. 97–109, hier 97.
— Siehe auch: Detlev W. Schumann, Goethe and the Stolbergs after 1775: The History of a Problematic Relationship; in: Journal of Englisch and Germanic Philology 50 (1951), S. 22–59. Die Frage, die dann weiter zu beantworten bleibt, lautet: Warum gab Goethe diese freundschaftliche Zurückhaltung in den Xenien gleichwohl auf?
Zur wissenschaftsgeschichtlichen Stellung von Goethes Bemühungen s. Gernot Böhme, Ist Goethes Farbenlehre Wissenschaft? in: Studia Leibnitiana 9 (1977), S. 27–54.
Dazu, neuerdings: York-Gothart Mix, Die deutschen Musen-Almanache des 18. Jahrhunderts. München 1987, besonders S. 108–125.
— Mix: »Der hohe Anteil nicht schönwissenschaftlich tätiger Leser macht deutlich, daß der Musenalmanach im Kontext einer unprätentiös-geselligen Literaturrezeption eine herausragende Rolle gespielt hat.« (S. 125) Einen Überblick über die Geschichte des Almanachs gibt: Paul Raabe, Zeitschriften und Almanache; in: Buchkunst und Literatur in Deutschland 1750–1850. Hg. von Ernst L. Hauswedell und Christian Voigt. Hamburg 1977, Bd. 1, S. 145–195.
Siehe: Ur-Xenien. Nach der Handschrift des Goethe- und Schiller-Archivs in Faksimile-Nachbildung hg. von Hans Wahl. Weimar 1934 (Schriften der Goethe-Gesellschaft. 47). Bei Goethes ersten Proben handelt es sich wohl um die auf den Blättern 1 und 2 wiedergegebenen Distichen. — Achtung: Die sogenannten Ur-Xenien sind in keinem separaten Manuskript überliefert. So wie H. Wahl sie angeordnet hat, stellen sie eine editorische Konstruktion dar.
Karl Philipp Moritz, Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten [1791]. Hg. von Werner Haupt. Frankfurt 1979, S. 95.
Martial, Epigramme. Eingeleitet und im antiken Versmaß übertragen von Rudolf Helm. Zürich/Stuttgart 1957, S. 488 (Epigr. XIII. 3 v 7/8).
Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens [1836]. Hg. von Regine Otto und Peter Wersig. Berlin/Weimar 1982, S. 123. — Das Gespräch ist auf den 18. Januar 1825 datiert.
Zur romantischen Ironie s. Peter Szondi, Friedrich Schlegel und die romantische Ironie. Mit einer Beilage über Tiecks Komödien [1954]; in: Schriften II. Hg. von Jean Bollack u.a. Frankfurt 1978, S. 11–31;
ferner: Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie; in: Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Hg. von Hans Steffen. Göttingen 1967, S. 75–97.
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Schwarzbauer, F. (1993). Goethes Einfall. In: Die Xenien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03432-8_5
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