Zusammenfassung
Die italienische Literatur des 19. Jahrhunderts muß in engem Zusammenhang mit dem Prozeß der nationalen Einigung betrachtet werden: Ihr fiel in einer Zeit der politischen und gesellschaftlichen Umwälzung die Aufgabe zu, moralische Instanz und Orientierungspunkt zu sein. Wie in der Renaissance verknüpfte sich in der historischen Entwicklung dieses Jahrhunderts die politische und soziale Problematik mit den Anliegen der Literatur. In ähnlicher Weise empfinden die Zeitgenossen die Zeit zwischen 1815 und 1870 als eine Art Wiedergeburt der italienischen Nation und nennen sie deshalb »Risorgimento« (Wiedererstehung). Während eines Zeitraums von über sechs Jahrhunderten hatte zwar eine italienische Literatur, aber weder eine italienische Nation noch ein Land mit einem beherrschenden Kulturzentrum wie etwa Frankreich, Spanien oder England existiert. Bis zum Risorgimento war die Einheit Italiens nur literarisch und kulturell, ab 1860 wurde sie politisch. Diesem Datum vorausgegangen waren Bestrebungen, die auf die Rückgewinnung der einstmals führenden kulturellen Rolle Italiens in Europa und auf die politische Unabhängigkeit zielten. Sie setzten am Anfang des Jahrhunderts ein, als — dank Napoleon — ein, wenn auch ephemeres italienisches Königreich entstand. Nach der Einigung wurde angesichts der erdrückenden Probleme, die der neue Staat zu lösen hatte, sowie der Diskrepanz zwischen den Träumen des früh entstandenen Mythos »Risorgimento« und den engen Grenzen des tatsächlich Möglichen die neue Nation freilich auch als eine schwere Bürde empfunden.
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Felten, H. et al. (1992). Ottocento. In: Felten, H., et al. Italienische Literaturgeschichte. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03417-5_7
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