Zusammenfassung
Gemeinhin produzieren Literaturhistoriker wie Literaturtheoretiker Sekundärliteratur, was schon vom Wort her den unangenehmen Beiklang des Subalternen und Zweitrangigen hat. Da hilft es auch nichts, daß Interpreten mitunter schöpferischer sein mögen, als sie zugeben, und daß Literaturtheoretiker sich mit ihren systematisch-stringenten Konstruktionen oft in bemerkenswerter Kühnheit über die Niederungen des empirisch-kontingenten Materials erheben. Wollen sie ihre Kreativität unsanktioniert ausleben, werden sie sich wohl oder übel selbst auf das Feld der Fiktion wagen müssen, wie Hegel es tat, als er mitten in den philosophischen Deduktionen und Interpretationen seiner ›Ästhetik‹ das Phantasma eines absoluten Epos entwarf. In der »Bibliothèque imaginaire« ungeschriebener Bücher könnte es seinen Platz vielleicht in der kleinen, aber exklusiven Abteilung »absolute Literatur« finden, also in unmittelbarer Nachbarschaft zu den »Bibeln« von Friedrich Schlegel und Novalis1 oder dem ›Livre‹ Mallarmés.
On aime toujours un peu à sortir de soi, à voyager, quand on lit.
Marcel Proust
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Notizen
Zum ›Bibel‹-Projekt der beiden Frühromantiker vgl. etwa: Helmut Schanze, »Dualismus unserer Symphilosophie«. Zum Verhältnis Novalis — Friedrich Schlegel. In: JFDH 1966, S.309–335, bes. S.324–326.
Vgl. dazu etwa Jürgen Schramke, Zur Theorie des modernen Romans. München 1974, bes. S.39–51. Einige Organisationsprinzipien des anti-mimetischen Romans der Moderne habe ich zu beschreiben versucht in meinem Aufsatz: Außenwelt und Innenwelt. Subjektivitätsentwurf und moderne Romanpoetik in Robert Walsers ›Jakob von Gunten‹ und Franz Kafkas ›Der Verschollene‹. In: JDSG 30 (1986), S.533–570. Man muß wohl bezweifeln, daß die Narrativik die literaturtheoretischen Provokationen des modernen Romans bereits wirklich verarbeitet hat — auch wenn heute kaum jemand mehr den »Tod des Erzählers« mit dem »Tod des Romans« gleichsetzt; vgl. dazu den Forschungsüberblick von Edward Reichel, Der Roman und das Geschichtenerzählen. Ihre Kongruenz und Diskrepanz in der Romanforschung (1890–1970). In: DVjs 52 (1978), S.296–320.
Vgl. zur Begriffsbestimmung etwa: Harald Holz, Einführung in die Transzendentalphilosophie. Darmstadt 1973, bes. S.6ff (Zitat: S.15); zur Entwicklung des Begriffs innerhalb des deutschen Idealismus: S.14–17, dort auch weitere Literaturangaben.
Vgl. Karlheinz Stierle, Geschehen, Geschichte, Text der Geschichte. In: K. S., Text als Handlung. Perspektiven einer systematischen Literaturwissenschaft. München 1975 (UTB 423), S.49–55, sowie die anderen Beiträge des Bandes. Stierles dreistufiges Ebenenmodell ist als Präzisierung gängiger binärer Unterscheidungen gedacht, etwa von: story — plot (E. M. Forster), Geschichte — Fabel (E. Lämmert), Fabel — Sujet (B. V. Tomasevskij), histoire — discours (T. Todorov), etc.
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Engel, M. (1993). Vorbemerkungen. In: Der Roman der Goethezeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03431-1_1
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