Zusammenfassung
Die Xenien machten sogleich »die größte Bewegung und Erschütterung in der deutschen Literatur« (Goethe), sie waren ein ›Skandal‹. Schiller gebrauchte das Wort, als er die Wirkung einer Antixenien-Schrift, der Gegengeschenke an die Sudelköche in Jena und Weimar von Einigen Dankbaren Gästen, antizipierte. Deren Autoren, der in den Xenien verspottete Johann Caspar Friedrich Manso und der Verleger Johann Gottfried Dyk, wollten es Goethe und Schiller epigrammatisch heimzahlen, indem sie ihre Werke durchhechelten und den Witz der Xenien gegen sie anwendeten; dabei scheuten sie sich auch vor derben Applikationen nicht, nannten Schiller beispielsweise »Kants Affen in Jena«, Goethe einen »stößigen Bock«, warfen dem »geheimen Rath« Laszivität und »Studentennatur« vor. (1) Es sei »lustig« zu sehen«, hatte Goethe die Schrift kommentiert, »was diese Menschenart eigentlich geärgert hat was sie glauben daß einen ärgert« (2), und dagegen die eigene ›Unzugänglichkeit‹ gesetzt. Schiller antwortete darauf am 6. Dezember 1796:
»Das unangenehme an dieser Sache ist dieses, daß die wohlweisen Herrn Moderatisten, so wenig sie auch ein solches Product in Schutz nehmen können, doch triumphieren und sagen werden, daß unser Angriff darauf geführt habe, und daß das Scandal durch uns gegeben sey.« (3)
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Notizen
Matt. 23, 7; in Luthers Bibel-Übersetzung, S. 2002. — Vgl. M. Seils, Ärgernis [Lex.-Art.]; in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1 [1971], Sp. 504/05.
Dazu s. die amüsante Studie von: Christian Schütze, Die Kunst des Skandals. Über die Gesetzmäßigkeit übler und nützlicher Ärgernisse. München/Bern 1967.
Alfred Stern, Philosophie des Lachens und Weinens. Wien/München 1980, S. 137: »Da die Schadenfreude und das Lachen, das sie begleitet, dem guten moralischen Ruf dessen, der sie manifestiert, nachteilig ist, wird er sie gewiß nicht öffentlich äußern, nicht in der Gegenwart anderer, sondern sich mit ihr in die vier Wände seiner Intimität zurückziehen. […]«
Dieses Urteil Charlotte Schillers ist in der Literaturgeschichtsschreibung vielfach wiederholt worden, zuletzt (wenn auch moderat) von: Bernd Leistner, Im Spiegel der Antixenien: Goethes Compagnon; in: Neue deutsche Literatur 32 (1984), Heft 11, S. 134–145. Um es zurechtzurücken, will ich im folgenden nicht nur das Dilemma der Zeitgenossen veranschaulichen, sondern auch einige Proben zitieren, die auf die Herausforderung der Xenien durchaus schlagfertig replizierten.
Am 22. Februar 1797 schrieb Christian August Vulpius an Goethe, daß er im Januar-Heft des Berlinischen Archiv der Zeit als Coautor der Xenien genannt worden sei; Briefe an Goethe. Regestausgabe 2 [Hg. von Karl-Heinz Hahn und Irmtraut Schmid. Weimar 1981], S. 183.
Siehe: Georg Thiemann, Schiller und Goethe in den Xenien. Borna-Leipzig 1909, S. 57.
E. Boas (Schiller und Goethe im Xenienkampf. Bd. 2: Die Gegenwehr. Stuttgart/Tübingen 1851) hat viele Antixenien so, moralisch, mißverstanden und daher ›falsch‹ kommentiert.
Dazu s. Karl Robert Mandelkow, Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers. Bd. 1: 1773–1918. München 1980, S. 126ff.
Mücken-Almanach für das Jahr 1797. [Innentitel: Leben, Thaten, Meinungen, Schicksale und letztes Ende der Xenien im Jahre 1797.] Pest [?] [1797], S. 105.
Christa Bürger, Der Ursprung der bürgerlichen Institution Kunst im höfischen Weimar. Literatursoziologische Untersuchungen zum klassischen Goethe. Frankfurt 1977, S. 84.
Ein paar Worte zur Ehrenrettung unsrer deutschen Martiale. [Weißenfels] 1797, S. 23f. — Das Xenion 313, »Das goldne Alter«, ist nicht korrekt zitiert. Hinter dieser Ehrenrettung steckt als Autor (vermute ich) derselbe Unbekannte, der dann 1808, in der Zeitung für die elegante Welt, eine zweite Ehrenrettung veröffentlichte: Ehrenrettung einiger Stellen in Göthens Faust. Zweite Ausgabe, und dabei die Anstandsstriche nach bewährtem Muster ausfüllte; siehe: Albrecht Schöne, Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult. Neue Einblicke in alte Goethetexte. München 1982, S. 211. Eine flüchtige Spur — immerhin.
Siehe: Sander an Böttiger, 20. Dezember 1796; zit. in: Fambach 2, S. 328.
Cramer der Kraemer. oder Annalen der französischen Litteratur und Kunst. [= Menschliches Leben. Neunzehntes Stück] Altona/Leipzig 1797, S. 7–18 und 19–30.
Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten [1905]. Frankfurt 1975, S. 141.
Vgl. dazu: Horst Günther, Politik der Balance literarischer Mächte; in: Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Hg. von Wilfried Barner / Eberhard Lämmert / Norbert Oellers. Stuttgart 1984, S. 131–150.
Zur Wort- und Begriffsgeschichte s. Karl-Otto Schütz, Witz und Humor; in: Wolfgang Schmidt-Hidding (Hrsg.), Humor und Witz. München 1963, S. 161–244, bes. 174 ff;
zusammenfassend: Wolfgang Preisendanz, Die umgebuchte Schreibart. Heines literarischer Humor im Spannungsfeld von Begriffs-, Form- und Rezeptionsgeschichte; in: W.P., Wege des Realismus. Zur Poetik und Erzählkunst im 19. Jahrhundert. München 1977, S. 47–67, bes. 53–58.
Am 22. März 1800 schrieb Goethe an Schiller: »Ihrem Rath zu Folge habe ich noch einen Herbst zuammen gestoppelt und schicke hier die vier Jahrszeiten, zu gefälliger Durchsicht […]« NA 38/1 [Hg. von Lieselotte Blumenthal. Weimar 1975], S. 237.
Max Kommerell, Jean Paul in Weimar [1936]; in: M.K., Dichterische Welterfahrung. Essays. Hg. von Hans-Georg Gadamer. Frankfurt 1952, S. 53–82, 56: »Schiller war neben Goethe und damit etwas, das Goethe niemals gesucht hatte: die Macht.« Und S. 53f: »Mit Schiller zusammen stellt er einen Anspruch dar, den man nachher Klassik nannte.«
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Schwarzbauer, F. (1993). Reaktionen und Konsequenzen. In: Die Xenien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03432-8_10
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